Sozialer Wohnbau: Das Vermögen der (gar nicht so) kleinen Leute

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Handlungsempfehlungen

Wer hat der Stadt Wien je empfohlen, ihren Wohnungsbestand an eine amerikanische Heuschrecke zu verkaufen? Niemand. Absolut niemand. Auch wir von der Agenda Austria nicht. Dass Wien über einen Bestand von 220.000 Wohnungen verfügt, die man Haushalten mit wenig Geld sofort zur Verfügung stellen könnte, ist ein Vorteil, den nur wenige Städte haben. Gut so.

Doch die Gemeindebauten sind nicht die Antwort auf die Fragen der Gegenwart. Die meisten wurden unter völlig anderen Rahmenbedingungen errichtet. Damals war der österreichische Sozialstaat noch nicht sehr ausgeprägt; die Abgabenquote lag bis Anfang der 1960er-Jahre kaum über 30 Prozent. Zudem reichte der Wohnungsbestand um die Jahrhundertwende und dann wieder in der Nachkriegszeit nicht annähernd aus. Es war nur logisch, voll auf Objektförderung zu setzen.

Doch heute hat sich der Staat mit Aufgaben nur so vollgesogen – die Abgabenquote ist auf deutlich über 40 Prozent emporgeschnellt. Die öffentliche Hand ist überfordert, einen der umfassendsten Sozialstaaten der Welt zu betreiben und gleichzeitig den gigantischen Wohnungsbestand zu erhalten, thermisch zu sanieren und auch noch zu erweitern. Die drei letzten Punkte fallen regelmäßig anderen Prioritäten zum Opfer. Gebaut wurden in Wien in der jüngeren Vergangenheit nur ein paar Hundert neue Gemeindewohnungen, außerhalb Wiens ist der kommunale Wohnungsbau praktisch gar nicht mehr existent. Nur geredet wird viel darüber. Für die SPÖ ist das Reden über die goldenen Zeiten des Wiener Gemeindebaus der Wahlkampfschlager schlechthin. Im neuen Wiener Stadtmuseum wurden ihm gleich mehrere Räume gewidmet.

Statt den populistischen Mörtel anzurühren, werden wir stärker auf den Markt setzen müssen. Und mit ein paar präzisen und gründlichen Handgriffen ließe sich hier durchaus einiges bewegen: 

Neubau erleichtern

Die demografische Veränderung, die Binnenmigration und die sich verändernden Präferenzen erfordern den Neubau von Wohnraum; selbst dann, wenn andernorts Wohnungen leer stehen. Vor allem in den Ballungsräumen muss dafür Platz geschaffen werden. Während es am Land noch massive Baulandreserven gibt, wird es in den Städten langsam eng. Die Gemeinden sollten sich daher vor allem auf Nachverdichtung konzentrieren. Die Baulandwidmungen sollten dabei attraktiv genug sein, um die private Bautätigkeit anzuregen. Das war in der Vergangenheit häufig ein Problem – bei den Widmungen war oft der Wunsch Vater des Gedankens.

Derzeit gibt es zum Beispiel in Wien eine Reihe von willkürlichen Regeln, die die Rendite privater Bauträger schmälern (z. B. die Stellplatzverpflichtung). Teilweise scheint das sogar Absicht zu sein: Mit der Einführung der Widmungskategorie „geförderter Wohnbau“ zwingt man Investoren in wenig lukrative Modelle. Eine Evaluierung dieser Maßnahme gibt es bis zum heutigen Tag nicht. Andere Städte binden sich ganz bewusst die Hände bei der Baulandwidmung, indem zum Beispiel das historische Stadtbild eine höhere Priorität genießt als leistbarer Wohnraum oder indem man – wie in Salzburg – Grünland in der Stadt schützt und dabei Zuzüge an den Stadtrand umlenkt; mit allen ökologischen Konsequenzen, die das mit sich bringt.

Neubau muss vor allem auch schneller gehen. Das geht durch eine Entschlackung und Beschleunigung der bürokratischen Prozesse und betrifft den Bausektor insgesamt. Für den Bau einer einfachen Lagerhalle ist man in Wien derzeit satte 222 Tage lang mit Papierkram beschäftigt; in Dänemark oder Finnland dauert es kaum mehr als 60 Tage. Auch Wohngebäude brauchen mancherorts viel zu lange. Bei der Hälfte der im Jahr 2022 in Wien fertiggestellten Wohngebäude lag die Baubewilligung fast vier Jahre und länger zurück.

Die Baubewilligungen in Österreich sind aufgrund der gestiegenen Baukosten, der hohen Zinsen und der strengeren Kreditvergaberegeln in den letzten Jahren besorgniserregend zurückgegangen. Die bewilligte Nutzfläche in neuen Wohngebäuden lag im Jahr 2023 etwa bei der Hälfte dessen, was in den Vorjahren genehmigt wurde. Es wird in den nächsten Jahren ein ziemliches Loch entstehen. Hier heißt es schnell gegensteuern, beispielsweise durch verbesserte Abschreibungsregeln. In Deutschland wurde im Zuge des Wachstumschancengesetzes eine degressive Absetzung für Abnutzung (AfA) für Wohnbauprojekte auf den Weg gebracht. Dadurch rechnen sich Investitionen sehr viel schneller. Dass nun auch in Österreich drei Jahre lang der dreifache Abschreibungssatz verwendet werden kann, ist einer der wenigen Lichtblicke im aktuellen Wohnpaket.

Soziale Treffsicherheit erhöhen

Derzeit hebt der Staat von jedem Arbeitnehmer einen Teil seines Gehalts (ein Prozent der Beitragsgrundlage zur Sozialversicherung) ein, um damit Wohnraum zu schaffen. Das Geld fließt an die Bundesländer, die mangels Zweckbindung damit aber alles Mögliche machen.

In einem ersten Schritt müsste der Wohnbauförderungsbeitrag in dieser Form komplett gestrichen und damit der Faktor Arbeit entlastet werden. Es ist kaum zu begründen, warum ausgerechnet der Wohnungsbau explizit über eine Belastung des Faktors Arbeit finanziert werden muss. In einem zweiten Schritt sollten die Länder finanzielle Mittel aus dem Budget erhalten, um Wohnen für die Bevölkerung zu erleichtern. Dieses Geld muss jedoch wieder einer strengen Zweckwidmung unterliegen.

In einem dritten Schritt muss auch die Förderung an sich neu gedacht werden. Derzeit fördern wir größtenteils den Bau von Wohnraum, sei es für den Eigenbedarf oder auch zur Vermietung. Während der Aufbau von Eigentum vor allem durch Entlastung der Haushaltseinkommen und den Verzicht auf unsinnige Nebenkosten statt durch Subventionen gefördert werden sollte, müsste die Objektförderung von Mietwohnungen in eine Subjektförderung, also die Unterstützung von Mietern und nicht von Wohnungen, übergehen. Diese Art der Förderung ist deutlich treffsicherer und damit auch effizienter. Darüber hinaus setzt sie Anreize, privat neuen Wohnraum zu schaffen, und kann erheblich schneller auf sich verändernde Umstände reagieren. Wichtig ist dabei, dass nicht alle Haushalte Österreichs als bedürftig und förderwürdig deklariert werden; das würde die Mieten in die Höhe treiben und das Geld von den Steuerzahlern zu den Vermietern umverteilen. Es sollte nachvollziehbare Einkommensgrenzen (mit Einschleifregelungen) geben, mit denen Haushalten in Geldnot geholfen werden kann. Die Bedarfsprüfung muss regelmäßig wiederholt werden.

Mietrecht neu aufsetzen

Über die Jahrzehnte hinweg wurde in Österreich eine Regulierung nach der anderen beschlossen. Mittlerweile fällt es selbst Experten schwer, den Überblick zu behalten. Und sozial treffsicher ist das alles auch nicht mehr. Wie gezeigt, profitieren Bestandsmieter von der Regulierung, wenn sie das Glück haben, im geschützten Bereich des Wohnungsmarkts zu leben. Allerdings gehen diese Vorteile auf Kosten der Steuerzahler, der privaten Vermieter und auch auf Kosten jener, die das Glück und das Privileg nicht haben. Statt die Regulierungsspirale innerhalb unterschiedlicher Regeln für Gemeinde- und Genossenschaftswohnungen, Richtwert- und Kategoriemieten immer weiterzudrehen, wäre es an der Zeit, aus dem System auszubrechen und ein Vergleichsmietensystem zu etablieren. Ein solches System hat typischerweise folgende Eckpunkte:

  • Pro Wohnbezirk werden die üblichen Marktmieten je nach Wohnungsmerkmalen (Ausstattung, Größe etc.) mittels umfassender objektiver Datenbanken definiert.
  • Wenn die jeweilige Miete unter der Vergleichsmiete liegt, kann sie allmählich an das Marktniveau angenähert werden.
  • Bei einer solchen Mieterhöhung kann der Mieter innerhalb einer vorher festgelegten Frist kündigen.

So würden die Bestandsmieten über einen langen Zeitraum hinweg an die Marktmieten angeglichen. Das bedeutet nicht, dass die heute günstigen regulierten Mieten sofort auf das Niveau der freien Mieten steigen würden, sondern dass sich beide Segmente langsam aufeinander zubewegen und ein für alle faires Mietniveau zwischen beiden Welten entstünde. Es wäre also eher ein Generationenprojekt. Eintrittsrechte in Altverträge müssten aber abgeschafft werden.

Eine solche Reform hätte eine Reihe von Vorteilen: Da der Eigentumsschutz aufgewertet würde, stiege das Angebot an Wohnraum langfristig. Das gilt sowohl für den Neubau wie auch für die Nutzbarmachung von vermeintlichem Leerstand; denn auch dieser ließe sich durch bessere Marktmechanismen deutlich leichter bekämpfen als durch etwaige Abgaben. Mehr Wohnraum wirkt preisdämpfend.

Darüber hinaus existiert aber auch ein Mieterschutz: Die Miete kann stets nur bis zum ortsüblichen Vergleichsmietenwert angehoben werden und dies auch nur in bestimmten Zeitabständen. Zudem kann eine Kappungsgrenze eingezogen werden, um die Bewohner in Zeiten stark steigender Mieten zu schützen.[1] Darüber hinaus können auch neue Mietverträge an die ortsübliche Vergleichsmiete gekoppelt werden. Der Bestand würde besser genutzt werden, denn durch die moderate Anpassung bestehender Verträge bestünde ein Anreiz, sich an Marktgegebenheiten anzupassen. Haben wir gegenwärtig starke Lock-in-Effekte, würde ein Vergleichsmietensystem zu einer deutlich besseren Nutzung des bestehenden Wohnraums führen, die Fehlbelegung würde sinken und damit mehr Wohnraum nutzbar werden.

Schauen, was andere Länder machen

Österreich macht nicht alles falsch; das zeigt die im Europavergleich moderate Wohnkostenbelastung der Haushalte. Doch der sagenhaft hohe Mieteranteil von fast 49 Prozent – in Europa liegen eigentlich nur Deutschland und die Schweiz noch darüber – und die Tatsache, dass die allermeisten Mieter in Österreich staatliche Unterstützung erhalten, ist schon sehr speziell. Was in der Vergangenheit eine gute Idee war, kann für die Zukunft hinderlich sein.

Viele Länder haben auch gute Ideen. In Großbritannien konnten Mieter von Sozialwohnungen ihre Wohnungen erwerben. Das könnte auch für die österreichischen Gemeindewohnungen eine Idee sein. Auf diese Weise würde der Bestand an Gemeindewohnungen zwar schrumpfen; die Kommunen wären aber wieder in die Lage versetzt, die Sanierung der Wohnung für die wirklich Bedürftigen voranzutreiben und gegebenenfalls auch wieder verstärkt neu zu bauen. Gleichzeitig würde es die Eigentümerquote erhöhen. 

In der Schweiz sind die sogenannten Generationenkredite weit verbreitet: Die erste Generation zahlt die Zinsen; erst die nächsten Generationen kümmern sich stärker um die Tilgung. Auf diese Weise werden die Lasten über bis zu 100 Jahre gestreckt und machen den Immobilienerwerb auch bei hohen Preisen realistisch.

Die Niederländer haben sich wiederum gefragt, wie man mit der natürlichen Begrenzung der Flächen in den Städten umgehen kann. Dort fokussiert ein Programm darauf, brache Gebäudeflächen, aus ungenutzten Büroräumen, Markthallen oder auch Kirchen wieder nutzbar zu machen. Auch in Österreich gäbe es in den Städten Möglichkeiten, ungenutzte Flächen durch Umwidmung und bauliche Anpassungen vergleichsweise kostengünstig in Wohnraum umzuwandeln. Nach Corona hat zum Beispiel die Nachfrage nach Büroflächen weltweit nachgelassen. Hier gäbe es Potenziale.


Fußnoten

  1. In Deutschland darf die Miete innerhalb von drei Jahren um maximal 20 Prozent steigen. In Ballungsräumen liegt die Kappungsgrenze bei 15 Prozent entsprechend niedriger.
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