Die Regierung steht auf der Bremse. Hinter diesem Satz verbirgt sich selten etwas Gutes, und so ist es auch diesmal.
Als Wifo-Chef Gabriel Felbermayr vor einigen Monaten seinen Rechnungsdeckel vorstellte, spitzten Ökonominnen und Ökonomen noch interessiert die Ohren. Plötzlich war da eine Idee, die Erleichterung für die Haushalte versprach, aber zugleich die grundlegenden Prinzipien des Strommarkts nicht außer Kraft setzte. Das Konzept fiel der Regierung praktisch in den Schoß. Sie hätte über den Sommer nur noch etwas daran feilen und es sozial treffsicher gestalten müssen.
Doch Türkis-Grün tat das Gegenteil. Nun landen sogar Zweitwohnungsbesitzer und Millionäre als Beifang im Schleppnetz der Strompreisbremse. Von sozialer Treffsicherheit fehlt jede Spur. Viele Singlehaushalte werden nächstes Jahr nach Abzug des Energiekostenausgleichs sogar weniger für ihren Strom zahlen als vor der Krise, während Familien zum Teil den Marktpreis entrichten müssen. Felbermayr selbst reibt sich inzwischen verwundert die Augen und sieht sein Konzept “korrumpiert”. Er hatte sich vorgestellt, dass die Haushalte den Zuschuss wenigstens versteuern würden, was einen gewissen sozialen Ausgleich geschaffen hätte. Aber das war wohl zu kompliziert.
Es macht die Sache nicht besser, dass auch einige Bundesländer munter vor sich hin fördern. Das eingangs beschriebene Beispiel Niederösterreich führt etwa zu einer ganz klaren Überförderung einzelner Stromkunden. In einem Punkt ist das Modell allerdings klüger gemacht als die Preisbremse des Bundes: Land und Energieversorger werden mit Zustimmung der Bürger (die mit der Einreichung des Subventionsantrags erteilt wird) über eine Verknüpfung von Haushaltsgröße und Verbrauch verfügen. Die Förderung folgt dem Wunsch des Wifo-Chefs und differenziert nach Haushaltsgröße. Diese Information könnte der Bund nutzen, um wenigstens die Zweitwohnsitze in Niederösterreich von der (Doppel)Förderung auszunehmen und die Zahl der Personen in einer Wohnung zu berücksichtigen. Falls das jemanden interessiert und es nicht nur darum geht, möglichst viel Geld auszugeben.
Man muss sich schon wundern, was in der Administration eines Landes angeblich alles nicht geht. Die Energieversorger wissen, wie viel Strom wir verbrauchen, kennen aber unser Einkommen nicht. Der Staat kennt zwar unser Einkommen, weiß aber nicht, wie viel wir verbrauchen. Der Staat und seine Energieversorger sind wie die Königskinder aus der Ballade, die nicht zueinander kommen können. Wer steigt nun in den Fluss, um darin zu ertrinken? Die Steuerzahler von morgen.
Die temporären Maßnahmen aus den drei Entlastungspaketen kosten schon über zehn Milliarden Euro. Nun kommen nächstes Jahr noch einmal vier Milliarden dazu. Der Gaspreisdeckel dürfte wohl nur noch eine Frage der Zeit sein, und er wird sicher ebenfalls nicht billig. Auch den Bundesländern könnte noch so einiges einfallen. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner spendiert in Niederösterreich elf Cent pro Kilowattstunde Strom, obwohl der Preis auch dort bald nur noch zehn Cent betragen wird. Von der Thaya bis zum Semmering werden die Christbäume dieses Jahr wohl etwas heller strahlen als sonst.
Es stimmt zwar, dass der Staat wegen der Inflation erhebliche Mehreinnahmen hat. Doch auch die Kosten steigen rasant. Am Vorabend der kommenden Rezession wieder ein fettes Budgetdefizit zu produzieren zeugt letztlich von einem eklatanten Mangel an Respekt vor künftigen Generationen. Österreich verschuldet sich bei Menschen, die zum Teil noch nicht einmal geboren wurden – nur damit in der schwersten Energiekrise seit Jahrzehnten alles so weitergehen kann wie bisher. Ironischerweise zeigt die Situation auch, wie sehr wir uns selbst überschätzt haben.
Angesichts der Klimakrise waren wir doch angeblich alle bereit, unseren Lebensstil einzuschränken. Nur ausgewiesene Egoisten würden die Solidarität verweigern, hieß es. Wäre jetzt nicht ein guter Zeitpunkt, um mit dem Verzicht anzufangen? Für die Generation unserer Großeltern ging es einst nicht um ein paar Kilowattstunden mehr oder weniger. Sie mussten noch Hunger und Kälte erdulden. Doch solche Geschichten sind für uns nur Folklore. Wir werden unseren Enkeln eines Tages wohl etwas anderes erzählen: Tut uns leid, dass ihr die Hälfte eures Einkommens für unsere Pension ausgeben müsst und den Rest für unsere Schulden. Aber was hätten wir denn anno 2022 anders machen sollen? Auf den Urlaub verzichten, um die Stromrechnung zu bezahlen? Sorry, so sind wir nicht.
Es ist natürlich völlig klar, dass viele Haushalte in Österreich die horrenden Energierechnungen nicht bezahlen können. Für sie fällt die Wahl nicht zwischen Stromrechnung und Urlaubsreise; sie müssen wählen, ob sie die Stromrechnung bezahlen oder die Miete. Ihnen muss die Teuerung weitestgehend kompensiert werden. Die Pauschalzahlungen – insbesondere die an vulnerable Gruppen aus dem dritten Entlastungspaket – waren ein guter Anfang, wie der Fiskalrat vorgerechnet hat. Man hätte diese Zahlungen immer wieder leisten können, bis im kommenden Jänner die Löhne, Pensionen und Sozialleistungen an die Teuerung angeglichen werden. Auch an der Negativsteuer für Geringverdiener hätte man noch drehen können. Den Rest müsste die Regierung auf europäischer Ebene klären. Diverse Arbeitsgruppen beraten dort schon seit Monaten über den gemeinsamen Gaseinkauf. Andere Gremien denken über die – zugegeben nicht einfache – Änderung der Preisbildung im Strommarkt nach.
Aber wer braucht taugliche Konzepte für morgen, wenn er die Probleme heute mit Geld zudecken kann? Mit angezogener Strompreisbremse und durchgetretenem Schuldengaspedal zeigen wir der Zukunft den Mittelfinger.
Gastkommentar von Jan Kluge im “Standard” (17.09.2022).
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