Nicht unbedingt. Erstens gilt das System europaweit. Eine Veränderung müsste also EU-weit koordiniert werden. Das System hat uns in den letzten (ruhigen) Jahren aber auch gute Dienste erwiesen. Durch die konsequente Vorreihung der billigsten Anbieter und den Ausbau der Erneuerbaren wurde Strom günstiger. Zugleich waren die Anreize hoch, in den Ausbau der Erneuerbaren zu investieren. Dieser Trend sollte fortgesetzt werden. Je seltener wir für den täglichen Strombedarf ein Gaskraftwerk zuschalten müssen, desto besser. Schon jetzt ist der Strom in Österreich an einigen Tagen des Jahres praktisch kostenlos.[1]
Die Alternative zur Merit Order wäre ein Bieterverfahren, in dem jeder den Preis erhält, mit dem er in die Auktion gegangen ist. Daraus entsteht am Markt dann ein Durchschnittspreis. Vor Jahren entschied man sich auch im Sinne der Versorgungssicherheit gegen ein solches pay-as-bid Verfahren, weil die Gefahr besteht, dass Anbieter mit aggressiven Angeboten in den Markt gehen, die sie dann nicht halten können. Außerdem würden Windparkbetreiber dann nicht mehr zu Grenzkosten anbieten, sondern sie würden versuchen, den jeweils aktuellen Durchschnittspreis zu erraten. Es ist nicht einmal klar, ob der Strompreis auf diese Art sinken würde. Umsetzbar wäre so ein Modell jedenfalls nur europaweit.
Portugal, Frankreich und andere Länder haben die Strompreise gedeckelt. Die Konsequenzen sind haarsträubend: In Frankreich wird der Abgabepreis an die Endkunden staatlich vorgegeben; der Staat zahlt den Versorgern aber eine Art Entschädigung. Trotzdem muss der französische Stromkonzern EDF um 10 Milliarden Euro verstaatlicht werden, weil die weggebrochenen Einnahmen die Schuldenlast untragbar machten. Die französischen Steuerzahler müssen jetzt also die Aktionäre ausbezahlen und die Schulden übernehmen.
Auch der spanische Weg funktioniert nicht so, wie man sich das vorgestellt hatte. In Spanien wurde ein echter Preisdeckel eingeführt. Es handelt sich also um einen direkten Markteingriff. Auch hier bekommen die Versorger die Differenz zum Marktpreis ersetzt. Die Kosten in Höhe einiger Milliarden Euro sollen aber nicht aus dem öffentlichen Budget gedeckt, sondern wiederum auf alle Stromkunden umgelegt werden. Die Spanier zahlen sich ihren Preisdeckel also selbst; billiger wird die Energie dadurch nicht. Auch die direkte Wirkung auf die Preise ist überschaubar. Der Strompreis am Spotmarkt ist seit der Einführung des Preisdeckels um 23 Prozent gefallen.[2]
Das hört sich gut an, hilft einem Haushalt, der schon vor der Krise knapp kalkulieren musste, aber nur wenig. Umso mehr, da sich der Strompreis im Vergleich zum letzten Jahr auch inklusive Preisdeckel vervielfacht hat.
Noch schlimmer ist: Durch den Preisdeckel sinken die Anreize, zu sparen. Gaskraftwerke können sich in der Merit Order in manchen Stunden nun sogar vor andere Technologien drängen. In der Folge liegt der Anteil der Gasverstromung in Spanien derzeit um acht Prozentpunkte höher als vor Einführung der Maßnahme, während überall sonst in Europa versucht wird, Gas einzusparen.[3] Ganz grundsätzlich taugen Spanien und Portugal nicht als Vorbilder für Österreich: Beide Länder benötigten für ihre Preisdeckel eine Ausnahmegenehmigung der EU – die sie nur bekamen, weil sie kaum am europäischen Stromnetz hängen.
Bevor Stromversorger überhaupt Gewinne ausschütten können, werden sie mit der Körperschaftssteuer in Höhe von 25 Prozent belastet. Wenn die Empfänger in Österreich steuerpflichtig sind, zahlen sie auf ihren Anteil dann noch einmal Kapitalertragsteuer in Höhe von 27,5 Prozent. In Summe ist ein Euro Gewinn beim Anteilseigner also mit 45,6 Prozent Steuern belastet. Höhere Gewinne bedeuteten somit auch höhere Steuereinahmen. Da die Stromversorger in Österreich zum allergrößten Teil der öffentlichen Hand gehören, steht auch der Großteil der Ausschüttungen nach Steuern dem Staat zu. Die Diskussion über „Übergewinne“ ist daher eine Scheindebatte. Der bei weitem größte Teil der Gewinne gehört ohnehin der öffentlichen Hand. Sie kann die Gewinne über Sonderdividenden aus dem Unternehmen herausziehen und sie ins Budget fließen lassen oder das Geld im Unternehmen belassen und kräftig in den Ausbau der Erneuerbaren investieren. Das wäre dann eine Art windfall profit für die Energiewende. Die Regierung könnte aber auch juristisch prüfen lassen, ob es möglich ist, Strom unterhalb der Gestehungskosten anzubieten. Dann gäbe es die hohen Gewinne gar nicht. All das ginge ohne Markteingriffe und deren negative Konsequenzen.
Wenn schon kein Preisdeckel, dann wenigstens eine Deckelung der Stromrechnung, lautet derzeit die Devise. Der populärste Vorschlag wurde von WIFO-Chef Gabriel Felbermayr eingebracht und sieht vor, dass der Staat 80 Prozent des Vorjahres-Verbrauchs subventioniert. Die Haushalte müssten nur jenen Teil zu Marktpreisen bezahlen, der über diese 80 Prozent hinausgeht. Sollten sich die Preise verfünffachen, würden die Haushalte – bei gleichem Verbrauch wie im Vorjahr – in diesem Modell nicht mehr zahlen als zuvor. Steigen die Preise noch stärker, wird es teurer. Steigen die Preise weniger stark, zahlt man sogar weniger als früher. Aktuell wäre dieses Modell also eine Überförderung.
Der Vorschlag soll nicht nur die Grundversorgung der Haushalte sichern, sondern auch zum Sparen anregen. Je geringer der Verbrauch über die 80 Prozent des Vorjahres hinausgeht, desto geringer die finanzielle Belastung.
Neben den technischen Umsetzungsschwierigkeiten tun sich aber viele Fragen auf: Warum soll der Staat 80 Prozent des Stromverbrauchs subventionieren? Warum soll diese Menge gratis sein? Die Haushalte könnten ja wenigstens den Vorjahrespreis dafür zahlen. Was ist, wenn jemand eben erst umgezogen ist und es keinen Vorjahresverbrauch gibt, den man zur Berechnung heranziehen kann? Was, wenn sich die Haushaltsgröße verändert hat – etwa durch die Geburt eines Kindes? Was passiert mit Kunden, die vorausschauend einen Fixpreis vereinbart haben und am Ende mehr bezahlen als alle anderen?
Das WIFO hat in Anbetracht dieser Unklarheiten den Vorschlag aktualisiert und spricht mittlerweile von einer Ermäßigung des Preises.[4] Damit würde zumindest die Gefahr der Überförderung reduziert. Weiters sieht das Subventionsvolumen nur mehr 75 Prozent des Verbrauchs vor. Das Kontingent kann sowohl vom Verbrauch der drei vorangegangenen Jahre als auch von der Haushaltsgröße abhängen. In jedem Fall würde die Maßnahme in der Abwicklung zusätzliche Bürokratie nötig machen.
Fußnoten
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