Wer braucht schon die Mitte?

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Krisen setzen der Mittelschicht zu

Wie eingangs erwähnt, kann die Mitte eine stabilisierende Funktion in Krisen einnehmen.[1] Eine breite Mitte hilft also, schlechte Zeiten besser zu meistern. Dennoch gehen wirtschaftliche Einbrüche nicht spurlos an der Mitte vorbei. Zwar blieb die Mittelschicht nach der Wirtschafts- und Finanzkrise sowie der Eurokrise beginnend im Jahr 2010 anteilsmäßig in Österreich stabil. Die Einkommen innerhalb der Mitte sta­gnierten preisbereinigt allerdings zwischen 2009 und 2015 weitgehend. Auch in Krisen spielt der Sozialstaat eine entscheidende Rolle. Besonders anschaulich wird dies im Zuge der Corona-Pandemie beziehungsweise der vom Überfall Russlands auf die Ukraine ausgelösten Energiekrise.

Die Auswirkungen von Corona

Corona brachte die Wirtschaftsaktivität im Land zu Beginn des Jahres 2020 in großen Teilen zum Erliegen. Es gab Wertschöpfungsverluste von bis zu zwei Milliarden Euro pro Woche.[2] Über das ganze Jahr betrachtet belief sich der Wohlstandsverlust auf fast sieben Prozent. Die Corona-Krise führte in (fast) allen Ländern der Welt zu Wohlstandsverlusten.[3] In Österreich konnte der Sozialstaat die Auswirkungen des Wirtschaftseinbruchs auf die Haushaltseinkommen allerdings zu einem erheblichen Teil abfedern. Dies liegt vor allem an den sogenannten automatischen Stabilisatoren: Einerseits dämpft das Arbeitslosengeld bei Jobverlust die Einkommenseinbußen. Hinzu kommt, dass für niedrigere Einkommen weniger Steuern bezahlt werden, was den Verlust beim Nettoeinkommen abfedert. Was die Wirkung der automatischen Stabilisatoren angeht, liegt Österreich innerhalb der EU relativ weit vorne – nämlich auf Rang sieben unter 27 EU-Mitgliedstaaten.[4]

Im ersten Jahr der Pandemie 2020 kam insbesondere der Kurzarbeit[5] zusätzlich eine tragende Rolle beim Erhalt der Kaufkraft der Beschäftigten zu. Die Anzahl der Menschen in Kurzarbeit stieg im März und April binnen kürzester Zeit sprunghaft auf über eine Million an. Zusätzlich zur Unterstützung durch die Kurzarbeit gab es Einmalzahlungen für Kinder und arbeitslose Personen.

Wie stark diese Maßnahmen wirkten, lässt sich mit Zahlen illustrieren: Während die Wirtschaftsleistung im Jahr 2020 real um fast sieben Prozent sank, lag der Rückgang der verfügbaren Haushaltseinkommen bei nur etwa einem Prozent. Wobei die mittleren Einkommen (die Mittelschicht erstreckt sich zwischen dem dritten und neunten Dezil) leicht höhere Einkommensverluste zu verzeichnen hatten.[6]

Abbildung 13: Wie die Corona-Hilfen gewirkt haben

Dennoch wird die Krise bleibende Schäden hinterlassen – unter anderem im Bildungswesen. Für eine Studie in den Niederlanden wurden Schularbeiten vor und nach dem ersten Lockdown im Jahr 2020 miteinander verglichen. Ergebnis: Der Lernverlust entsprach ziemlich genau dem Zeitraum, über den die Schulen geschlossen waren.[7] Der Online-Unterricht konnte also kaum etwas kompensieren.

Eine deutsche Analyse kommt zu dem Schluss, dass Schüler durch die Corona-Maßnahmen bei der Lesekompetenz ein halbes Jahr verloren haben.[8] Lücken in dieser Größenordnung sind auch in Österreich anzunehmen. Außerdem ist zu erwarten, dass die Bildungsverluste bei jenen Schülern besonders groß waren, die im eigenen sozialen Umfeld weniger Unterstützung erhielten und bereits vor Corona eher schwächere Bildungsfortschritte verzeichneten. Formale Ausbildung ist eine der wichtigsten Einflussgrößen auf den späteren Verdienst im Beruf. Der Verlust eines halben Schuljahres würde das Bruttojahreseinkommen über die gesamte Erwerbskarriere hinweg um bis zu 900 Euro jährlich senken.[9]

 


Fußnoten

  1. Vgl. Murphy et al. (1989).
  2. Vgl. Fenz & Stix (2021).
  3. Vgl. OECD (2021c).
  4. Vgl. Mourre et al. (2019).
  5. In Österreich liegt die Vergütung der Corona-Kurzarbeit in einer einkommensabhängigen Bandbreite zwischen 80 und 90 Prozent des letzten Nettoentgeltes.
  6. In Österreich liegt die Vergütung der Corona-Kurzarbeit in einer einkommensabhängigen Bandbreite zwischen 80 und 90 Prozent des letzten Nettoentgeltes.
  7. Vgl. Engzell et al. (2021).
  8. Vgl. Ludewig et al. (2022).
  9. Vgl. Werner & Wössmann (2021).
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