Wie soll ich das bezahlen?
- 30.10.2020
- Lesezeit ca. 6 min
Warum Österreichs Pensionssystem neu verhandelt werden muss
Wie die Pensionen wieder sicher gemacht werden
Dass Österreich bei der betrieblichen und privaten Vorsorge so großen Aufholbedarf hat, kann ein Vorteil sein. Kleine Änderungen könnten bereits eine große, positive Wirkung entfalten. Eine stärkere zweite und dritte Säule sollen das Umlagesystem der ersten Säule keineswegs ersetzen, können aber dazu beitragen, das gesamte Pensionssystem zu stabilisieren und es nachhaltiger zu gestalten. Gleichzeitig darf man sich aber nicht erwarten, dass die Stärkung der beiden Säulen dazu geeignet wäre, das Pensionsloch zu stopfen. Die Ausgaben werden auch in den nächsten Jahren die Einnahmen weit übersteigen. Die Differenz muss der Steuerzahler ausgleichen. Solange dies der Fall ist, hat das heimische Umlagesystem seinen Namen eigentlich nicht verdient. Um es komplett zu sanieren, braucht es nachhaltige Änderungen – angefangen mit der automatischen Erhöhung des Pensionsantrittsalters.
Handlungsempfehlungen für die betriebliche Vorsorge
- Die Abfertigung Neu sollte durch einen Pensionskassenvertrag für alle ersetzt werden. Wie von den Experten der Europäischen Kommission vorgeschlagen und unter anderem bereits im Vereinigten Königreich umgesetzt, sollte es eine Ausstiegsmöglichkeit für Arbeitnehmer aus dem System geben. Ähnlich wie jetzt können zumindest die 1,53 Prozent des Bruttolohns für die Abfertigung nun in diesen Pensionskassenvertrag eingezahlt werden. Besser wäre eine etwas höhere Prozentsumme.
- Der Vorteil der Abfertigung Neu ist, dass dieses Modell auch für Selbständige gilt. Das Fehlen der betrieblichen Säule für Selbständige und weitere neue Arten der Arbeit stellt u. a. in Dänemark ein Problem dar. Daher sollte beim Pensionskassenvertrag für alle ein Modell angedacht werden, in das auch Selbständige miteinbezogen werden können.
- Die Kapitalgarantie sollte in jedem Fall abgewählt werden können, sowohl in der Abfertigung als auch im Pensionskassensystem.
- Um auch in Unternehmen investieren zu können, die nicht am Aktienmarkt notieren, soll die gesetzliche Bestimmung abgeschafft werden, dass ein Tageswert für alle Anlagen der Pensionskassen berechnet werden muss.
- Um Pensionskassen (und anderen Investoren) eine Möglichkeit zu geben, in Start-ups etc. zu investieren, sollte Österreich mithilfe von staatlichen Garantien einen privat finanzierten Wachstumsfonds ähnlich dem dänischen „Vaekstkapital“ unterstützen.
Handlungsempfehlungen für die private Vorsorge
- Ein gutes Pensionssystem zeichnet sich durch eine transparente und unkomplizierte Ausgestaltung aus. Um dies trotz einer großen Auswahl an Produkten dennoch zu gewährleisten, wäre es möglich, die Ausgaben des Arbeitnehmers aus der zweiten mit der dritten Säule zu verbinden. Alle Beiträge bis zu den 1,53 Prozent (bzw. höher, wenn die Beiträge der Kapitaldeckung des Bruttolohns, die nicht mehr zu den Einnahmen des Umlagesystems gehören, hinzugerechnet werden), die nicht in die zweite Säule laufen, könnten hierbei umgeleitet werden, z. B. in die Europarente oder in das unten beschriebene private Depot für die Pensionsvorsorge. Soll das Kapital früher entnommen werden, ist eine Nachversteuerung notwendig.
- Überhaupt wäre es sinnvoll, dem privaten Anleger mehr Freiraum bei der Gestaltung der eigenen Pensionsvorsorge einzuräumen, wenn die Europarente für den individuellen Anleger zu unflexibel gestaltet ist. Das Schweizer Modell, bei dem ein individuelles Depot der privaten Vorsorge gewidmet werden kann, was Steuervorteile und Planungssicherheit gewährleistet, ist deshalb dringend zu überlegen. Die Erfahrungen mit allen bisher genannten Produkten (Abfertigung Neu, Pensionskassen, prämienbegünstigte Zukunftsvorsorge und Europarente) zeigen, dass die private Vorsorge am Kapitalmarkt vor allem durch zwei Faktoren behindert wird:
- Faktor 1: Politisch vorgegebene Regeln zur „sicheren“ Veranlagung, die in der Praxis aber die Rendite schädigen und damit das Ziel der Zukunftsvorsorge verfehlen.
- Faktor 2: Komplizierte, teure Produkte, die vor allem den Finanzinstituten helfen, die sie anbieten – nicht aber dem Kunden, der für die Pension spart.
Der technische Fortschritt sowie der Preiskampf zwischen Direktbanken und Fondsgesellschaften ermöglichen inzwischen äußerst günstige, breit gestreute Geldanlagen. Kontoführungs- und Verwaltungsgebühren von gemeinsam mehr als einem Prozent der Veranlagungssumme sollten von Investoren generell vermieden werden. Gerade über lange Zeiträume spielen Gebühren, die die Rendite empfindlich schmälern können, eine gewaltige Rolle. Ein simples Modell, bei dem ein privates Depot für die Pensionsvorsorge gewidmet werden kann, damit Auszahlungen nach Pensionsantritt steuerfrei sind, wäre deshalb zu empfehlen. Noch besser wäre ein System, in dem vor Steuer einbezahlt werden kann. In diesem Fall wäre eine Endbesteuerung bei der Auszahlung notwendig. Auch beide Produkte parallel anzubieten, wäre eine Option. Die größtmögliche Wahlfreiheit für Investoren erhöht auch den Druck auf die Finanzindustrie, bei den anderen Produkten die Kosten zu senken. So werden langfristige Investments zur Vorsorge attraktiver.
Handlungsempfehlungen für begleitende Maßnahmen
- Senkung der Steuer- und Abgabenquote: Es gibt viele Möglichkeiten, die zweite und dritte Säule nachhaltig zu stärken. Die durchschnittliche Belastung des Einkommens lag in Österreich im Jahr 2019 bei 47,9 Prozent. Im Vergleich zu anderen OECD-Staaten liegen wir somit auf Platz vier. Es ist das eine, das Pensionssystem langfristig auf mehr Kapitaldeckung umzuschichten. Aber es ist etwas anderes, die Pensionslücke langfristig zu schließen. Damit den Österreichern die Möglichkeit gegeben wird, selbständig mehr vorsorgen zu können (auch von ihrem Nettolohn), ist es notwendig, diese Steuer- und Abgabenquote massiv zu reduzieren.
- Stärkung der Finanzbildung und des Finanzwissens: Bei aller Freiwilligkeit gibt es ein Problem: die Einstellung der Österreicher gegenüber Finanz- und Kapitalmärkten bzw. das Wissen darüber. Der Vorteil bei großen institutionellen Investoren wie Pensionskassen ist, dass sie das Risiko oft besser einschätzen können als private Haushalte, die tendenziell risikoscheuer sind. Läge nun aufgrund der privaten Vorsorge mehr Verantwortung auf den Schultern dieser privaten Haushalte, ließen sie vermutlich daher noch mehr Erträge liegen. Daher ist „Financial Literacy“ entscheidend, um eine stabile dritte Säule zu gewährleisten.
Das wirtschaftliche Wissen der Österreicher lässt bekanntermaßen zu wünschen übrig. Sowohl jenes der Schüler als auch das der Erwachsenen. 91 Prozent der Österreicher wissen nicht, was Anleihen sind. Fast die Hälfte, nämlich 48 Prozent, weiß nicht, was Zinsen sind. Diese Bilanz ist erschreckend, zeigt aber auch auf, welches Verbesserungspotenzial es gibt. Auch der Einfluss der Eltern auf den Umgang mit Geld ist nicht zu unterschätzen.
Daher gehört zur Finanzbildung in der Schule, dass die Schüler bereits früh mit der Frage konfrontiert werden, wie man verantwortungsbewusst mit Geld umgeht. Mittlerweile gibt es dazu unzählige Apps und Spiele, die die Pädagogen bereits im Kindergarten den Kindern nahebringen können. Weiter mit der Finanzbildung soll es dann in der Volksschule und in den darauffolgenden Schulstufen gehen. Das Finanzwissen ist nur ein Teil, der die „Financial Literacy“ verbessert. Dieses Wissen muss sich langfristig auch im Verhalten der Menschen widerspiegeln. Auch reicht es nicht aus, Finanzbildung als Schulfach einzuführen. Es braucht auch Informationskampagnen für die erwachsene Bevölkerung, die aktuell vor allem aufs Sparbuch setzt. Wünschenswert wäre auch, Schritte zur Verbesserung der „Aktienkultur“ in Österreich generell zu setzen. Dazu müssen auch die Politiker mit gutem Beispiel vorangehen, anstatt Wertpapiere zu verteufeln. Die Nullzinsphase wird mit hoher Wahrscheinlichkeit noch lange andauern. Wenn die Österreicher so weitermachen wie bisher, ist unser Wohlstand langfristig bedroht.
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