
Digitalpotenzial #1: Theorie & Praxis
Chancen und Risiken des digitalen Zeitalters
Digitalpotenzial #1: Theorie & Praxis
Im Alltag der Digitalisierung
Abseits der medialen Aufmerksamkeit hinsichtlich der Risiken der Digitalisierung wird der technologische Fortschritt immer mehr in unser tägliches Leben eingebunden. Die Digitalisierung hilft uns auf dem Weg zu einer besseren Bildung, individualisierter medizinischer Versorgung oder einem sicheren Fortkommen auf den Straßen.
Weltklasse-Bildung für Alle
Im Jahr 2011 entschied sich Professor Sebastian Thrun, seinen Kurs „Einführung in die künstliche Intelligenz“ an der Stanford University erstmals weltweit anzubieten. Nicht nur die im Hörsaal sitzenden Studenten der US-Eliteuniversität sollten seine Vorlesung besuchen können, sondern auch Studenten in aller Welt. Das Interesse war enorm: Rund 160.000 Studenten aus aller Herren Länder meldeten sich zur Vorlesung an, 23.000 von ihnen legten auch alle Prüfungen erfolgreich ab. Das Erstaunliche dabei: Der beste Stanford-Student landete mit seinen Prüfungsergebnissen auf Platz 413. Das wiederum bedeutet: Die besten 412 Absolventen waren nicht aus Stanford, darunter die damals elfjährige Khadija Niazi aus Pakistan.
Aufgrund dieser Erfahrungen gab Thrun seine Professur in Stanford auf und gründete die Online-Universität Udacity, die inzwischen Kurse in verschiedensten Fächern anbietet und in 119 Ländern mehr als drei Millionen Teilnehmer hat.
Das wiederum bedeutet: Hervorragende Bildung wird in Zukunft einer breiten Masse von Menschen in aller Welt zu minimalen Kosten offenstehen. In sogenannten Massive Open Online Courses (MOOCs) können Kursteilnehmer weltweit Lerninhalte erkunden und Prüfungen ablegen. Möglich machen das die rasant wachsenden Kapazitäten bei der Verarbeitung von Daten, sogenannte Big Data. Sie ermöglichen
die globale Verbreitung von Bildungsinhalten über das Internet.
Was ist Big Data?
Stark anwachsende Datenmengen haben zur Entstehung eines Begriffes geführt, der sinnbildhaft für den digitalen Wandel wurde: Big Data.
Als Sammelbegriff bezieht sich der Terminus auf Datenmengen, die sich durch drei Charakteristika (the three V’s) auszeichnen. Es handelt sich um Daten großer Menge (Volume), die mit hoher Geschwindigkeit (Velocity) generiert werden und aus unterschiedlichen Formaten (Variety) bestehen. Die uneingeschränkte und nahezu kostenlose Verfügbarkeit von Daten und Informationen bildet den Grundstock (Building Block) für viele Innovationen im digitalen Zeitalter. Auch die Entwicklung „intelligenter“ Algorithmen, die im Folgenden besprochen wird, basiert im Wesentlichen auf der stetigen Ausweitung von Big Data.
Beispiele wie das Online-Bildungsportal von Professor Thrun zeigen, dass das Internet zum Datenhighway des digitalen Zeitalters geworden ist. 2016 wurden hier mehr Daten transportiert als jemals zuvor analog erstellt wurden. Die Encyclopaedia Britannica enthält Informationen in der Größenordnung eines Gigabytes. Wissenschaftler schätzen den gesamten Informationsgehalt aller jemals geschriebenen Bücher weltweit auf das Fünfhunderttausendfache.[1] Doch auch diese schwindelerregend große Menge an Daten wurde 2016 vom Datenvolumen des Internets um das Zweimillionenfache übertroffen.[2]
Dr. Algorithmus empfängt Sie jetzt!
Zum Tagesgeschäft von Ärzten gehört es, Diagnosen zu erstellen. Dabei beobachtet der Mediziner die Symptome des Patienten und greift gedanklich auf sein erlerntes Wissen zurück. Diese Form des Vergleichens von vergangenen mit gegenwärtigen Mustern ist eine große Stärke des menschlichen Gehirns. Doch gerade in dieser besonderen Fähigkeit erhalten Mediziner verstärkt Unterstützung vonseiten der „künstlichen Intelligenz“, wie dem Superalgorithmus „Watson“ von IBM. Im Gegensatz zu Ärzten aus Fleisch und Blut kann Watson in Sekundenschnelle auf Millionen von vergangenen Krankheitsbildern und deren Diagnosen zugreifen. Watson ist sogar in der Lage, handgeschriebene Dokumente oder diktierte Aufzeichnungen auszuwerten. Natürlich auch Bildinformationen aus medizinischen Aufnahmen. Seine Diagnosetechniken, die auf automatischer Datenauswertung beruhen, übertreffen schon jetzt die Genauigkeit von Fachmedizinern.
Watson wird mit dem Krankheitsbild eines Patienten konfrontiert. Er analysiert dieses nach Mustern, um sie mit seiner Datenbank abzugleichen. Dank der Vielzahl von Informationen, die das Wissen menschlicher Ärzte weit übersteigt, kann er eine Diagnose erstellen und eine Behandlungsmethode vorschlagen. Im Memorial Sloan-Kettering Cancer Center in New York wird Watson seit einigen Jahren mit echten sowie erdachten Patientendaten trainiert. Watson wird mit jeder Trainingsrunde besser in seinen Befunden. In absehbarer Zukunft werden viele Ärzte wie im Memorial Sloan-Kettering Cancer Center in New York zusammen mit Algorithmen wie Watson arbeiten. Dieser Schritt wird nicht nur die Medizin, sondern auch das Berufsfeld des Arztes nachhaltig verändern. Dieser wird in Zukunft wahrscheinlich über weniger Fachwissen verfügen müssen und sich mehr um den direkten menschlichen Kontakt kümmern können.
Doch auch außerhalb des Krankenhauses und der Arztpraxis verändern digitale Technologien das Gesundheitssystem. Durch immer weiter fallende Preise können Sensoren in der Kleidung[3], die mit dem Smartphone gekoppelt sind, relevante Daten von Patienten mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes oder Asthma permanent aufzeichnen und auswerten. Der Einsatz künstlicher Intelligenz ermöglicht eine höchst individuelle und effektive Behandlung für jeden Patienten. Darüber hinaus können aus vergangenen Patientendaten auch Vorhersagen über den weiteren Krankheitsverlauf getroffen werden.[4]
Was ist Künstliche Intelligenz?
Künstliche Intelligenz, aus dem englischen „artificial intelligence“, oft auch mit AI abgekürzt, ist ein Oberbegriff für lernfähige Algorithmen. Es ist der Versuch, menschenähnliche Intelligenz künstlich nachzubilden. Immer häufiger schaffen es intelligente Algorithmen sogar, die Genauigkeit und Schnelligkeit des menschlichen Gehirns bei der Lösung einer Problemstellung zu übertreffen. Beispiele dafür sind der Schachcomputer Deep Blue, der im Jahr 1996 den amtierenden Schachweltmeister Garri Kasparow schlagen konnte, oder der IBM Computer Watson, dem es 2011 gelang, beim Ratespiel Jeopardy! alle menschlichen Rekordhalter bei Weitem zu übertreffen. Heute können Algorithmen auch Krebszellen erkennen, die für das menschliche Auge unsichtbar bleiben. Auch wenn diese Leistungen uns beeindrucken, so kann künstliche Intelligenz nicht einfach mit menschlicher gleichgesetzt werden. Sie übertrifft den Menschen mitunter bei der Lösung bestimmter, genau definierter Probleme. Jedoch ist sie nicht in der Lage, wie Menschen zu lernen, zu planen, logisch zu denken oder in natürlicher Sprache zu kommunizieren.
Schach, Finanzmathematik oder Übersetzungen sind überraschend einfach für AI geworden, doch noch haben Computer große Probleme, das Wahrnehmungs- und Abstraktionsvermögen eines Vierjährigen zu imitieren. Der Computerwissenschaftler Donald Knuth hat es einmal treffend formuliert: „AI hat uns in nahezu allem geschlagen was Denken erfordert, doch versagt bei vielen Aufgaben, die wir erledigen ohne darüber nachzudenken“.[5]
Heikel ist allerdings der Umgang mit persönlichen Informationen, im Speziellen über unsere Gesundheit und unseren Lebenswandel. Wie sicher sind diese Daten? Nicht zu verhindern ist, dass sie missbräuchlich verwendet werden können. Aber wie ist dieser Missbrauch einzuschränken bzw. wie sieht es mit Sanktionen aus? Weltweit beschäftigen sich Datenwissenschaftler mit diesen Fragen und haben auch schon erste Antworten gefunden.[6]
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- Autor: Hanno Lorenz, Fabian Stephany
- Themen: Digitalisierung, Digitalpotenzial, Digitalpotenzial 1: Theorie & Praxis
- Datum: 01. Januar 2019
Fußnoten
- Etwa 500 Terabyte (Lyman & Varian 2003). ↩
- Rund ein Zetabyte oder eine Trilliarde Bytes. ↩
- An der Georgia Tech University lieferte das Forschungsprojekt StealthVest den ersten Prototyp eines Kleidungsstücks mit medizinischen Sensoren. ↩
- Das kalifornische Startup Predictive Medical Technologies hat einen Algorithmus entwickelt, der Risikopatienten 24 Stunden im Voraus vor einem möglichen Infarkt warnt. ↩
- Nilsson (2009). ↩
- Der Datenrecht-Experte Viktor Mayer-Schönberger beispielsweise plädiert für das „Recht auf Vergessenwerden“, mit dem jeder Nutzer selbst über die Lebensdauer seiner persönlichen Daten im digitalen Raum entscheiden kann (Wikipedia 2017). Die Wiener Initiative „OwnYourData" setzt sich für persönliche „Datentresore“ ein, in denen jeder Nutzer seine eigenen Daten behält und nur ausgewählten Firmen Zugriff innerhalb des Tresors erlaubt (OwnYourData 2017). ↩
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