Digitalpotenzial #3: Verwaltung

Was Österreich von Estlands digitaler Verwaltung lernen kann

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Digitales Estland

In Estland begann nach dem Fall des Eisernen Vorhangs eine rasante Erneuerung. Anstatt sich auf altbewährte Pfade zu begeben, wählten die Esten früh den Weg in die digitale Zukunft. Der Aufbau des digitalen Estland stellt den Bürger in den Mittelpunkt und setzt auf Transparenz.

Schon mehrfach hat Estland sein Modell und das dazugehörige Know-how in andere Länder exportiert.

Estland gilt heute international als Vorbild in puncto digitaler Verwaltung: 97 Prozent der Steuererklärungen werden online eingereicht, nahezu alle Bankgeschäfte über das Internet erledigt. Seit 2005 kann digital gewählt werden, im Jahr 2015 hat von dieser Möglichkeit fast ein Drittel der Wähler Gebrauch gemacht. Die unter 45-Jährigen nutzen regelmäßig Computer und das Internet, und selbst in der Gruppe der Esten über 65 ist fast jeder Zweite regelmäßig online.

Davon profitiert auch die heimische Informationsbranche: Schon mehrfach hat Estland sein Modell und das dazugehörige Know-how in andere Länder exportiert. Finnland etwa hat das estnische Modell zu großen Teilen übernommen, Kanada steht in regem Austausch und erwägt ebenfalls eine Übernahme.

Die vier Säulen des digitalen Estland

Seinen Erfolg verdankt das estnische Modell zum einem der historischen Gelegenheit für einen Neuanfang nach der Loslösung des Landes von der Sowjetunion – zum anderen den Menschen, die darin eine Chance erkannt und ihre politische Vision beherzt umgesetzt haben. Um diese Erfolgsgeschichte verstehen zu können, muss man sich mit ihren Grundlagen befassen – den vier Säulen, die das estnische Modell tragen: die digitale Identität, der Datenhighway X-Road, die umfassende digitale Bildung jedes Bürgers sowie der moderne rechtliche Rahmen.

Säule I – Digitale Identität

Jeder Mensch hat seine eigene, ganz persönliche Identität und kann mit anderen Menschen und Institutionen verbindlich in Kontakt treten.

Jeder Mensch hat seine eigene, ganz persönliche Identität und kann mit anderen Menschen und Institutionen verbindlich in Kontakt treten, also beispielsweise Verträge abschließen. In der analogen Welt bezeugen wir mit unserer handschriftlichen Unterschrift, dass wir Vereinbarungen anerkennen und die Absicht haben, diese auch einzuhalten. Um Verträge in diesem Sinne auch in der digitalen Welt abschließen zu können, nutzt Estland die sogenannte „Public-Key-Infrastruktur“ (PKI). Die PKI ist ein System von Sicherheitsschlüsseln, das ihren Nutzern ermöglicht, sich eindeutig und sicher zu identifizieren oder verschlüsselte Nachrichten zu verschicken.

In Estland stellt der Staat die Public-Key-Infrastruktur zur Verfügung: Jeder Bürger erhält eine Chipkarte, die ihm als Personalausweis dient. Mithilfe der Chip­karte kann sich jeder Bürger digital identifizieren und Dokumente rechtsverbindlich unterschreiben.[1]

Seit 2015 können sich die Bürger Estlands zudem über ihre Mobiltelefone digital identifizieren. Die Sicherheitsinfrastruktur ist dabei vergleichbar mit der Chipkarte.

Der „Schlüssel“ zum Erfolg – Public-Key-Infrastruktur

Die Public-Key-Infrastruktur ist ein Sicherheitssystem aus der Kryptologie. Es wird im Internet genutzt, um Nachrichten zu verschlüsseln oder Dokumente zu signieren. Die Grundidee der Public-Key-Infrastruktur ist, dass jeder Nutzer zwei Schlüssel (Zahlencodes) besitzt: einen privaten und einen öffentlichen. Beide Schlüssel sind über ein mathematisches Verfahren eindeutig miteinander verknüpft. Diese Verknüpfung lässt sich für Außenstehende nicht einsehen. Der öffentliche Schlüssel ist jedem Nutzer des Systems frei zugänglich, den privaten Schlüssel kennt nur der Nutzer selbst.

Möchte beispielsweise Franz eine vertrauliche Nachricht an Sisi schicken, so nutzt er Sisis öffentlichen Schlüssel, um die Nachricht zu verschlüsseln. Diese kann wiederum nur von Sisi selbst durch deren privaten Schlüssel geöffnet werden. Ebenso kann man die Schlüssel nutzen, um sich digital zu identifizieren. Sisi sichert beispielsweise ein Dokument mit ihrem privaten Schlüssel und sendet es an Franz. Kann dieser das Dokument mit Sisis öffentlichem Schlüssel öffnen, so weiß er, dass es eindeutig von ihr stammt. 

Säule II – X-Road

Wenn die elektronische ID als „Pass“ bezeichnet werden kann, so ist die sogenannte X-Road gewissermaßen das Territorium des digitalen Estland. Auf der X-Road bieten der Staat und andere Verwaltungsorgane wie auch privatwirtschaftliche Unternehmen verschiedenste Dienste an.

Die estnische X-Road ist als dezentrales System organisiert. Das bedeutet, dass jeder einzelne Teilnehmer nur jene Daten verwaltet, für die er unmittelbar zuständig ist. So liegen dem nationalen Bevölkerungsregister zwar die Meldedaten aller Bürger vor, nicht aber deren Steuerdaten. Diese wiederum sind nur auf dem Server des Finanzministeriums gespeichert, welches hingegen keinen Zugang zu den Gesundheitsdaten eines Bürgers hat. Ein zentraler Server der estnischen Regierung verwaltet die statistischen Infor­mationen über jeden Informationsaustausch auf der X-Road. Im Nachhinein kann jede Übertragung nachvollzogen und das Serverprotokoll nicht unentdeckt manipuliert werden.

So können alle Bürger in ihren Bürger-Accounts jede Abfrage ihrer persönlichen Daten lückenlos nachvollziehen – mehr noch: Sie haben einen rechtlichen Anspruch auf eine verständliche Begründung für die Abfrage ihrer Daten. Durch dieses maximal transparente System gewinnen die Bürger also außerdem die Hoheit über ihre persönlichen Daten zurück. In einer analogen Welt hingegen kann niemand sicher sein, dass nur Befugte auf seine Daten zugreifen.

Alle Bürger können jede Abfrage ihrer persönlichen Daten lückenlos nachvollziehen.

„Wir schützen den König und nicht seine Reiseroute“ – so fasst Avro Ott, einer der führenden X-Road-Architekten und Direktor der „E-Governance Academy“[2], die Idee der digitalen Infrastruktur in Estland zusammen. Gemeint ist damit, dass der estnische Datenhighway X-Road zwar das öffentliche Internet zum Austausch von Daten nutzt, gleichzeitig alle Informationen auf dieser Datenroute bestmöglich verschlüsselt und seinen Nutzern so eine zuverlässig hohe Sicherheit bieten kann.

Für die Bürger bietet das System der X-Road gleich mehrere Vorteile: Zum einen müssen sie ihre Daten nicht bei jedem neuen Vorgang erneut eintragen, sondern können den Behörden erlauben, auf bereits vorhandene Informationen an anderer Stelle zuzugreifen. Das ist besonders dann vorteilhaft, wenn sich viele verschiedene Stellen zur Leistung eines Service abstimmen müssen.

🇦🇹 In Österreich weicht der ersten Freude über den Nachwuchs schon rasch der Frust mit der Bürokratie. Mutterschutz, Geburtsurkunde, Mutter-Kind-Pass, Karenzgeld oder Familienbeihilfe.[3] Bereits ein einziges Kind bedeutet schon viel Verwaltungsaufwand. Die Geburtsurkunde vom Standesamt, Karenzgeld von der Krankenkasse und Familienbeihilfe vom zuständigen Finanzamt. Will man hierzulande staatliche Hilfeleistungen in Anspruch nehmen, grübelt man nicht nur über einen Berg an Anträgen, sondern ist auch viel zwischen den jeweiligen Stellen unterwegs.

🇪🇪 Anders sieht die Sache in Estland aus. Auch hier müssen Anträge ausgefüllt werden. Dies ist aber ausnahmslos auch digital möglich. Eine persönliche Anwesenheit auf den jeweiligen Ämtern ist nicht mehr notwendig. Zudem profitieren die Menschen in Estland vom digitalen Datenaustausch. Über die X-Road autorisiert der Nutzer zum Beispiel den
zuständigen Beamten, diese Daten einmalig abrufen zu dürfen, um dann die Zahlung des Kinder­geldes vornehmen zu können.


Fußnoten

  1. Siehe ID.ee (2018).
  2. Die e-Governance Academy ist ein Thinktank und Beratungsorganisation, die mit dem Ziel der Wissensschaffung und -Vermittlung gegründet wurde.
  3. Seit Mai 2015 gilt auch in Österreich, dass für im Inland geborene Kinder die Familienbeihilfe automatisch ausbezahlt wird, sobald die Geburt im Personenregister vermerkt ist.
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