Sozialer Wohnbau: Das Vermögen der (gar nicht so) kleinen Leute

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Der soziale Wohnbau: Seit 500 Jahren gut gemeint und schlecht gemacht

Der Maurer Franz Mozart war kein reicher Mann. Manche Historiker mutmaßen sogar, er sei regelrecht arm gewesen. Jedenfalls zog er 1681 in das erste soziale Wohnbauprojekt der Welt: In die Fuggerei im fränkischen Augsburg. Die sagenhaft reiche Familie Fugger hatte die Siedlung 1521 für bedürftige Haushalte errichtet und verlangte von ihnen weiter nichts als einen Gulden pro Jahr und dass sie dreimal am Tag für ihre Gönner beten würden. Die Anlage existiert übrigens bis heute. Aus dem Gulden pro Jahr sind inzwischen 88 Cents geworden. Beten müssen die Mieter aber immer noch.

Auch wenn Mozarts Urenkel, Wolfgang Amadeus, in Geldfragen ebenfalls nicht immer ein gutes Händchen hatte, fiel seine Wohnung in der Wiener Domgasse schon deutlich herrschaftlicher aus als die seines Urgroßvaters. Doch lebte er noch heute in Wien, würde man selbst ihm bei der Miete unter die Arme greifen. Das Richtwertgesetz sieht für Altbauwohnungen derzeit eine Miete von 6,67 Euro pro Quadratmeter vor. Freilich liegt die Domgasse im ersten Gemeindebezirk, wo ein Lagezuschlag von 16,02 Euro pro Quadratmeter fällig wird. Die Monatsmiete für die 180 Quadratmeter der Mozart-Wohnung würde also trotzdem schlanke viertausend Euro betragen und er würde wohl genauso ins Schlingern geraten und schließlich in den billigeren dritten Bezirk umziehen müssen wie vor 250 Jahren. Aber doch bleibt die Frage: Welches sozialpolitische Interesse hat der Staat daran, dass ein Rockstar für seine Altbauwohnung in der Inneren Stadt weniger Miete zu zahlen hat als eine junge Familie für eine Neubauwohnung im Alsergrund?

Welches sozialpolitische Interesse hat der Staat daran, dass ein Rockstar für seine Altbauwohnung in der Inneren Stadt weniger Miete zu zahlen hat als eine junge Familie für eine Neubauwohnung im Alsergrund?

Die Antwort: Objektförderung. Ob Sie in den Genuss einer Mietunterstützung kommen, hängt in Österreich nicht in erster Linie von Ihnen – dem Subjekt – ab, sondern von den Eigenschaften Ihrer Wohnung – dem Objekt. Ob das Subjekt ein Rockstar oder ein Maurer ist, spielt für die Miete keine Rolle. Dieses sozialpolitisch bedenkliche Phänomen tritt bei sozialen Wohnbauprojekten regelmäßig auf. Sogar die Fuggerei litt darunter. Franz Mozart war nämlich, wie die Mehrheit der Historiker heute annimmt, keineswegs ein verarmter Maurer. Er arbeitete als Baumeister für die Fuggerei und durfte in dieser Funktion auch dort wohnen; nicht, weil er tatsächlich bedürftig gewesen wäre. Hätten die Fugger Subjektförderung betrieben, dann hätten sie von ihm eine angemessene Miete verlangt und damit die Subvention für die wirklich Bedürftigen querfinanziert.

Nun spielte Geld bei den Fuggern natürlich keine Rolle. Außerdem ging es um ihr Seelenheil und wer schaut da schon auf Heller und Pfennig? Doch was die Fugger und ihr sozialer Wohnbau für das mittelalterliche Augsburg waren, das sind Wiener Wohnen und der Gemeindebau für uns. Dass die Gründerväter des Roten Wien viel Wert auf einen Einzug ins Paradies gelegt hätten, ist erstens nicht überliefert und außerdem hat die öffentliche Hand, zweitens, eben keine eigenen Reichtümer zu verteilen, sondern sie arbeitet mit Steuergeld. Deshalb spielt es sehr wohl eine Rolle, wie gut oder schlecht gefördertes Wohnen funktioniert.

Gefördertes Wohnen in Österreich

Von ein paar Orchideenphänomenen abgesehen, die sich zwar gut für Polemik eignen, die mit der Lebensrealität der Mieter in Österreich aber wenig zu tun haben – zum Beispiel Friedenszinse oder die Kategoriemieten in Altverträgen von etwas mehr als einem Euro pro Quadratmeter (ohne Wasseranschluss) –, gibt es vier Vehikel, über die der Gesetzgeber Mieten reguliert. Fassen wir Hunderte Seiten Gesetzestext kurz zusammen.[2] Die Juristen mögen uns etwaige Ungenauigkeiten verzeihen:

  • Wohnbauförderungsgesetze der Länder: Wer Wohnungen errichtet, kann dafür ein vergünstigtes Darlehen erhalten. Bis das Darlehen zurückgezahlt ist, darf nur an Haushalte unterhalb bestimmter Einkommensgrenzen vermietet werden. Die Mieten dürfen nur so hoch sein, dass sie die Finanzierungskosten decken.
  • Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz: Auch Genossenschaften und gemeinnützige Bauvereinigungen[3] erhalten solche vergünstigten Darlehen und unterliegen hinsichtlich der Auswahl ihrer Mieter Regeln. Sie verpflichten sich aber auch nach der Rückzahlung zum Kostendeckungsprinzip. Etwaige Gewinne müssen sie wieder in den Wohnbau investieren. Im Gegenzug sind sie unter anderem von der Körperschaftsteuer befreit.
  • Gemeindewohnungen: Auch Kommunen nehmen geförderte Darlehen auf, um Wohnraum zu schaffen. Daher gelten die Regeln hinsichtlich Miethöhe und Mieterauswahl auch für sie. Hier tritt die öffentliche Hand – oft über ausgelagerte Unternehmen – selbst als Vermieter auf.
  • Richtwertgesetz: Vermieter von Normwohnungen, die dem Mietrechtsgesetz unterliegen und vor dem 9. Mai 1945 (bzw. vor dem 1. Juli 1953) errichtet wurden, sind ebenfalls an eine Mietbegrenzung gebunden, wenn der Mietvertrag ab dem 1. März 1994 geschlossen wurde. Das Gesetz regelt die Miethöhe pro Quadratmeter.

An dieser Stelle müssen wir eine kleine Schwindelei zugeben, die Sie sicher längst bemerkt haben: Mozarts Wohnung in der Domgasse hätte natürlich nicht dem Richtwertgesetz unterlegen, da sie größer als 130 Quadratmeter und daher keine Normwohnung ist. Gut möglich, dass er heute mehr zahlen müsste als viertausend Euro. Das Mietrechtsgesetz greift aber trotzdem und sieht einen „angemessenen Mietzins“ vor, der in der Regel die marktübliche Miete nicht übersteigen darf. Da der erste Wiener Gemeindebezirk aber überwiegend aus (regulierten) Altbauwohnungen besteht, ist die regulierte Miete quasi die Marktmiete. Würde Wolfgang Amadeus eine Mieterhöhung im Briefkasten vorfinden, die darüber deutlich hinausgeht, dann könnte er dagegen vor Gericht ziehen.

Abbildung 1: Regulierungsarten

Der österreichische Staat fährt also das ganze Buffet der Mietpreisregulierung auf: Erstens vergünstigt er das Wohnen, indem er einen Teil der wahren Kosten selbst trägt oder zumindest auf Erträge verzichtet. Zweitens reguliert er Mieten per Gesetz und überwälzt die Kosten für diese sozialpolitisch gemeinte Maßnahme auf den privaten Sektor. Und drittens – eine Mischform – fördert er Kredite für Genossenschaften und verzichtet auf Steuereinnahmen; er trägt also selbst Kosten, verpflichtet aber gleichzeitig privatwirtschaftliche Akteure, die Mieten niedrig zu halten.

Dieses sozialpolitisch bedenkliche Phänomen tritt bei sozialen Wohnbauprojekten regelmäßig auf.[1] In Österreich fallen die allermeisten Wohnungen unter eine der oben genannten Regulierungsmöglichkeiten. Nach unserer Schätzung – zu Daten und Methode kommen wir noch – sind in Österreich nur rund 19 Prozent der Mietwohnungen am freien Markt vermietet; in Wien sind es sogar nur 11 Prozent (siehe Abbildung 1).[4] Für sie gelten zwar auch allgemeine Mieterschutzregelungen, aber eben keine harte Mietpreisbegrenzung.


Fußnoten

  1. Vgl. z. B. Glaeser & Luttmer (2003).
  2. Vgl. auch Fessler et al. (2016)
  3. Es ist üblich, auch bei den gemeinnützigen Bauvereinigungen von „Genossenschaftswohnungen“ zu sprechen, obwohl diese auch anders organisiert sein können. Zur Vereinfachung sprechen auch wir im Folgenden nur von Genossenschaften.
  4. Andere Studien sind zu vergleichbaren Ergebnissen gelangt, z. B. Schwarzbauer et al. (2019).
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