Lassen Sie mich durch, ich bin Deutscher!
- 28.06.2019
- Lesezeit ca. 3 min
Wann sind die Beziehungen zwischen Deutschland und Österreich zum letzten Mal so schlecht gewesen wie 2019, vom Anschlussjahr 1938 mal abgesehen? Wahrscheinlich 1866. Damals brach der preußisch-österreichische Krieg aus, in dessen Verlauf die Preußen den Österreichern das Land Holstein mit der Hauptstadt Kiel abnahmen.
Dies war der vorletzte Krieg der Geschichte, den deutsche Truppen gewonnen haben. Aber was heißt schon „deutsch“? Auf Seiten Österreichs kämpften zahlreiche deutsche Staaten, antipreußische, zum Beispiel Bayern und das Herzogtum Nassau, auf dessen ehemaligem Gebiet ich geboren wurde. Ich bin der geborene Österreich-Kollaborateur.
Die „Augsburger Allgemeine“ meldet: „Der Konflikt an der Grenze eskaliert.“ Deutschland will Österreich verklagen. Militärisch sind wir, wie in einer früheren Kolumne erwähnt, den Österreichern ja heute unterlegen, sogar, wenn diesmal Nassau auf deutscher Seite stünde.
Die deutsche Regierung will bei der EU klagen, weil Österreich Landstraßen für deutsche Touristen sperrt, die sich die Autobahn-Maut sparen möchten und statt dessen lieber Schleichwege benutzen. Sie stehen dann im Stau und verpesten die Luft.
Wir haben erst kürzlich Straßen gesperrt, weil angeblich alte Dieselautos die Luft verpesten. Die deutsche Luft, wohlgemerkt! Wenn anderswo die Luft verpestet wird, halten wir das Luftverpesten für ein Grundrecht, Fahrverbote für kriminell und rennen zum Kadi. Wir exportieren Müll und Schrott nach Übersee, schalten unsere Kraftwerke ab und importieren Atom- oder Kohlestrom von anderswo, weil dann halt die anderen den Dreck und das Risiko ertragen müssen. Wir sind gegen Grenzen und bezahlen den netten Supertyp Erdogan dafür, dass er Flüchtlingsrouten dicht hält. Manchmal denke ich: wir sind so national vernagelt wie früher, nur sind unsere Pickelhauben jetzt biologisch abbaubar und tragen oben ein Gendersternchen.
Der zweite Konflikt betrifft die deutschen Lastwagen. Die Österreicher winken Lastwagen Richtung Innsbruck nicht einfach durch, sondern lassen immer nur eine Gruppe passieren, danach ist erst mal Pause. Dies betrifft Lastwagen aus allen Ländern, nicht nur deutsche. Und wir reden hier über 300 Lastwagen pro Stunde, die fahren dürfen. Ich frage mich, ob überhaupt mehr davon auf die Straße passen.
Deutschland ist halt für Grenzen, die total offen stehen, koste es die anderen, was es wolle. Der Verkehrsminister Scheuer, ein Bayer, nennt das österreichische Vorgehen „zutiefst diskriminierend“. Damit haben wir Deutschen, nach längerer Pause, endlich mal wieder eine wichtige Erfindung gemacht, die Verkehrsdiskriminierung. Dass Skateboardfahrer nicht auf die Autobahn dürfen, ist ja auch irgendwie diskriminierend.
Wenn Holstein immer noch zu Österreich gehören würde, wäre die Lage ausgeglichener. Da würden sich an der deutschen Grenze die Wagen der steiermärkischen Windsurfer stauen oder der Kieler, die vom Besuch der Hauptstadt Wien zurück nach Hause wollen, ganz zu schweigen von den Lastwagen voller Mozartkugeln und Sachertorten, die dann mit Heringen beladen zurückfahren.
Ökologisch war die Niederlage Österreichs von 1866 sicher ein Gewinn.
Herzlich grüßt
Harald Martenstein
Harald Martenstein ist ein deutscher Star-Journalist. Er ist u.a. Redakteur des „Tagesspiegels“ und Kolumnist der „Zeit“. Von Jänner bis Dezember 2019 schreibt er für die Agenda Austria die monatliche Kolumne „Martensteins Österreich“.
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