Inflation. Warum die EZB jetzt handeln muss
- 16.03.2023
- Lesezeit ca. 4 min
Die Inflation in Österreich ist so hoch wie seit über 70 Jahren nicht mehr, im Jänner 2023 waren es mehr als elf Prozent. In der Eurozone ist sie sogar so hoch wie noch nie seit der Einführung des Euro: Im gesamten Jahr 2022 betrug die Teuerung im Euroraum 8,4 Prozent. Die Europäische Zentralbank (EZB) erhöhte zuletzt zwar mehrfach den Leitzins, doch für eine Trendwende reicht das nicht. Der Zinssatz im Euroraum müsste nach aktuellem Stand schrittweise auf sieben Prozent ansteigen, um die Inflation nachhaltig einzubremsen. Sollte die EZB weiter zögern, wird sich der Trend verfestigen.
Die Europäische Zentralbank hat ihre Inflationsprognose für den Euroraum im Dezember 2022 abermals angehoben.[1] Für das Gesamtjahr 2022 wurde ein Preisanstieg von 8,4 Prozent verzeichnet, deutlich über den ersten Prognosen der EZB. Auch für das laufende Jahr werden noch 6,3 Prozent erwartet.[2] Die hohe Teuerung droht also nicht so schnell zu verschwinden. Das ist nicht überraschend, viele Beobachter warnen schon länger davor, dass die Inflation nicht so schnell zurückgehen werde. Die Führung der Zentralbank wollte das nicht glauben: „Wir sehen keinerlei Anzeichen, dass der Anstieg der Inflation sich auf breiter Basis über die Wirtschaft ausbreitet“, sagte EZB-Chefin Christine Lagarde noch im September 2021.[3]
Diese falsche Einschätzung hat Folgen für uns alle. Die EZB blieb viel zu lange auf ihrem geldpolitischen Kurs mit niedrigen Leitzinsen. Das ist gefährlich und kann die hohen Inflationsraten verfestigen. Sorgen bereitet im Moment vor allem die dramatisch gestiegene Differenz zwischen zwei wichtigen Variablen, der Kerninflation und dem realen Leitzins. Dieser Abstand liegt derzeit bei mehr als elf Prozentpunkten und ist damit viel höher als bei der letzten starken Inflationswelle in den 1970er-Jahren. Die EZB muss darauf reagieren und den Leitzins so lange schrittweise erhöhen, bis er die Kerninflationsrate übersteigt. Das wäre derzeit bei einem Niveau von sieben Prozent der Fall.
Das Dilemma der EZB
Konnte die EZB ahnen, dass die Preissteigerungen derartige Dimensionen erreichen würden? Oder waren der Zentralbank wegen der hohen Staatsverschuldungen bestimmter Länder der Eurozone die Hände so stark gebunden, dass sie erst (viel zu) spät reagieren konnte? Die Federal Reserve (Fed) in den USA begann bereits im März 2022 mit der geldpolitischen Wende, also einer Erhöhung des Leitzinses. Die EZB folgte erst im Juli desselben Jahres. Allerdings ist die Inflation in den USA auch viel stärker durch die massiven staatlichen Ausgabenprogramme im Zuge der Corona-Krise getrieben und weniger durch die Energiepreise. Zudem sind die USA dem Euroraum im Zinszyklus voraus.[4] Die Zinsdifferenz zwischen US-Dollar und Euro führte letztendlich aufgrund der damit einhergehenden Schwächung des Euro zu zusätzlichem Inflationsdruck im Euroraum.
Jetzt hat die EZB folgendes Problem: Sie musste die eigene Inflationsprognose mehrfach nach oben korrigieren (siehe Abbildung 1). Im Juni 2022 prognostizierte sie für das Jahr 2023 im Euroraum noch eine Teuerung von 3,5 Prozent, im September 2022 rechnete sie schon mit 5,5 Prozent und im Dezember mit 6,3 Prozent. Besonders brisant: Auch das Ende des Prognosezeitraums wurde dabei immer weiter angehoben, wie derzeit Prognosen für das Jahr 2024. Das Resultat: Die EZB hat nun ein Glaubwürdigkeitsproblem. Vertrauen in die eigene Expertise ist aber die härteste Währung, die eine Zentralbank anzubieten hat. Für die Öffentlichkeit wäre es weniger schlimm, wenn die Inflationsprognose nach unten angepasst werden müsste. Fällt die Teuerung regelmäßig höher aus, als vorab kommuniziert wurde, führt das aber zu massiver Verunsicherung.
Wie kann eine Zentralbank die Inflation beeinflussen?
Das klassische Instrument in der Inflationsbekämpfung ist die Anhebung des Leitzinssatzes. Letzterer beeinflusst den Zins, mit dem sich Finanzinstitutionen bei der Zentralbank Geld leihen können, und damit in weiterer Folge auch jenen Zinssatz, mit dem Banken das Geld weiterverleihen. Wird der Leitzinssatz angehoben, verteuert das also die Zinsen für Unternehmens- und Privatkredite. Unternehmen investieren dann weniger und Privatpersonen schränken ihren Konsum ein. Damit kühlt das Wirtschaftsgeschehen etwas ab und die Preise steigen weniger stark – die Inflation sinkt. Eine Senkung des Leitzinssatzes hat den gegenteiligen Effekt.[5] Maßnahmen, mit denen die Inflation bekämpft wird, werden als kontraktive Geldpolitik bezeichnet. Maßnahmen, die sie steigern sollen, nennt man expansive Geldpolitik.
Fußnoten
- Vgl. European Central Bank (2022). ↩
- In Österreich betrug die Inflationsrate nach der nationalen Messmethode im vergangenen Jahr 8,6 Prozent. Für das kommende Jahr werden 6,5 Prozent erwartet (vgl. Ederer & Glocker, 2022). ↩
- https://www.cnbc.com/2021/09/28/ecb-shouldnt-overreact-to-temporary-inflation-spike-lagarde-says.html sowie https://www.faz.net/aktuell/finanzen/ezb-chefin-lagarde-haelt-anstieg-der-inflation-fuer-voruebergehend-17559628.html. ↩
- Das bedeutet, dass in den USA die Inflationsrate bereits deutlich früher anzusteigen begann. So war dort schon im März 2021 eine Inflationsrate von über zwei Prozent zu verzeichnen, während sie im Euroraum noch bei 1,3 Prozent lag und erst im Juli desselben Jahres die Zwei-Prozent-Marke überschritt. ↩
- In den vergangenen Jahren haben die Zentralbanken aber noch ein zusätzliches Instrument zur Beeinflussung der Inflationsrate benutzt: den Ankauf von Staatsanleihen. Das zusätzlich dem Wirtschaftskreislauf bereitgestellte Geld wirkt ähnlich wie eine Senkung des Leitzinssatzes. ↩
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