“Gierflation”? Die Gier mag real sein – aber schuld an der Inflation ist sie nicht.

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Was wissen wir überhaupt über die Gewinne?

Die oben gezeigten Deflatorzerlegungen müssen mit großer Vorsicht interpretiert werden. Sie lassen nämlich keine kausalen Aussagen zu. Sie erklären also nicht, wieso die Preise ansteigen. Sie erklären nur, auf welche Bereiche sich die Preisanstiege verteilen. Formal ausgedrückt stellen sie dar, wie sich die Preisanstiege bei Unternehmen und Löhnen relativ zueinander verändern. Dass die Unternehmen hier in letzter Zeit vermeintlich besser abgeschnitten haben als die Arbeitnehmer, kann man natürlich beklagen. Das beweist aber weder, dass die Unternehmen die Inflation treiben, noch zeigt es, dass die Unternehmen mittels höherer Gewinnaufschläge („Markups“) die Inflation antreiben, nur um größere Gewinne einzufahren. Solche Accounting-Übungen können und sollen keine Kausalität abbilden.

Das deutet darauf hin, dass Unternehmen – wie das vielfach gefordert wurde – tatsächlich einen Teil der gestiegenen Preise selbst schlucken, statt sie an ihre Kunden weiterzugeben.

Und auch der Begriff des Gewinns an sich ist mit großer Vorsicht zu genießen. Jeder Unternehmer dürfte sich ungläubig am Kopf kratzen, aber in den Deflatorzerlegungen werden meist die Kosten der Vorprodukte nicht gesondert betrachtet. Zwar werden in einigen Fällen die Abschreibungen berücksichtigt, sodass von den Brutto- zu den Nettobetriebsüberschüssen übergegangen wird. Dabei unterscheiden sich die volkswirtschaftlichen von den steuerlichen und den betriebswirtschaftlichen Abschreibungen.[1] Aber die im Produktionsprozess anfallenden Kosten werden nicht als eigene Größe behandelt. Eine Analyse des ifo Instituts hat diesen Mangel mit deutschen Daten korrigiert. Die korrekte Einbeziehung der gestiegenen Kosten hat dabei so deutliche Auswirkungen, dass sich sogar das Vorzeichen ändert.[2] So ist der Deflatorbeitrag der Unternehmensgewinne bei Berücksichtigung der Kostensteigerung von Vorprodukten und Abschreibungen sogar negativ. Das deutet darauf hin, dass Unternehmen – wie das vielfach gefordert wurde – tatsächlich einen Teil der gestiegenen Preise selbst schlucken, statt sie an ihre Kunden weiterzugeben. Genau dieses Verhalten lässt sich auch aus der ökonomischen Theorie erwarten. Da wird davon ausgegangen, dass Preisanstiege bei vielen Produkten nicht gänzlich an die Konsumenten weitergegeben werden. Hauptgrund ist, dass die Verbraucher bei den meisten Gütern auf andere Produkte ausweichen können und die Produzenten deshalb mit einer moderateren Preiserhöhung selbst auch größere Gewinne erzielen können als bei gänzlicher Preisweitergabe.

Analysen, die genauer sind als eine Deflatorzerlegung, sind auch aufgrund der mangelnden Datenlage rar. Eine stammt von der italienischen Nationalbank.[3] Sie kommt zum Schluss, dass die Gewinnaufschläge, also die Markups, in der Wirtschaft seit dem Jahr 2021 rückläufig waren und sich deutlich unter denen des Jahres 2019 befinden. Lediglich die Markups der Industrie konnten im vergangenen Jahr zulegen und liegen über jenen des Jahres 2019. Der Anteil der Unternehmensgewinne an der Gesamtwirtschaft erhöhte sich im vergangenen Jahr allerdings – er befindet sich aber nach wie vor unter dem Niveau von 2019.

Die Markups sinken, aber die Gewinnanteile steigen? Hier lohnt ein genauerer Blick in die volkswirtschaftlichen Rechenwerke der italienischen Nationalbank: Die Gewinne werden als Bruttogewinne durch die Unterschiede von Bruttowertschöpfung und Arbeitskosten geschätzt. Die Markups werden hingegen als Verhältnis von Produktionsdeflator und variablen Stückkosten geschätzt. Die italienische Nationalbank führt die Steigerung des Produktionsdeflators ausschließlich auf erhöhte variable Kosten zurück, insbesondere Vorleistungspreise (vor allem Energiepreise). Der Rückgang der Markups resultiert also aus der starken Zunahme der Vorleistungspreise. Gleichzeitig treiben diese gestiegenen Kosten aber die Bruttogewinne, die eben nicht um die gestiegenen Kosten der Vorprodukte bereinigt werden. Die Unternehmenseinkommen wachsen sogar schneller als die Arbeitskosten, da die Löhne erst mit einiger Verzögerung angepasst werden. So nimmt also der Anteil der geschätzten Gewinne an der Bruttowertschöpfung automatisch zu, obwohl die Gewinnaufschläge rückläufig sind. Wo ist nun die Gierflation?

Die Kosten der Unternehmen sind stärker gewachsen als ihr Umsatz. Die höheren Preise der Unternehmen sind also auf die gestiegenen Kosten zurückzuführen. 

Auch die belgische Nationalbank hat untersucht, ob Gier die Ursache der gegenwärtigen Inflationswelle ist, und konnte diese These ebenfalls nicht bestätigen.[4] Die Kosten der Unternehmen sind stärker gewachsen als ihr Umsatz. Die höheren Preise der Unternehmen sind also auf die gestiegenen Kosten zurückzuführen. Dabei entfällt der Großteil auf erhöhte Inputkosten. Die Margen waren in allen Sektoren rückläufig – mit Ausnahme der Landwirtschaft und der Stahlindustrie. Auch im Bereich des Seetransports und der Beherbergung nahmen die Margen zu.

In einer Analyse des Beratungsunternehmens Oliver Wyman wurde untersucht, ob die größten europäischen Konsumgüterhersteller ihre Profitabilität bzw. ihre Gewinnmargen im Jahr 2022 steigern konnten. Sie kam zum Schluss, dass dies nicht der Fall war. Auch das spricht gegen eine vermeintliche Gierflation.

Warum konnte also die Gierflationsthese dermaßen an Fahrt aufnehmen? Nicht zuletzt, weil sie eine einfache Antwort auf die derzeit hohen Inflationsraten bietet. Dass dann dort insbesondere der Lebensmittelhandel schnell in den Verdacht kommt, obwohl er seinen vorhandenen Gewinn nicht steigern konnte, erklärt sich aufgrund der Inflationswahrnehmung der Konsumenten: Preisveränderungen von Produkten, mit denen wir häufig in Kontakt sind, nehmen wir stärker wahr. Lebensmittel sind da eine der wichtigsten Produktkategorien.


Fußnoten

  1. Es wird bei den volkswirtschaftlichen Abschreibungen vom Bestand an Anlagegütern und deren normaler wirtschaftlicher Nutzungsdauer ausgegangen. Falls direkte Informationen über die Produktionsgüter fehlen, kommt ein Schätzverfahren zum Einsatz. In jedem Fall erfolgen die Abschreibungen dann linear über den Nutzungszeitraum (ESVG 2010).
  2. Wollmershäuser (2023).
  3. Banca d’Italia (2023).
  4. Bijnens et al. (2023).
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