
Der Arbeitsmarkt fährt Achterbahn
Wer heute einen Job sucht, hat freie Auswahl: Der Personalmangel in heimischen Betrieben ist so groß wie lange nicht mehr. Das klingt nach einem Luxusproblem – wird auf Dauer aber der Wirtschaft und dem Sozialstaat schaden. Wir haben untersucht, wie es dazu kam, wo die Not am größten ist und was die Politik dagegen tun kann.
Der Arbeitsmarkt galt einst als schwerer Tanker, der nur sehr langsam bremsen oder die Richtung ändern könne. Doch seit einigen Jahren gleicht seine Entwicklung einer Fahrt mit der Achterbahn. Der wilde Ritt begann spätestens mit der Finanzkrise von 2008. In den konjunkturell schwachen Jahren danach stieg die Arbeitslosenrate in historische Höhen. Als sich 2017 die Wirtschaft erholte, begannen auch die Arbeitslosenzahlen sukzessive wieder zu sinken – nur um im Jahr 2020 im Zuge der Pandemie einen nie da gewesenen Anstieg zu verzeichnen. Zwei Jahre später folgte die nächste unerwartete Kehrtwende. Der Arbeitsmarkt ist nun wie leergefegt. Das gilt nicht nur für Österreich, sondern für weite Teile der westlichen Welt, was den Konkurrenzkampf zusätzlich verschärft. Aus dem Fachkräftemangel vor Corona wurde ein genereller Arbeitskräftemangel. Dieser Policy Brief beleuchtet die aktuelle Situation und den Weg, der uns dahin gebracht hat. Aus der Analyse ergeben sich Handlungsempfehlungen für die Politik. Nichtstun ist keine Option.
Es ist und bleibt schwierig
Trotz der trüben Aussichten für die Wirtschaft bleibt die Lage auf dem österreichischen Arbeitsmarkt weiter sehr angespannt: Im Sommer waren beim Arbeitsmarktservice (AMS) so viele offene Stellen registriert wie noch nie. Die Zahl der Arbeitslosen je offener Stelle ist so niedrig wie noch nie im 21. Jahrhundert.
Die bevorstehende konjunkturelle Abkühlung wird die Situation zwar leicht entspannen. Das Problem wird uns aber auch in den kommenden Jahren weiter begleiten. Die Politik ist also gefordert, proaktiv zu handeln und nicht auf bessere Zeiten zu warten.
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Abbildung 1: Entwicklung des Arbeitskräftemangels
Mangelberufe: Wo die Not am größten ist
Was haben Elektriker und Krankenpfleger gemeinsam? Sie arbeiten in sogenannten Mangelberufen.[1] Wie die Bezeichnung andeutet, handelt es sich dabei um jene Professionen, in denen es besonders schwer ist, offene Stellen zu besetzen.
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Abbildung 2: Jede zweite offene Stelle betrifft einen sogenannten Mangelberuf
Nach einem Peak Anfang der 1990er-Jahre mit knapp 40.000 ausgeschriebenen Stellen in Mangelberufen war das Problem lange Zeit überschaubar. Aber bereits vor Ausbruch des Coronavirus kam es zu einem spürbaren Anstieg, der sich nach den Lockdown-Jahren 2020 und 2021 noch einmal verstärkte. Mittlerweile hat der Mangel historische Dimensionen erreicht: So gab es Ende Juli 2022 mehr als 80.000 offene Stellen in Mangelberufen, die sich wegen fehlender Interessenten mit passender Qualifikation kaum besetzen ließen – das sind mehr als doppelt so viele wie vor der Pandemie. Damit betraf jede zweite ausgeschriebene Stelle in Österreich einen Mangelberuf.[2] Das hängt auch damit zusammen, dass die Anzahl der Berufe, in denen Arbeitskräftemangel herrscht, in den letzten Jahren deutlich angestiegen ist.
- Autor: Hanno Lorenz, Dénes Kucsera
- Themen: Arbeitsmarkt, Bundesländer, Der Arbeitsmarkt fährt Achterbahn, Mangelberufe, regionale Unterschiede
- Datum: 30. November 2022
Fußnoten
- Definition des Arbeitskräftemangels: Sind österreichweit mindestens 100 Stellen in einem Beruf ausgeschrieben und liegt die Zahl der Arbeitslosen im Verhältnis zu den offenen Stellen unter 1,5, gilt die Besetzung einer Stelle als so schwierig, dass es sich um einen Mangelberuf handelt. ↩
- Weil nicht alle Unternehmen ihre offenen Stellen dem AMS melden, gibt es in der Realität noch viel mehr Jobangebote. Die Statistik Austria wies im dritten Quartal 2022 218.000 offene Stellen aus, davon waren rund 145.000 offene Stellen auch beim AMS gemeldet. ↩