Wer braucht schon Freihandel?
- 16.12.2020
- Lesezeit ca. 5 min
1.270 Euro Wohlstandsgewinn – jedes Jahr
Seit Smith ist es in der Volkswirtschaft de facto unumstritten, dass der internationale Handel den Wohlstand eines Landes erhöht. „Es gibt wenig seriöse wissenschaftliche Literatur, die in Abrede stellt, dass wirtschaftliche Offenheit einen positiven Effekt auf das durchschnittliche Einkommen der Bürger eines Landes haben kann.“[1] Dies gilt insbesondere für kleine Länder, wo sowohl Ressourcen limitiert sind als auch die Zahl der Konsumenten überschaubar ist. Knapp 56 Prozent der österreichischen Güter und Dienstleistungen erreichen Konsumenten im Ausland. Und das sind nicht nur die Erzeugnisse von Großkonzernen. Die große Mehrzahl der zigtausend österreichischen Unternehmen, die das Ausland mit Waren beliefern, sind kleine und mittelgroße Betriebe. An diesen Exportmärkten hängt auch ein großer Anteil an Arbeitsplätzen und Einkommen der Österreicher. So ist etwa jeder zweite Arbeitsplatz hierzulande direkt über Exporte und indirekt über Zulieferer abhängig vom Außenhandel.[2]
Allein bis zum Jahre 2014 wäre die Gesamtbeschäftigung ohne die EU-Mitgliedschaft um rund 13 Prozent geringer ausgefallen.[3] Zwischen 1995 und 2015 sind durch die europäische Integration rund 245.000 zusätzliche Arbeitsplätze in Österreich entstanden.[4] Darüber hinaus gilt: „Österreichische Exporte in Nicht-EU-Länder sichern wiederum 495.000 Arbeitsplätze im Land.“[5] Studien kommen zudem zu positiven Arbeitsmarkteffekten im Falle einer Intensivierung des internationalen Handels über Zollsenkungen[6] oder Freihandelsabkommen.[7]
Die Welt als Absatzmarkt hat es österreichischen Unternehmen erlaubt, sich in Nischenmärkten zu spezialisieren und Weltmarktführer zu werden. Dank der globalen Nachfrage war diese Spezialisierung zu wettbewerbsfähigen Kosten und hoher Qualität möglich. In einer Welt mit deutlich weniger Freihandel wäre dies nicht der Fall gewesen und die Wertschöpfung wäre folglich deutlich geringer.
Aber nicht nur die Exporte machen die Österreicher reicher – auch profitieren wir von der Verfügbarkeit von Waren, die es hierzulande nicht gibt oder die man sich als einfacher Bürger nicht leisten könnte, wenn sie in Österreich hergestellt würden. Die Österreicher konsumieren international: Das iPhone kommt von Apple, die Jeans von Levi’s, die Sneakers von Adidas oder Nike. Auch in der digitalen Welt kümmern wir uns nicht um die Grenzen der Nationalstaaten. Facebook, Twitter oder Instagram gehören für viele zum Alltag – auch ohne das Gütesiegel „Made in Austria“. Ein wesentlicher Teil dessen, was wir jeden Tag konsumieren, hat (teilweise) einen Wertschöpfungsprozess im Ausland durchlaufen.
Ein weiterer, sehr wichtiger Punkt, der von Freihandelsgegnern ignoriert wird: Der Außenhandel stärkt die Kaufkraft niedriger Einkommen besonders stark.[8] Berechnungen zufolge liegt der Wohlstandsgewinn, den die fortschreitende Globalisierung und Einbindung Österreichs in die globalen Lieferketten zwischen 1990 und 2018 einem Durchschnittsbürger in Österreich bescherte, bei jährlich knapp 1.270 Euro.[9] Damit gehören die Österreicher zu den klaren Globalisierungsgewinnern.
Fußnoten
- Felbermayr & Görg (2020). Auch eine Umfrage unter 210 promovierten Ökonomen der American Economic Association ergab, dass der positive Effekt des internationalen Handels auf den Wohlstand die höchste Zustimmung bekam (Whaples, 2006). ↩
- WKO (2020). ↩
- Oberhofer & Streicher (2019). ↩
- Breuss (2015). ↩
- EU-Kommission (2019). ↩
- Oberhofer et al. (2018). ↩
- Bertelsmann Stiftung (2013), Breuss (2014). ↩
- Fajgelbaum & Khandelwal (2016). ↩
- Sachs et al. (2020). ↩
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