Bildungsmobilität lässt sich anhand einer Vielzahl verschiedener Indikatoren darstellen oder messen. In der öffentlichen Diskussion sind das vor allem Darstellungen der Mobilität zwischen den Generationen: In den sogenannten intergenerationellen Bildungsvergleichen wird das Bildungsniveau einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Alterskohorte im Verhältnis zu den Bildungsabschlüssen der jeweiligen Elterngeneration untersucht.
In der einfachsten Variante der Messung der Bildungsmobilität zwischen den Generationen wird der Anteil derjenigen gezählt, deren Bildungsstand von dem der Eltern abweicht. Der Anteil mit höherem Bildungsabschluss ergibt die Kennzahl für die Aufwärtsmobilität, der Anteil mit niedrigerem Abschluss die Kennzahl für die Abwärtsmobilität, die gleich bleibende Gruppe wird der sogenannten „Bildungspersistenz“ zugerechnet.
Die Berechnung der einfachen Kennzahl für die Aufwärtsmobili-tät einer bestimmten Bevölkerungsgruppe, beispielsweise der 25- bis 34-Jährigen, scheint ein attraktiver Indikator zur Verdeutlichung der sozialen Mobilität und damit Durchlässigkeit eines Bildungssystems zu sein. Verspricht er doch, mit einer einzigen Kennziffer die Dinge auf den Punkt zu bringen. Aber die scheinbare Evidenz trügt. Denn die Kennzahlen zur absoluten Bildungsmobilität werden von vielen Faktoren geprägt, die offengelegt werden müssen, um die Seriosität der Aussage beurteilen zu können:
Seit einigen Jahren ist ein internationaler Vergleich der Bildungsmobilität zwischen den Generationen[1] fester Bestandteil der jährlich erscheinenden OECD-Studie „Bildung auf einen Blick“ – mit bemerkenswerten Auswirkungen für die österreichische Diskussion. Wie bereits im Jahr 2014 wird dem österreichischen Bildungssystem auch 2015 bezüglich der Aufwärtsmobilität ein denkbar schlechtes Zeugnis ausgestellt:
„Die Aufwärtsmobilität im Bildungsbereich ist weiterhin bemerkenswert schwach ausgeprägt“, ist in der Ländernotiz für Österreich zu lesen.[2] Nur 21 Prozent der jungen Erwachsenen erreichen einen höheren Abschluss als ihre Eltern. Damit landet Österreich im internationalen Vergleich auf dem letzten Platz. Nachdem diese Aussage auch in der Zusammenfassung der OECD-Ergebnisse[3] wiedergegeben wurde, machte sie flugs die Runde durch viele Medien und Journale.
Die Plausibilität dieser Aussage wurde nirgends in Frage gestellt. Dies obwohl dieselbe Studie den Österreichern ein überdurchschnittlich hohes Bildungsniveau bescheinigt. Auch dass die OECD ein Jahr zuvor die Aufwärtsmobilität der 25- bis 64-jährigen Österreicher noch mit 29 Prozent beziffert hatte[4], führte zu keiner Irritation.
Die OECD-Zahlen sind keineswegs falsch. Dennoch vermitteln sie ein Zerrbild der realen Verhältnisse. Denn aus Gründen der internationalen Vergleichbarkeit reduzieren die OECD-Statistiker die Anzahl der Bildungsabschlüsse auf drei Stufen:
Die erste Stufe bezieht sich auf schulische Ausbildungen bis maximal zum Pflichtschulabschluss: also Volksschule, Hauptschule, AHS-Unterstufe und Polytechnische Schulen.
Stufe 2 umfasst neben Lehrabschlüssen und berufsbildenden mittleren Schulen (z. B. Handelsschule) auch Maturaabschlüsse an Gymnasien und berufsbildenden höheren Schulen (HTL, HAK).
Die dritte und höchste Stufe schließlich betrifft die Abschlüsse auf Akademie- oder Universitätsebene: also Pädagogische Akademien, Sozialakademien, Fachhochschulen und Universitäten. Und – als Besonderheit der internationalen Klassifizierung – die Meister- und Werkmeisterabschlüsse.
Insbesondere durch den breiten mittleren Bereich verschwindet ein nennenswerter Teil an Bildungsaufstiegen im österreichischen Bildungskanon. Wenn der Vater eine Lehre abgeschlossen und die Tochter maturiert hat, gilt das aus Sicht der OECD nicht als Bildungsaufstieg; wenn die Mutter einen Handelsschulabschluss hat und der Sohn HTL-Ingenieur wird, gilt das aus Sicht der OECD ebenfalls nicht als Bildungsaufstieg. Die Vielfalt des österreichischen allgemeinen und berufsbildenden Schulsystems wird damit gänzlich ignoriert. Kein Wunder, dass damit auf dem Papier ein Ergebnis errechnet wird, demzufolge lediglich 21 Prozent der jungen Erwachsenen einen höheren Bildungsabschluss als ihre Eltern erreicht haben. Auch bei der „Abstiegsmobilität“ erzielt eine solche Berechnung erstaunliche Ergebnisse: Schließt der Sohn eines Handwerksmeisters als HTL-Ingenieur ab, wird das als Bildungsabstieg gewertet.
Eine weitere Verzerrung des Bildes für Österreich entsteht durch die Auswahl der Altersgruppe für den Vergleich mit der Elterngeneration. Die OECD hat dafür die 25- bis 34-Jährigen („junge Erwachsene“) ausgewählt, die sich nicht mehr in Ausbildung befinden, also in der Regel die Ausbildung bereits abgeschlossen haben. Nun sind in Österreich die Ausbildungswege im internationalen Vergleich besonders lang, weil die Universitätsstudien sehr lange dauern und die Studenten sich viel Zeit bis zum Studienabschluss nehmen. Über alle Hochschultypen gerechnet betrug das Durchschnittsalter der Studierenden im Jahre 2011 26,5 Jahre. Die Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen ist daher zu tief angesetzt, um ein für Österreich repräsentatives Bild zu liefern, denn über 15 Prozent haben in diesem Alter ihre Ausbildung noch nicht abgeschlossen. Sie werden vom OECD-Vergleich nicht erfasst. Die Alterskohorte, in der 99 Prozent der Personen ihre Ausbildung abgeschlossen haben, ist jene zwischen 45 und 54 Jahren.
Die Bildungsdaten, die für den OECD-Vergleich zur Mobilität herangezogen werden, stammen aus einer Erhebung der Statistik Austria aus dem Jahr 2011/12 zu den „Schlüsselkompetenzen von Erwachsenen“[5]. Dafür wurde eine repräsentative Auswahl der österreichischen Bevölkerung (16- bis 65-Jährige) unter anderem ausführlich über ihre eigenen Bildungsabschlüsse und die Schulbildung ihrer Eltern befragt. Die Ergebnisse der Erhebung erlauben eine wesentlich detailliertere Auswertung, als jene der OECD in der Studie „Bildung auf einen Blick“. Und sie ermöglichen eine Einteilung der Bildungsabschlüsse, die den Besonderheiten des österreichischen Bildungssystems angemessen ist.
Wir schlagen dafür eine Einteilung in fünf Ausbildungsstufen vor:
Stufe 1: Pflichtschulen (gleich wie OECD, siehe oben)
Stufe 2: Lehre, berufsbildende mittlere Schulen (Handelsschule, Fachschule, etc.) und Meisterabschlüsse
Stufe 3: Schulen mit Maturaabschluss (Gymnasium, HTL, HAK, etc.)
Stufe 4: Akademien (Pädagogische Akademie, Sozialakademie etc.)
Stufe 5: Universitäten und Fachhochschulen
Dies entspricht der Einteilung, die von der Statistik Austria bei der jährlichen Erhebung der bildungsmäßigen Herkunft der Studienanfänger ausgewiesen wird. Auch die Studierenden-Sozialerhebung bedient sich dieser Kategorien. In zwei Bereichen wurden von uns Zuordnungen vorgenommen, die erläuterungsbedürftig sind:
Eine Auswertung der Mobilitätsdaten aus der Erhebung „Schlüsselkompetenzen von Erwachsenen“ nach den oben aufgezeigten Kriterien ergibt für Österreich ein wesentlich erfreulicheres Bild als jenes, das in der OECD- Studie „Bildung auf einen Blick 2015“ gezeigt wird.
Der Versuch, die Bildungsmobilität von Ländern mit sehr unterschiedlich strukturierten Bildungssystemen anhand einer einfachen Kennzahl wie der „absoluten Mobilität“ darzustellen, ist wenig zielführend. In der von der OECD in „Bildung auf einen Blick“ veröffentlichten Variante führt er für Österreich zu groben Verzerrungen, die ein falsches Bild der Realität transportieren.
Für internationale Vergleiche ist eine Gegenüberstellung der Kennziffern für Auf- bzw. Abstiegsmobilität daher denkbar schlecht geeignet. Zu verschieden sind die Strukturen der nationalen Bildungssysteme, zu unterschiedlich die Niveaus der Bildungsabschlüsse. Und wie viele Bildungsstufen ein zutreffendes Bild der Vielfalt der Bildungsgänge ergeben, ist von Land zu Land sehr unterschiedlich. Daher ist ein Vergleich zwischen einer großen Anzahl von Ländern nicht sinnvoll durchzuführen.
Wird die Berechnung der Auf- und Abstiegsmobilität nach Kriterien durchgeführt, die der Vielfalt der österreichischen Bildungsabschlüsse angemessen ist, zeigt sich eine wesentlich höhere Mobilitätsrate als in der OECD-Studie. In allen berechneten Varianten (Relation zum Vater, Relation zur Mutter, Relation zu den Eltern gemeinsam) beträgt die Aufwärtsmobilität ein mehrfaches der Abstiegsmobilität und ist annähernd gleich oder höher als der Anteil der Personen mit gleichem Abschluss.
Bei einer pauschalen Betrachtung der Aufstiege bzw. Abstiege ist freilich wenig darüber ausgesagt, für welche sozialen Schichten mehr oder weniger große Hindernisse für einen Bildungsaufstieg bestehen. Eine präzisere Einschätzung ermöglichen Studien, in denen die einzelnen Stufen von Bildungsabschlüssen ausgewiesen und mit jenen der Elterngeneration verglichen werden. Darauf soll im Folgenden eingegangen werden.
Fußnoten
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Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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