„Mehr Wachstum!“ In fast jeder Rede eines Politikers findet sich diese Losung. Nur damit könne die Arbeitslosigkeit zu rückgedrängt werden, nur damit sei der Massenwohlstand zu heben und nur damit bleibe der Wohlfahrtsstaat finanzierbar.
In wachsenden Teilen der Bevölke rung stößt die Forderung nach mehr Wachstum auf Kritik. Mehr Wachstum schade Geist, Seele und Umwelt. Was gerne über sehen wird: Die Wachstumskritik im reichen Westen steht auf dem Fundament des Vergessens. Und geht auf Kosten jener, die man vorgeblich liebt: Die Armen.
Wäre es jung und dynamisch, fröhlich und zukunftsorientiert, optimistisch und tatkräftig – oder eher ein „Grumpy Old Man“, ein grantiger alter Kerl, der alle anzeigt, die sich schneller bewegen als er selbst.
Dieser grantige alte Mann steht in der Fantasie des Autoren immer vor einer „Manufactum“-Filiale, wo Leute am Zenit ihrer Konsummöglichkeiten einkaufen. Dort werden Produkte angeboten, die sich von Massenerzeugnissen abheben, für Leute, die eigentlich schon alles haben, zu Preisen, die nur sehr bedingt sozialverträglich sind. Da steht nun unser grantiger alter Mann, und es nähern sich die Personifizierungen der materiellen Aufsteiger bei uns, in China, in Indien, in Südamerika und Afrika – alle sind gut drauf und wollen was kaufen, aber der alte, grantige Mann fuchtelt nur abwehrend mit seinen Händen: „Ihr braucht nichts, ich hab doch schon alles.“
Das ist das Drama der Wachstumskritik, in aller Kürze. Es wiederholt sich in allen westlichen Ländern jeden Tag. Der grantige alte Mann ist manchmal bei Attac oder Occupy, nicht selten Journalist oder Berufsbeamter, und fast immer aus gutem Hause, in dem das Thema Geld keine Rolle spielte, weil es regelmäßig vom Staat kam oder von den Eltern. Die zentrale Ökonomie dieser Leute ist das Taschengeld. Ihr zentrales Problem die Übersättigung. Was einst auch in der Arbeiterbewegung ein zentrales Motiv war – materielle Teilhabe, was sonst? –, wird in den Händen der dritten und vierten Wohlstands-Nachkriegsgeneration zum Schreckgespenst. Esoterik ersetzt die Ökonomie. Die Lieblingswörter lauten „Rückbau“ und „Gemeinwirtschaft“, eine vermeintliche Alternative zu Markt und Wachstum, die so lange funktioniert, bis – frei nach Margaret Thatcher – den Gemeinwirtschaftern das Geld anderer Leute ausgeht: mal das von Papa, mal das der Steuerzahler, die man zur Subvention der eigenen Träume gesetzlich verpflichtet.
Überall ist zu viel. Alles ist kompliziert. Man muss nur viel weglassen, dann wird alles besser.
Warum ist das so? Die scheinbar paradoxe Antwort darauf lautet: Schuld daran ist wieder einmal der Kapitalismus. Wirklich. Denn der hat die Voraussetzungen für die modische Wachstumsgegnerschaft erst geschaffen. Laut dem vom britischen Wachstumsökonomen Angus Maddison erstellten Report „The World Economy. A Millenial Perspective“ der OECD hat sich der materielle Wohlstand in den Zeiten des Kapitalismus enorm erhöht. Als Ausgangspunkt wählte Angus Maddison das Jahr 1000. Durch die Auswertung vieler historischer Quellen konnte das Bild einer stationären, also nicht auf Wachstum ausgerichteten, Ökonomie gezeichnet werden – und was das für die Menschen damals bedeutete. Damals, als fast jeder von der Landwirtschaft lebte, starb man im Schnitt im Alter von 22 Jahren. Ein Jahrtausend später war die Lebenserwartung in Westeuropa auf 78 Jahre gestiegen. Die Tabellen zeigen, wie nach langen Jahren der Stagnation mit dem Beginn des Industriekapitalismus vor 200 Jahren die Chance, älter zu werden, abhebt wie eine Rakete.
Es ist das letzte Viertel des vergangenen Jahrtausends, das Viertel des kapitalistischen Wachstums, in dem die großen Erfolge erzielt wurden: Die Bevölkerung der Welt ist um das 22fache gewachsen und das Welt-BIP, die Gesamtheit aller materiellen und wirtschaftlichen Leistungen, um das 300fache. Das ist die Grundlage unseres Wohlstands und aller dazugehörigen Befindlichkeiten.
Zuvor lebten die Menschen, wie Thomas Hobbes’ berühmtes Gleichnis aus dem 17. Jahrhundert lautete, meist „einsam, arm, schmutzig und tierisch“. Noch vor weniger als zwei Generationen war auch in unseren Breiten eine regelmäßige und ausreichende Versorgung mit den Gütern des täglichen Bedarfs keineswegs sicher.
Doch schon zuvor hatte der Ökonom Joseph A. Schumpeter die offensichtliche Rechnung der großen Erfolge aufgemacht: Wenn der Kapitalismus die nächsten 50 Jahre so weitermache wie bisher, prophezeite er 1939 in „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“, dann werde das, was man heute Armut nennt, nicht mehr existieren, ausgenommen „pathologische Ausnahmen“, wie er meinte. Er hat damit Recht behalten, wie auch mit der an diese Entwicklung gekoppelten Aussicht, dass die Profiteure dieser Entwicklung die Totengräber des kapitalistischen Systems werden würden. Dieses lebt von der Erwartung darauf, dass es mehr gibt. Und das hat historisch immer auch bedeutet: mehr für alle.
Doch alles, von dem wir reichlich haben, verliert seinen Reiz, und das gilt auch für das Materielle an sich. Wo Leute mehr als genug haben, vergessen sie die Quellen dieses Wohlstands, nicht nur ihres materiellen Status quo, sehr schnell. Und selbst wenn es dekadent klingt – und auch ist: Auch Konsumieren macht Arbeit, insbesondere in einer komplexen Welt, in der die Auswahl groß ist. Das stete quantitative Wachstum sorgt für eine vielfältige Angebotswelt, aber Entscheiden macht Mühe – die „Qual der Wahl“. Eine Entscheidungskultur, die für eine komplexe Wissensgesellschaft, die heute entsteht, besonders wichtig ist, wurde nie gelehrt und entwickelt. Wer immer von den fürsorglichen Entscheidungen anderer – dem Staat, der Partei, der Gruppe oder Familie – abhängig war, der tut sich damit doppelt und dreifach schwer, und das betrifft nach wie vor die meisten. Es gilt, was Johann Wolfgang Goethe schon vor 200 Jahren wusste: „Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von guten Tagen.“
Unter westlichen Intellektuellen, besonders im deutschsprachigen Raum, gewinnt die sogenannte „Suffizienzbewegung“ immer mehr Anhänger. Fast alle „Weniger“-Bewegungen der letzten Jahre gehen auf diese Ideologie zurück, ob es sich nun um „weniger Fleisch“ oder „weniger Produkte“ handelt. Suffizienz bedeutet auf Deutsch so viel wie „ausreichend“. Die Online-Enzyklopädie Wikipedia listet die dazugehörigen Begriffe auf: „Selbstbegrenzung, Konsumverzicht, Askese, Entschleunigung und Abwerfen von Ballast“. Das klingt nach Erlösung in einer Welt, die viele als Überforderung empfinden – und die Modekrankheiten wie das „Burnout-Syndrom“ erzeugt, das Medizinern Rätseln aufgibt. Der alte, grantige Mann raunzt: „Seht ihr! Jetzt werdet ihr auch noch krank vom Zuviel!“ Das Wachstum ist schuld. Weniger ist mehr.
Was ausreicht, entscheiden wenige für alle. Und diese Entscheider sind nicht selten die, die den materiellen Aufstieg längst hinter sich gebracht haben. Die Verzichtsbewegung der Suffizienz füllt das Loch, das durch den Konsumverzicht entsteht, mit Moral. Und zwar einer, bei der die einen die Regeln vorgeben, nach denen die anderen zu leben haben. Die Folge ist die Politik der Gefühle, die heute überall grassiert. Dabei ist der Durchblick gar nicht so schwer. Wachstum ist nötig, nicht nur, um den Status quo zu erhalten, sondern vor allen Dingen auch, um die enormen Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen. Die Digitalisierung und die damit verbundene Automatisierung, die gerade den Weg in die Wissensgesellschaft ebnen, werden enorme Leistungssteigerungen mit sich bringen – aber auch viele Jobs und Berufe überflüssig machen. Um das zu kompensieren, brauchen wir deutlich mehr Wachstum als heute – nicht weniger. Wer weniger fordert, setzt nicht nur die Lebenschancen der weniger gut Ausgebildeten aufs Spiel, sondern bricht auch den Gesellschaftsvertrag, der den sozialen Frieden sichert. Nicht alle können Biobauern werden. Das trifft, global wie im eignen Land, gerade die, die sich die Bessergestellten und Bessergebildeten als bevorzugte Schutzbefohlene ausgesucht haben: die Armen oder, um es auf den Punkt zu bringen, die heute weniger Wohlhabenden. Für sie besteht in einer Politik der allseitigen Reduktion tatsächlich die Gefahr, dass Thomas Hobbes’ Beschreibung bald wieder auf sie zutrifft. Die Abstiegsängste des Mittelstandes haben auch die politische Landschaft erreicht, und das nicht nur in Österreich. Darauf mit weiteren Bremsmanövern zu reagieren, was die Entwicklungsfähigkeit der Marktwirtschaft angeht, vor allen Dingen einer wissensbasierten Ökonomie, bewirkt das Gegenteil dessen, was gewünscht ist: Mehr Chancen für alle gibt es nur, wenn alle die Chance auf mehr haben. Alles andere ist ein Hirngespinst.
Ohne quantitatives, materielles Wachstum ist auch die Idee vom qualitativen Wachstum nicht viel wert. Qualitatives Wachstum findet nur statt, wo das Materielle die Grundlage dafür liefert. Das Anwachsen der Lebensqualität, das dabei im Mittelpunkt steht, sei es durch mehr Freiheit, mehr Selbstbestimmung oder eine bessere Qualität der Produkte – etwa von der Massentierhaltung zum Biofleisch – braucht, um für die meisten Menschen verfügbar zu sein, noch erhebliches Wachstum in allen Feldern. Die Suffizienzbewegung und ihre zahlreichen Epigonen graben sich das eigene Wasser ab. Das ist auch so bei allen, die von der öffentlichen Hand leben und sich über die Ökonomie empören, die die Mittel für ihre Jobs und Ämter bereitstellt. Diese Widersprüche, die in unserer Kultur verankerten Paradoxien, müssen wir so bald wie möglich auflösen, wenn wir uns weiter entwickeln – also wachsen – wollen. Dabei geht es nicht um ein „Weiter so!“, sondern um die Fähigkeit, die Grundlage unserer Gesellschaften zu erkennen. Und auf dieser Grundlage die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wachstumskritik ist in vielen Fällen heute deshalb meistens nur ein rückwärtsgewandtes Verzagen am Fortschritt und an der Entwicklung der Welt. Also etwas für alte, grantige Männer. Aber nichts für alle, die noch eine Zukunft haben wollen.
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