Kapitel 3: Die soziale Herkunft der Studienanfänger als Indikator für Bildungsmobilität
- 30.03.2016
- Lesezeit ca. 3 min
Bildungsmobilität zwischen den Generationen
Studierende an Universitäten, Fachhochschulen oder Pädagogischen Hochschulen haben alle vorhergehenden Stufen des Bildungssystems erfolgreich durchlaufen. Sie stellen die Gruppe mit dem formal höchsten Bildungsstand dar. Insofern ist die Analyse ihrer sozialen oder bildungsmäßigen Herkunft jener Indikator mit der höchsten Relevanz, wenn es darum geht, die Durchlässigkeit eines Bildungssystems als Ganzes zu bewerten.
Im Rahmen der „Studierenden-Sozialerhebung“ wird seit Mitte der 1970er-Jahre im Auftrag des zuständigen Bundesministeriums die soziale Lage der Studierenden in regelmäßigen Abständen untersucht und ausgewertet. Die aktuellste Erhebung stammt aus dem Jahr 2016 und bezieht ihre Daten aus dem WS 2014/15.[1] Darin wird die soziale Herkunft der Studienanfänger anhand des höchsten Bildungsabschlusses und der beruflichen Stellung der Eltern erhoben.[2]
Die Schulbildung der Väter von Studienanfängern
3.1 Die Schulbildung der Väter von Studienanfängern
Gemessen am höchsten schulischen Abschluss des Vaters zeigt sich eine über alle Bildungsgruppen hinweg ausgewogene soziale Verteilung der Studienanfänger:
- Insgesamt stammen 55 Prozent der Studienanfänger aus einem Haushalt, in dem der Vater keinen Maturaabschluss besitzt, der sog. „bildungsfernen Schicht“.
- Umgekehrt kommen 45 Prozent der Studienanfänger aus einem Haushalt, in dem der Vater über eine Matura oder einen höheren Bil- dungsabschluss verfügt.
- 22 Prozent der Studienanfänger kommen aus einem „Akademiker- haushalt“, d.h. der Vater hat einen Hochschulabschluss.
3.2 Die Schulbildung der Mütter von Studienanfängern
Die Schulbildung der Mütter von Studienanfängern
Gemessen am höchsten Bildungsabschluss der Mütter zeigt sich eine leicht veränderte Verteilung bei einem insgesamt etwas niedrigeren Bildungsniveau.
- Die größte Gruppe stellen auch hier jene Studienanfänger dar, deren Mütter über einen Lehrabschluss verfügen.
- Insgesamt stammen 54 Prozent der Studienanfänger aus einem Haushalt, in dem die Mutter keinen Maturaabschluss hat.
- Lediglich 15 Prozent kommen aus einem Haushalt, in dem die Mutter einen Studienabschluss besitzt. Im Vergleich zu den Vätern weisen dagegen der mal so viele Mütter einen Akademie-Abschluss auf.
3.3 Die Schulbildung beider Elternteile gemeinsam
Die Schulbildung der Eltern von Studienanfängern
In der Betrachtung der Bildungsabschlüsse beider Elternteile gemeinsam wird der jeweils höhere Abschluss als Ausweis der familiären „Bildungsherkunft“ herangezogen.
- Etwas mehr als ein Viertel aller inländischen Studienanfänger an Universitäten und Fachhochschulen stammt aus einer „Akademikerfamilie“ (mindestens ein Elternteil mit Hochschulabschluss), nur bei 11 Prozent der Studienanfänger haben beide Eltern einen akademischen Abschluss.[3]
40 Prozent der inländischen Studienanfänger kommen aus einem Haushalt, in dem weder Vater noch Mutter eine Matura besitzt, d. h. aus einer eher bildungsfernen Schicht. - Zählt man die Prozentzahl der Studienanfänger aus eher bildungsfernen Schichten mit jener zusammen, in denen zumindest ein Elternteil einen Maturaabschluss hat, zeigt sich, dass der Anteil der potenziellen Bildungsaufsteiger bei 75 Prozent liegt.
3.4 Die Mobilität bildungsferner Schichten im Zeitablauf
Seit 1994 bilden die Fachhochschulen neben den wissenschaftlichen Universitäten und den Kunstuniversitäten den dritten Typus von österreichischen Hochschulen. Die verschiedenen Hochschulen tragen in unterschiedlicher Weise zur sozialen Mobilität bei. Studienanfänger aus eher bildungsfernen Schichten sind an Fachhochschulen in wesentlich höherem Ausmaß vertreten:
Mobilität bildungsferner Schichten im Zeitablauf
Mit knapp 65 Prozent tragen die Fachhochschulen mit deutlichem Abstand zu den wissenschaftlichen Universitäten und den Kunstuniversitäten zur Aufstiegsmobilität von Studienanfängern aus eher bildungsfernen Schichten bei.
- Der hohe Anteil an Studienanfängern aus Elternhäusern ohne Maturaabschluss blieb zwischen dem WS 1998/99 und dem WS 2010/11 nahezu konstant.
- Insgesamt – also im Durchschnitt der Hochschulen – liegt der Anteil von Studienanfängern mit Vätern ohne Matura über die Jahre bei ca. 55 Prozent.
3.5 Diskussion: Die Darstellung der sozialen Herkunft der Studienbeginner im jährlichen Bericht der Statistik Austria „Bildung in Zahlen“
Eine der wichtigsten Informationsquellen zur aktuellen Lage des österreichischen Bildungssystems ist der jährlich erscheinende Bericht der Statistik Austria, „Bildung in Zahlen. Schlüsselindikatoren und Analysen“. Darin findet sich seit vielen Jahren im Kapitel 2.1 („Laufende Bildungsbe- teiligung“) eine grafische Darstellung mit dem Titel „Soziale Herkunft der inländischen Studierenden an Universitäten“. So auch in der aktuellen Ausgabe „Bildung in Zahlen 2013/14“.[4]
„Soziale Herkunft der inländischen Studierenden an Universitäten“
Im begleitenden Text heißt es:
„Die Schulbildung der Eltern und ihre Stellung im Beruf wirken sich erheblich auf die Bildungslaufbahn aus. (…) 28% der Studierenden haben einen akademisch gebildeten Vater und in 59% dieser Fälle ist auch die Mutter Akademikerin. Insgesamt kommen somit 16% der Studierenden aus reinen Akademikerfamilien. (…)“[5]
Die Darstellung und der erläuternde Text der Statistik Austria werfen in mehrfacher Hinsicht Fragen auf.
- Die Zahlenbasis stammt aus der Hochschulstatistik und bezieht sich auf die Studienbeginner. Sowohl im Titel als auch im Erläuterungstext auf der vorhergehenden Seite wird aber irreführenderweise von „Studierenden“ gesprochen. Lediglich direkt unter der Grafik wird der Ausdruck „Erstimmatrikulierte“ verwendet, ein Ausdruck, der seit Jahren nicht mehr gebräuchlich ist.
- Bei der Schulbildung der Eltern wird nicht zwischen dem Abschluss an einer Akademie (Pädagogische Akademie, Sozialakademie etc.) und einem Hochschulabschluss unterschieden.
- Die soziale Herkunft auf der Basis der „Bildungsherkunft” wird lediglich in Relation zum Vater aufgezeigt. Die Bildung der Mutter wird als Teilmenge des Vaters dargestellt. Auf einen Vergleich zum Ausbildungsabschluss beider Eltern wird verzichtet.
- Für Familien, in denen Mutter und Vater einen Abschluss an einer Hochschule oder Akademie haben, wird der Begriff „reine Akademikerfamilie“ verwendet
- Die Studienbeginner an Fachhochschulen werden in dieser Aufstellung über die soziale Herkunft (bzw. „Bildungsherkunft”) vollkommen außen vor gelassen, obwohl sie bereits über ein Drittel der Gesamt- zahl der Beginner betragen. Wie oben (Kapitel 3.4) gezeigt wurde, weisen die Fachhochschulen einen größeren Anteil an Studienbeginnern aus bildungsfernen Schichten auf als die Universitäten.
- Eine Darstellung der sozialen Herkunft der inländischen Studienanfänger an Fachhochschulen, in der ebenfalls Akademien, Fachhochschulen und Universitäten in eine Bildungsstufe gereiht werden, zeigt die Unterschiede hinsichtlich der „Bildungsherkunft”:
Studienanfänger an Fachhochschulen nach Bildungsabschluss der Väter in Prozent
Analyse und Kritik
Die Darstellung der Statistik Austria in der Broschüre „Bildung in Zahlen 2013/14“ ist in Hinblick auf die Darstellung der sozialen Herkunft der Studierenden unvollständig. Das beginnt bei offensichtlichen redaktionellen Ungenauigkeiten, wodurch erst bei genauerem Hinsehen klar wird, dass sich die Zahlen auf Studienbeginner und nicht auf Studierende beziehen. Weiters wird – ohne nähere Erläuterung – lediglich das Verhältnis zum Bildungsabschluss des Vaters und der Mutter (in abgeleiteter Form) dargestellt, wodurch kein vollständiges Bild der intergenerationellen Bildungsmobilität vermittelt wird. Schließlich ist die Darstellung in zweierlei Hinsicht dazu geeignet, die Abhängigkeit der Bildungslaufbahn von der Schulbildung der Eltern als stärker darzustellen, als sie tatsächlich gegeben ist: Durch die Beschränkung auf die Studienanfänger an Universitäten wird jenes Drittel an Studienanfängern ausgeblendet, das generell aus bildungsferneren Schichten kommt, nämlich die Anfänger an Fachhochschulen. Und durch die fehlende Differenzierung zwischen Universitäten und Akademien in der Elterngeneration wird ebenfalls eine stärkere Bildungsübertragung zwischen den Generationen vermittelt, als dies durch die tatsächlich unterschiedlichen Abschlüsse der Fall ist.
Fußnoten
- Zaussinger et al. (2016a), Studierenden-Sozialerhebung 2015. Bericht zur sozialen Lage der Studierenden. ↩
- Die Daten entstammen der amtlichen Hochschulstatistik: Bei der erstmaligen Aufnahme eines Studiums werden von der Statistik Austria Bildung und berufliche Stellung der Eltern erfasst. Die Erfassung erfolgt allerdings lediglich für Universitäten und Fachhochschulen; für die Pädagogischen Hochschulen liegen derzeit keine Daten vor. ↩
- siehe Zaussinger et al. (2016a), Tabelle 8. ↩
- Statistik Austria (2015a), S. 37 (Grafik 25). ↩
- Ebd. S. 36. ↩
Mehr interessante Themen
Sozialer Wohnbau: Das Vermögen der (gar nicht so) kleinen Leute
Auch wenn es niemand glauben mag: Wohnen in Österreich ist vergleichsweise günstig. Die Wohnkostenbelastung der Haushalte beträgt im Schnitt rund 19 Prozent des verfügbaren Einkommens. Damit liegen wir im EU-Vergleich im Mittelfeld. Mieterhaushalte zahlen natürlich mehr als Eigentümer, aber mehr als drei Viertel von ihnen profitieren hierzula
Bildungskarenz: Ich bin dann mal weg!
Die Bildungskarenz war eine gute Idee, erfüllt aber nicht die von der Politik gesetzten Ziele – und wird immer teurer. An einer grundlegenden Reform führt kein Weg vorbei.
Die Schuldenbombe tickt: Wird Österreich das neue Italien?
Mehr als ein Jahrzehnt lang konnten sich Staaten kostenlos verschulden, die Zinsen lagen praktisch bei null. Damit sollten den Staaten Zeit erkauft werden, sich nach der Finanzkrise zu modernisieren. Statt diese Zeit aber für Reformen zu nutzen, wurde das vermeintliche Gratisgeld mit beiden Händen ausgegeben. Österreich muss seinen Ausgabenrausc
Was die Preise in Österreich so aufbläht
Die Inflation in Österreich hält sich hartnäckig. Fast acht Prozent waren es im Jahr 2023. Für das Jahr 2024 werden vier Prozent vorhergesagt. Während viele andere Länder schon aufatmen können, ist die Inflationskrise für uns also noch nicht vorbei. Warum tut sich gerade Österreich so schwer? Wir prüfen drei Thesen.
Balken, Torten, Kurven Zweitausenddreiundzwanzig
Die Zeit der Lockdowns und Ausgangssperren war vorbei, die Wirtschaft zeigte sich nach den verheerenden Corona-Jahren in bester Laune, nur die hohe Teuerung hat uns die gute Stimmung verdorben (vom Finanzminister einmal abgesehen – der freute sich).
E-Government: „Hobn’S kan Ausweis?“
Die öffentliche Verwaltung soll digitalisiert werden. Das verspricht die Politik seit Jahren. Diverse Angebote gibt es bereits, doch der große Durchbruch wollte bisher nicht gelingen. Das liegt nicht nur an der Regierung. Auch die Bürger müssten, im eigenen Interesse, etwas mehr Bereitschaft zur Veränderung aufbringen.