Vogel Strauß for President
- 25.02.2023
- Lesezeit ca. 4 min
Während andere Länder wichtige Entscheidungen einer breiten Diskussion zuführen, wird hierzulande der Kopf in den Sand gesteckt. Das geht selten gut.
Die Österreicher streiten nicht gerne. Sie lassen sich auch nicht gerne in langwierige Debatten verstricken. Die heimische Bevölkerung duckt sich lieber weg und hofft, dass unangenehme Fragen von selbst wieder verschwinden. Das ist dieser Tage besonders gut zu beobachten. Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat sich zwar nicht alles, aber doch vieles geändert. Glaubte vor dem 24. Februar 2022 noch kaum jemand an die Möglichkeit eines Krieges auf europäischem Boden, wissen mittlerweile alle, wie naiv das war. Jetzt muss Österreich nicht gleich morgen der Nato beitreten, um sich vor einem möglichen Aggressor zu schützen. Aber vielleicht wäre es an der Zeit, eine schonungslose und ergebnisoffene Debatte darüber zu führen, was der Angriff Russlands für die Sicherheit der heimischen Bevölkerung bedeutet. Was sich verändert hat und welche sicherheitspolitischen Optionen wir haben.
Die Schweden und Finnen haben genau diese Fragen geklärt und sich nach breiter öffentlicher Diskussion dazu entschlossen, ihre Neutralität gegen eine Nato-Partnerschaft einzutauschen. Weil sie wissen, dass auf europäischem Boden kein besserer Schutz zu finden ist. In Österreich hat Bundeskanzler Karl Nehammer die Debatte für beendet erklärt, bevor sie begonnen hat: „Österreich war neutral, Österreich ist neutral und Österreich bleibt neutral.“ Das kollektive Durchatmen von Bregenz bis Neusiedl war förmlich zu spüren. Die Bevölkerung liebt die Neutralität, sie fühlt sich von ihr beschützt. Für Europaministerin Karoline Edtstadler ist sie gar „identitätsstiftend“. Vielleicht ist die Beibehaltung der Bündnisfreiheit ja der richtige Weg. Möglicherweise aber auch nicht. Es deutet nämlich verdammt viel darauf hin, dass wir uns in ein sicherheitspolitisches Wolkenkuckucksheim verirrt haben, ohne es zu merken. So meinte die finnische Premierministerin Sanna Marin dieser Tage, dass Russland nicht nur für Finnland eine Bedrohung sei, sondern für ganz Europa: „Sie greifen ein Land an, sie zerstören die Infrastruktur, sie töten Zivilisten“.
Keineswegs verkehrt ist es, in so einer Situation das heruntergekommene Bundesheer aufzurüsten. Wenn aber schon zehn (nicht vorhandene) Milliarden Euro für die Aufrüstung ausgegeben werden, wäre es vermutlich nicht ganz verkehrt, sich vorher zu überlegen, welche Art von Bundesheer es künftig brauchen wird. Und welche Rolle Österreich innerhalb der europäischen Sicherheitsarchitektur zu spielen gedenkt. Wir sollten uns nicht dauerhaft von anderen zum Nulltarif schützen lassen, sondern uns überlegen, was Österreich zum Schutz seiner Nachbarn beitragen kann. Über all das wird aber nicht geredet. Wir waren neutral, wir sind neutral, wir bleiben neutral. Ende der Durchsage.
Keinen ausufernden Diskussionsbedarf scheint es auch an anderer Stelle zu geben. Der ORF wird künftig über eine „Haushaltsabgabe“ finanziert, wie Medienministerin Susanne Raab über den „Kurier“ kurz und bündig ausrichten lässt. Künftig müssen also alle für den ORF bezahlen – unabhängig davon, ob sie ein Fernsehgerät besitzen oder das Angebot des ORF nutzen. Das deshalb, weil sich viele Seher und Hörer um ihre Beiträge drücken. Vor allem jene, die zu Hause via Laptop streamen, aber nichts bezahlen. Das leuchtet ein. Diese finanzielle „Streaming-Lücke“ wäre aber ziemlich einfach zu schließen gewesen. Entweder, indem der ORF nur jene Inhalte über seine digitalen Plattformen anbietet, die auch kostenlos zu konsumieren sind. Oder indem nur jene Haushalte über ein Login streamen können, die dafür bezahlen. Technisch dürfte das heutzutage machbar sein. Stattdessen führt eine bürgerliche Medienministerin nahezu geräuschlos eine ORF-Steuer ein.
Jetzt ist es nicht so, dass gar nicht über die Sache geredet wird. Die öffentliche Debatte erschöpft sich allerdings in der Frage, wie sich die rotweißrote Welt ohne Radio Symphonie Orchester und ORF Sport+ weiterdrehen soll. Wie der ORF im Zeitalter der Digitalisierung aussehen soll, scheint niemanden wirklich zu interessieren. Ebenso ungeklärt bleibt, wie viele Fernsehkanäle, Radiosender und Landesstudios in einer völlig auf den Kopf gestellten Medienwelt noch angebracht sind. Oder wie ein professionell besetzter Stiftungsrat aussehen könnte. Stattdessen wird mit einer eigenen Steuer der Status Quo des ORF einzementiert. Oder kann sich jemand eine Regierung vorstellen, die dem ORF eine höhere Haushaltsabgabe verwehren wird, nachdem der politisch besetzte Stiftungsrat eine Anhebung explizit empfohlen hat, um das Unternehmen vor dem finanziellen Kollaps zu bewahren? Eben. Ob das alles dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf Dauer guttun wird, ist zu bezweifeln. Es steht nämlich zu befürchten, dass die medialen Umwälzungen den ORF genauso betreffen wie die russischen Aggressionen die Sicherheit des gesamten Landes berühren. Auch wenn das kaum jemand wahrhaben will.
Kolumne von Franz Schellhorn für “profil” (25.02.2023).
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