Wie es zum Arbeitsmarktversagen gekommen ist

LEISTUNG. AUFSTIEG. SICHERHEIT.

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Österreich galt lange als „Musterschüler“ in Sachen Arbeitsmarkt. Doch die kommende Regierung muss viele strukturelle Probleme lösen.

Solange das Wachstum hoch war, galt Österreichs Arbeitsmarkt als führend in Europa. Doch der Blick auf die lange niedrige Arbeitslosenrate verschleierte einige Probleme, die seit der Stagnationsphase infolge der europäischen Schuldenkrise offen zutage getreten sind. Zwar hat die Politik so manchen „Arbeitsmarktgipfel“ abgehalten,[1]doch rangiert Österreich 2018 auch bei der Arbeitslosenrate nur mehr auf Rang neun und damit knapp unter den Top-Ten- Ländern in Europa.[2]2012 grüßte Österreich noch von einem europäischen Spitzenplatz.

Strukturelle Probleme, lange Arbeitslosigkeit

Oftmals wird zwar ins Spiel gebracht, dass die Situation in anderen EU-Ländern noch deutlich dramatischer sei. Doch es gibt einige Problembereiche auf dem Arbeitsmarkt, die sich definitiv negativ entwickelt haben: So ist die Langzeitarbeitslosigkeit in den vergangenen Jahren merklich gestiegen. Mehr als 100.000 Menschen waren im Jahr 2018 länger als zwölf Monate ohne Beschäftigung. Vor der Wirtschaftskrise waren es noch halb so viele gewesen. Dabei zeigen Studien immer wieder, dass es mit steigender Dauer der Arbeitslosigkeit stets schwieriger wird, einen neuen Job zu finden.

Vorarlberg ist nicht Wien

Die Konjunktur kann aber nicht als einzige Ursache für die Krise auf dem österreichischen Arbeitsmarkt herhalten. Das Problem ist auch, dass ungeachtet des jüngsten Aufschwungs viele Menschen keinen (neuen) Job finden. Unternehmen suchen zwar (vergeblich) nach neuen Mitarbeitern, doch die Arbeitslosen bringen oft nicht die gewünschten Qualifikationen mit. Oder sie leben nicht in jenen Regionen, in denen gerade intensiv gesucht wird. In beiden Fällen spricht man von einem „Mismatch“, das heißt, Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt passen nicht mehr zusammen.

Abb. 19: Eine Landkarte zeigt das Verhältnis zwischen Jobsuchenden und offenen Stellen. In ganz Oberösterreich sowie im Großteil Tirols und Vorarlbergs entfallen auf zwei Jobs jeweils rund fünf Arbeitssuchende. In Wien hingegen kommen auf eine offene Stelle durchschnittlich gut 18 Arbeitssuchende.

Sucht beispielsweise eine Vorarlberger Hotelierin einen Koch, wird sie schwer fündig. Und das, obwohl zeitgleich im Osten des Landes viele Köche arbeitslos sind. Im Westen ist es längst üblich geworden, dass Unternehmen Mitarbeiter mit allerlei Anreizen locken, um dieses Arbeitsmarktversagen zu lösen. Dass die Mangelberufsliste jüngst nicht nur ausgeweitet, sondern auch regionalisiert wurde, sorgt zwar für eine kurzfristige Entlastung der Betriebe, die dringend Fachkräfte suchen. Doch die hohe Arbeitslosigkeit in Wien wird dadurch nicht gesenkt.[3]

Bildung als Versicherung

Ein höherer Bildungsabschluss ist eine gute Absicherung gegen Arbeitslosigkeit.

Oft passen nicht nur Berufs- und Wohnort nicht zusammen, sondern auch die Anforderungen und das Profil der Arbeitsuchenden: Arbeitgeber suchen Mitarbeiter mit bestimmten Qualifikationen, und die gibt es trotz der hohen Anzahl an arbeitslos Gemeldeten oft nicht in ausreichendem Maße. Davon zeugt neben der stark gestiegenen Zahl offener Stellen auch die erst jüngst von der ehemaligen Regierung ausgeweitete Mangelberufsliste.[4]Diese weist heuer bereits 45 Berufe auf, u. a. Elektroinstallateure, Bautischler, Augenoptiker oder Krankenpfleger.[5]Was für den Einzelnen gilt, hat auch für die gesamte Volkswirtschaft Gültigkeit: Ein höherer Bildungsabschluss ist eine gute Absicherung gegen Arbeitslosigkeit.

Abb. 20: Menschen, die lediglich über eine Pflichtschulausbildung verfügen, haben es am Arbeitsmarkt schwer. Die Arbeitslosenquote liegt hier bei fast 25, im Durchschnitt über alle Bildungsabschlüsse hinweg bei knapp acht Prozent.

Gerade Langzeitarbeitslosigkeit hat aber nicht nur mit Qualifikation und Region zu tun, das Alter spielt ebenso eine Rolle. Auch auf dem österreichischen Arbeitsmarkt ist der „Instant Ageing“-Effekt stark ausgeprägt. Wird ein über 50-Jähriger arbeitslos, dann werden selbst ehemalige Führungs- und Fachkräfte plötzlich als „alt“ eingestuft und gar nicht erst zu Bewerbungsgesprächen eingeladen.[6]Die große Schwierigkeit, wieder am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, zeigt sich auch darin, dass die durchschnittliche Verweildauer in Arbeitslosigkeit mit dem Lebensalter deutlich zunimmt. Dafür sorgt auch die Konstruktion der österreichischen Arbeitslosenversicherung. Auf die Auszahlung der Arbeitslosenversicherung folgt in Österreich eine theoretisch „ewige“ Leistung in Form der Notstandshilfe. Dies ist im internationalen Vergleich äußerst selten. Die Anzahl der Notstandshilfe-Bezieher hat sich von 2008 bis 2016 mit einem Zuwachs von rund 78.000 auf 167.000 Personen mehr als verdoppelt. 2018 bezogen noch immer 143.602 Personen diese Leistung.

Abb. 21: Speziell ältere Personen haben mit fortdauernder Arbeitslosigkeit Schwierigkeiten, wieder am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Im Durchschnitt ist ein über 60-jähriger Arbeitsloser 348 Tage ohne Job. Bei den 55- bis 59-Jährigen dauert die Jobsuche mit 182 Tage bereits deutlich kürzer.

Handlungsempfehlungen

Arbeitsanreize stärken: Politik schafft selten Jobs, kann es Unternehmen aber erleichtern, diese zu kreieren. Neben einer steuerlichen Entlastung des Faktors Arbeit ist auch eine Reform des Arbeitslosengeldes eine wichtige Stellschraube. Dieses sollte zu Beginn der Arbeitslosigkeit höher ausfallen als derzeit, dann aber sukzessive absinken, ohne dass über die gesamte Bezugsdauer weniger ausbezahlt wird. So ist der Anreiz gegeben, möglichst rasch eine neue Beschäftigung anzunehmen. Gleichzeitig wird so auch das Risiko verringert, in die Langzeitarbeitslosigkeit abzurutschen.

Seniorität schmälern: Das Risiko, langzeitarbeitslos zu werden, ist in der Gruppe der älteren Arbeitnehmer deutlich höher. Und dieses Risiko wird durch die aktuellen Kollektivverträge, die die Entlohnung zu einer Alters- und nicht Produktivitätsfrage machen, noch vergrößert. Nach schwedischem Vorbild aber sollte sich die (kollektivvertragliche) Entlohnung künftig mehr an der Produktivität und nicht am Alter orientieren. Arbeitnehmer würden dadurch nicht weniger verdienen, das Einkommen wäre lediglich im Verlauf des Arbeitslebens anders verteilt. Der Einkommenshöhepunkt fände früher statt (zwischen 40 und 50) und die Arbeitskosten würden sich ab einem gewissen Alter nicht weiter erhöhen.

Arbeitsmarktversagen bekämpfen: Die Politik sollte sowohl Arbeitnehmern als auch Arbeitgebern das Leben erleichtern. Um den regionalen Mismatch in den Griff zu bekommen, sollte eine österreichweite Jobvermittlung intensiviert werden. Das AMS sollte darüber hinaus die arbeitsplatznahe Qualifizierung und die Fachkräfteausbildung noch stärker fördern. Außerdem sollten die Ausbildungsinhalte in Studiengängen und Ausbildungsberufen überprüft und angepasst werden. Gerade digitale Kompetenzen werden auch für Lehrberufe, die ehemals sehr analog waren, künftig unerlässlich sein.


Fußnoten

  1. Vgl. Agenda Austria (2018c).
  2. Vgl. Eurostat (2019b).
  3. Einige Projekte zur überregionalen Vermittlung wurden zwar gestartet, aber offenbar mit zunächst überschaubarem Erfolg. Vgl. Der Standard 2019b)
  4. Vgl. Arbeitsmarktservice (2019c).
  5. Vgl. Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz (2019).
  6. Vgl. Kurier (2019).
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