Sozialer Wohnbau: Das Vermögen der (gar nicht so) kleinen Leute
- 18.04.2024
- Lesezeit ca. 4 min
Warum ist die Frage wichtig, wer wo wohnt?
Dass Haushalte, deren Mieten staatlich reguliert werden, günstiger leben als ohne Mietregulierung, ist eine Feststellung, die wohl keiner empirischen Analyse bedarf. Und natürlich soll es auch so sein, dass Menschen mit geringem Einkommen leistbar wohnen. Dass die Stadt Wien dafür einen eigenen Bestand zur Verfügung hat und dass ein lebhaftes gemeinnütziges Wohnungswesen existiert, ist hilfreich.
Doch dass bei dieser Art der Objektförderung viel danebenfließt, ist in der ökonomischen Fachliteratur schon lange bekannt. Der New Yorker Wohnungsmarkt – seit jeher Crashtest-Dummy für missglückte Wohnungspolitik – genießt seit Jahrzehnten die akademische Aufmerksamkeit. Olsen und Barton (1983) stellten fest, dass die Haushalte in regulierten New Yorker Wohnungen finanzielle Vorteile genossen, die einer Einkommenserhöhung von bis zu 25 Prozent entsprachen. Gyourko und Linneman (1989) kamen zu vergleichbaren Einkommenseffekten; Olsen (2003) fand ähnliche Ergebnisse für andere US-Großstädte. Als sozialpolitische Maßnahme wäre das natürlich nicht zu beklagen, doch ob am Ende die richtigen Haushalte in den günstigen Wohnungen leben, ist mehr als fraglich.
Oft bekommen Haushalte, die eigentlich begütert genug sind, dass sie ihrerseits Bedürftige mitfinanzieren sollten, einen Teil ihrer Miete von der Gesellschaft (oder per Gesetz von einem privaten Vermieter) geschenkt. Solche Fehlbelegungen als unerwünschte Nebenwirkung der Objektförderung wurden zum Beispiel von Glaeser und Luttmer (2003) beschrieben. Da die Preise infolge der staatlichen Eingriffe falsch sind und nicht mehr das Verhältnis von Angebot und Nachfrage widerspiegeln, wohnen die Haushalte am Ende auch in den „falschen“ Wohnungen. Van Ommeren und Van der Vlist (2016) gehen so weit zu sagen, dass die Zuteilung der Wohnungen an die Haushalte am Ende kaum besser als nach dem Zufallsprinzip erfolgt, wenn man Wartelisten statt Preise als Verteilungsmechanismus verwendet. Auch hierzulande ist das Problem geläufig. Wenn die Kinder aus dem Haus sind, bleiben Ältere oft in ihren viel zu großen Wohnungen, da eine kleinere Wohnung zu teuer wäre.[1] Man stelle sich vor, andere Märkte wären derart dysfunktional.
Außerdem weisen Early (2000) oder Diamond et al. (2019) darauf hin, dass Mietregulierung negativ auf die Bautätigkeit wirkt und die Mieten im unregulierten Bereich nach oben treibt. Der Berliner Mietendeckel wirkte diesbezüglich geradezu lehrbuchmäßig.[2] Solche Nebenwirkungen können früher oder später jeden erwischen; selbst jene, die heute noch eine günstige Wohnung ergattern konnten, aber schon morgen eine andere Bleibe suchen müssen, weil sie einen neuen Job haben oder weil die Kinder größer werden.
Für Österreich gibt es interessanterweise relativ wenig Literatur – obwohl Wien als internationales Aushängeschild des geförderten Wohnens gilt. Fessler et al. (2016) kommen zum Schluss, dass Haushalte im geförderten Segment finanzielle Vorteile von bis zu 600 Euro pro Jahr genießen. Für einkommensschwächere Haushalte würde das einer virtuellen Einkommenserhöhung von rund vier Prozent entsprechen. Weiter oben nimmt der relative Vorteil zwar ab; insgesamt finden die Autoren aber nur eine geringe Reduktion der Einkommensungleichheit. Auch Verbist et al. (2012) finden sehr breite Einkommenseffekte, von zehn Prozent am unteren Ende der Einkommensverteilung bis drei Prozent am oberen Ende.[3]
Kurz etwas zu Daten und Methode
Um zu berechnen, wie stark Mieter in Österreich in den drei regulierten Segmenten – Gemeindewohnungen, Genossenschaften und im über das Richtwertgesetz regulierten Bereich – profitieren, brauchen wir zunächst eine Schätzung, wie viel sie für ihre Wohnung unter Marktbedingungen zahlen müssten. Die Differenz zwischen der tatsächlichen und der hypothetischen Miete lässt sich dann zu ihrem Haushaltseinkommen ins Verhältnis setzen. Um die hypothetischen Mieten zu schätzen, führen wir verschiedene Regressionsanalysen durch. Als Datengrundlage dient uns EU-SILC für die Jahre 2015 bis 2021.[4] Wir berücksichtigen dabei individuelle Ausstattungsmerkmale der Wohnungen, Nutzfläche, Zahl der Räume, Art der Küche, etwaige Probleme mit Feuchtigkeit, Lärm usw. sowie die Lage der Wohnungen in städtischem oder ländlichem Gebiet. So wird sichergestellt, dass nur Wohnungen miteinander verglichen werden, die auch tatsächlich vergleichbar sind.
Während Gemeindewohnungen und Genossenschaften in EU-SILC eindeutig identifiziert sind, ist es mit dem Bereich, der dem Richtwertgesetz unterliegt, etwas schwieriger. Diese österreichische Besonderheit ist dort nämlich nicht erfasst. Wir behelfen uns daher mit einer Notlösung. Als „reguliert“ bezeichnen wir im Folgenden alle Wohnungen, die ihren Bewohnern zufolge „unter Marktwert“ vermietet werden und/oder vor dem Jahr 1945 errichtet wurden und damit in aller Regel dem Richtwertgesetz unterliegen sollten. Sofern der Mietvertrag vor März 1994, aber nach 1981 geschlossen wurde, können natürlich auch die noch niedrigeren Kategoriemieten fällig werden; ist der Mietvertrag älter, dann wird es noch wilder. Insofern ist dieser Notbehelf freilich nicht perfekt. Die Tatsache zu ignorieren, dass viele Wohnungen in Österreich zwar privat vermietet werden, aber in der Miethöhe reguliert sind, würde aber die Preiseffekte bei Gemeinde- und Genossenschaftswohnungen unterschätzen.[5]
Fußnoten
- Einpersonenhaushalte ab 60 Jahren haben in Österreich im Schnitt 85 Quadratmeter zur Verfügung. Paare mit Kindern kommen pro Kopf nur auf durchschnittlich 34 Quadratmeter. ↩
- Vgl. z. B. Arlia et al. (2022). ↩
- Klien et al. (2023) finden sogar, dass ein hoher Anteil von Genossenschaftswohnungen in einer Gemeinde dämpfend auf die Mieten am freien Markt wirkt. Diese Interaktion zwischen Mietsegmenten ist allerdings hier nicht Gegenstand. ↩
- EU-SILC erfasst die Lebensbedingungen der Menschen in der EU. SILC steht für Community Statistics on Income and Living Conditions. Die Erhebung beruht auf Befragungen und fokussiert die Bereiche Einkommen, Wohnen, Bildung, Gesundheit und Zufriedenheit. Zwar liegen die Daten für 2022 bereits vor; in diesem Jahr wurden aber die Baujahre der Wohngebäude nicht abgefragt, sodass eine Identifikation des regulierten Bereichs kaum möglich ist. ↩
- Der Vollständigkeit halber zeigen wir aber im Working Paper, dass die Preisabschläge für Gemeinde- und Genossenschaftswohnungen dennoch beträchtlich wären, selbst wenn man die günstigen regulierten Mieten nicht aus der Vergleichsgröße „freier Markt“ herausrechnen würde. Die Ergebnisse bleiben auch robust, wenn wir die vor 1982 geschlossenen Mietverträge nicht mitberücksichtigen. ↩
Mehr interessante Themen
Sozialer Wohnbau: Das Vermögen der (gar nicht so) kleinen Leute
Auch wenn es niemand glauben mag: Wohnen in Österreich ist vergleichsweise günstig. Die Wohnkostenbelastung der Haushalte beträgt im Schnitt rund 19 Prozent des verfügbaren Einkommens. Damit liegen wir im EU-Vergleich im Mittelfeld. Mieterhaushalte zahlen natürlich mehr als Eigentümer, aber mehr als drei Viertel von ihnen profitieren hierzula
Bildungskarenz: Ich bin dann mal weg!
Die Bildungskarenz war eine gute Idee, erfüllt aber nicht die von der Politik gesetzten Ziele – und wird immer teurer. An einer grundlegenden Reform führt kein Weg vorbei.
Die Schuldenbombe tickt: Wird Österreich das neue Italien?
Mehr als ein Jahrzehnt lang konnten sich Staaten kostenlos verschulden, die Zinsen lagen praktisch bei null. Damit sollten den Staaten Zeit erkauft werden, sich nach der Finanzkrise zu modernisieren. Statt diese Zeit aber für Reformen zu nutzen, wurde das vermeintliche Gratisgeld mit beiden Händen ausgegeben. Österreich muss seinen Ausgabenrausc
Was die Preise in Österreich so aufbläht
Die Inflation in Österreich hält sich hartnäckig. Fast acht Prozent waren es im Jahr 2023. Für das Jahr 2024 werden vier Prozent vorhergesagt. Während viele andere Länder schon aufatmen können, ist die Inflationskrise für uns also noch nicht vorbei. Warum tut sich gerade Österreich so schwer? Wir prüfen drei Thesen.
Balken, Torten, Kurven Zweitausenddreiundzwanzig
Die Zeit der Lockdowns und Ausgangssperren war vorbei, die Wirtschaft zeigte sich nach den verheerenden Corona-Jahren in bester Laune, nur die hohe Teuerung hat uns die gute Stimmung verdorben (vom Finanzminister einmal abgesehen – der freute sich).
E-Government: „Hobn’S kan Ausweis?“
Die öffentliche Verwaltung soll digitalisiert werden. Das verspricht die Politik seit Jahren. Diverse Angebote gibt es bereits, doch der große Durchbruch wollte bisher nicht gelingen. Das liegt nicht nur an der Regierung. Auch die Bürger müssten, im eigenen Interesse, etwas mehr Bereitschaft zur Veränderung aufbringen.