Nie waren in Österreich mehr Menschen langzeitarbeitslos als heute. Mit der Pandemie hat das nur am Rande zu tun. Der Ausweg liegt im hohen Norden.
Während hierzulande knapp 400.000 Menschen arbeitslos sind, können 110.000 offene Stellen nicht besetzt werden. Das ist für eine Wirtschaftskrise höchst ungewöhnlich. Viele Unternehmen aus verschiedensten Branchen müssen Aufträge ablehnen, weil sie dringend benötigte Mitarbeiter nicht finden. Einerseits, weil sich zu den offerierten Löhnen niemand meldet, andererseits weil es Arbeitssuchenden an den nötigen Qualifikationen fehlt. Zudem werden Jobs in Regionen des Landes (Westen) angeboten, in denen der Arbeitsmarkt bereits leergefegt ist. Während gleichzeitig im Osten des Landes (insbesondere Wien) zwar besonders viele Menschen arbeitslos gemeldet sind, aber zu wenige Jobs angeboten werden. Treffen in Salzburg 1,4 Arbeitssuchende auf eine offene Stelle, sind es in Wien elf.
An dieser Stelle wird auch gerne über die soziale Hängematte geklagt, in der es sich nach Ansicht der arbeitenden Bevölkerung zu viele der nicht arbeitenden Mitbürger bequem gemacht hätten. Nun ist es nicht so, dass es derartige Fälle nicht gäbe. Aber es deutet nichts darauf hin, dass wir es hier mit einem Massenphänomen zu tun haben. Was übrig bleibt ist das Faktum, dass die Dauer der Arbeitslosigkeit in diesem Land viel zu hoch ist. Während in Schweden knapp zwölf Prozent der Arbeitslosen länger als ein Jahr auf Jobsuche sind, trifft das in Österreich auf 25 Prozent zu.
Das Drama daran ist: Wer länger als ein Jahr arbeitslos ist, hat kaum noch Chancen wieder einen Job zu bekommen. Das hat auch viel mit Unternehmen zu tun, die sich Bewerbungen von Langzeitarbeitslosen nicht einmal mehr ansehen. Waren vor zehn Jahren noch 40.000 Menschen länger als ein Jahr arbeitslos, sind es heute 110.000. Auch hier ist die Situation im Osten des Landes dramatisch: In Wien ist fast jeder zweite Arbeitslose langzeitarbeitslos. Wir haben es also mit einer Gemengelage zu tun, die nicht nur sozial inakzeptabel ist, sondern auch wirtschaftlich schwerwiegende Folgen nach sich zieht. Arbeitsminister Martin Kocher hat bereits eine Reform des Arbeitsmarktes angekündigt, die schon bald vorgestellt werden dürfte.
Nun kann man natürlich hergehen und wie die Arbeitnehmervertreter eine Verkürzung der Arbeitszeit sowie eine deutliche Anhebung des Arbeitslosengeldes fordern. Womit sich der Fachkräftemangel weiter zuspitzen, die Zahl der Arbeitslosen aber nicht sinken würde. Weshalb es besser wäre, sich einmal mehr an den nordischen Wohlfahrtsstaaten zu orientieren. Deren sozialdemokratisch geführte Regierungen schwören seit Jahren auf eine Kombination aus „fördern und fordern“. Während Österreich ein niedriges, aber dafür de facto ewig laufendes Arbeitslosengeld bezahlt, dürfen dänische Arbeitslose zu Beginn mit einer höheren Unterstützung rechnen, die aber mit Fortdauer der Arbeitslosigkeit spürbar sinkt. Nach zwei Jahren ist es deutlich weniger als in Österreich.
Auch hierzulande wird die Einführung eines degressiven Arbeitslosengeldes intensiv diskutiert. Nicht um Arbeitslosen das Leben zu erschweren, sondern um die Langzeitarbeitslosigkeit gar nicht erst entstehen zu lassen. Es zeichnet sich allerdings eine typisch österreichische Lösung ab: Das Arbeitslosengeld wird zu Beginn der Jobsuche angehoben, sinkt aber im Lauf der Zeit maximal auf das aktuelle Niveau ab. Das kann man natürlich machen, wenn man die finanzielle Situation der Arbeitssuchenden verbessern will. Ob sich damit die angespannte Lage am Arbeitsmarkt entschärfen lässt, darf bezweifelt werden.
Wer höhere Beschäftigung will, wird nicht umhinkommen, die exzessive Belastung des Faktors Arbeit entschlossen anzugehen. Würden österreichische Durchschnittsverdiener so besteuert werden wie im Hochsteuerland Schweden, blieben heimischen Arbeitnehmern 182 Euro netto mehr im Monat übrig. Das ist nicht nur viel Geld. Sondern für jeden Schweden auch ein hoher Anreiz, mehr zu arbeiten. Österreich ist jedoch in die gegengesetzte Richtung unterwegs. Derzeit dürfen Arbeitssuchende bis zu 486 Euro im Monat dazuverdienen, ohne die staatliche Unterstützung zu verlieren. Verdient jemand auch nur um einen Euro mehr, sinkt das Jahreseinkommen um 1000 Euro im Jahr, während die Kosten für die Arbeitgeber um 20 Prozent steigen. Womit vor allem schlechter Qualifizierte mit niedrigeren Einkommen keinen Anreiz haben, das System „Arbeitslose plus Geringfügigkeit“ hinter sich zu lassen.
Jede Regierung, die an dieser Situation etwas ändern will, wird ein starkes Nervenkostüm brauchen. Sie wird mit Kritik überschüttet werden. Von „sozialer Kälte“ über die „Belastung der Ärmsten der Armen“ bis hin zur „Zersetzung des Wohlfahrtsstaates“ wird alles dabei sein. Auch wenn nordische Wohlfahrtsstaaten gezeigt haben, dass das Gegenteil davon der Fall ist. Denn nichts ist unsozialer, als der steigenden Arbeitslosigkeit tatenlos zuzusehen. Und nichts ist sozialer, als Menschen so rasch wie möglich wieder in Beschäftigung zu bringen.
Kolumne von Franz Schellhorn für “profil” (26.02.2022).
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