„Bildung wird in Österreich vererbt.“ Diese Behauptung findet man in einer Vielzahl von Artikeln und TV-Diskussionen über das österreichische Bildungssystem wieder, kaum eine wissenschaftliche Arbeit kommt ohne sie aus. Aber hält dieses vernichtende Urteil einer kritischen Prüfung stand? In dieser Arbeit werden vielfach dieselben statistischen Daten bekannter Studien ausgewertet, nur die Ergebnisse unterscheiden sich teilweise fundamental.
Im österreichischen Nachrichtenmagazin „profil“ erschien im Juni 2013 eine große Story zum Thema Chancengleichheit. Die Journalistinnen Eva Linsinger und Christa Zöchling beschrieben das Kernproblem recht anschaulich: „Wenn Anfang dieser Woche drei Kinder geboren werden – Marie, Kevin und Bülent –, dann würde selbst der unseriöseste Wettanbieter keine brauchbaren Quoten stellen.
Der Weg der Kinder ist zu deutlich vorgezeichnet. Maries Eltern sind Akademiker in Wien. Also wird Marie studieren und mindestens doppelt so viel verdienen wie Kevin. Dessen Eltern sind über die Pflichtschule nicht hinausgekommen, damit ist Kevins Zukunft klar: Hauptschule, höchstens eine Lehre. Er wird sechs Jahre früher sterben als Maries Bruder (ebenfalls Akademiker). Besonders schlecht hat es Bülent in der Geburtslotterie erwischt: türkische Eltern, Hilfsarbeiter, die am Land leben. Bülent kann froh sein, wenn er den Pflichtschulabschluss schafft – und er wird drei Mal so oft arbeitslos sein wie Marie.“
Ein erschütternder Befund, der in der Agenda Austria zu heftigen Debatten führte. Wie ist es möglich, dass in einem modernen Wohlfahrtsstaat der Bildungsstand vererbt wird, obwohl derselbe moderne Wohlfahrtsstaat den freien Bildungszugang nicht nur verspricht, sondern auch ermöglicht? Wie kann es sein, dass die meisten Beschäftigten unseres Thinktanks höhere Bildungsabschlüsse vorzuweisen haben als ihre Eltern und dasselbe auf den Großteil des Freundes- und Bekanntenkreises zutrifft, obwohl uns der Bildungsstand in die Wiege gelegt wurde, wie seriöse Studien zeigen? Warum sind die meisten Vorstände heimischer Unternehmen das, was man gemeinhin „Bildungsaufsteiger“ nennt, obwohl sie es laut Statistik eigentlich nur zur Matura gebracht haben dürften? Täuschen uns die persönlichen Erfahrungen oder zeigen die gängigen Studien zur Bildungsmobilität am Ende ein verzerrtes Bild?
Unser Bildungsexperte Wolfgang Feller ist all diesen Fragen nachgegangen und auf teilweise verblüffende Antworten gestoßen. Er hat monatelang akribisch dieselben Daten analysiert, die auch in die gängigsten Arbeiten (wie jene der OECD und der Wirtschaftsuniversität) eingeflossen sind. Zudem hat er aktuellste Auswertungen hinzugezogen, die allen Wissenschaftlern offenstehen. Überraschend ist, dass Feller zu ganz anderen Ergebnissen kommt. Wie zu jenem, dass der österreichische Wohlfahrtsstaat eine deutlich leichter erklimmbare Leiter nach oben bietet als bisher angenommen.
Was freilich nicht heißen soll, dass im österreichischen Bildungssystem alles bestens sei. Ganz im Gegenteil, Bülent steht tatsächlich vor schier unüberwindbaren Hürden. Aber wie so oft im Leben hängen Antworten nicht zuletzt von der Fragestellung ab – mehr sei an dieser Stelle nicht verraten, lesen Sie selbst!
Viel Vergnügen bei einer durchaus optimistischen Reise durch die Untiefen der Statistik!
Franz Schellhorn
Direktor Agenda Austria
Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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