Innenpolitik

Müssen wir alle bald sterben?

Der Untergangskult nimmt bedrohliche Ausmaße an. Dabei geben die demnächst zu Ende gehenden 2010er-Jahre jede Menge Anlass zur Zuversicht.

In der Wissenschaft gibt es ein überaus interessantes Phänomen zu bestaunen, es nennt sich „rosy retrospection“ und beschreibt den verklärten Blick der Menschen auf ihre eigene Vergangenheit. Jeder Erwachsene, der hin und wieder an seine Kindheit denkt, kennt das: Selbst jene, die in der Schulzeit nicht viel zu lachen hatten, vermissen mit einigen Jahren Abstand diese eigentlich sehr schönen und unbeschwerten Jahre. Sie schmunzeln über den einen oder anderen schrulligen Lehrer, lächeln über die Klassen-Tyrannen und haben die vielen Ferien deutlich besser in Erinnerung als die vielen Schularbeiten.

Wer auf die in wenigen Tagen endenden 2010er-Jahre zurückschaut, kann sich über die wachsende Verzweiflung nur wundern.

Die Menschen neigen aber nicht nur dazu, die Vergangenheit zu idealisieren, sondern auch dazu, die Gegenwart schonungslos zu dramatisieren. Wer die mediale Berichterstattung verfolgt, weiß, dass unser aller Ende unmittelbar bevorsteht. Die Erde brennt, das Eis auf Grönland schmilzt wie der Ötztalgletscher im April, ganze Regionen drohen von den steigenden Meeresspiegeln verschlungen zu werden, die Artenvielfalt ist in einem nie dagewesenen Ausmaß bedroht, die Armen werden immer ärmer, während der permanent steigende Leistungsdruck Millionen von Menschen in die Depression treibt, bevor ihnen die Digitalisierung die Arbeit nimmt. Zukunftsangst und Pessimismus, soweit das Auge reicht.

Wer auf die in wenigen Tagen endenden 2010er-Jahre zurückschaut, kann sich über die wachsende Verzweiflung nur wundern. Entgegen allen Prognosen ist die Welt nicht untergegangen, vielmehr steht sie besser da denn je. Nun ist keineswegs auszuschließen, dass die auf Hochtouren laufenden Notenpressen in eine höchst unerfreuliche Entwicklung führen, aber nach zehn Jahren Krisenpolitik ist in aller Bescheidenheit festzuhalten, dass der ganz große Crash ausgeblieben ist. Die Niedrigzinspolitik hat Millionen von Sparern ärmer gemacht und die Preise für Immobilien durch die Decke getrieben, aber die prophezeite Hyperinflation hat bis dato nicht stattgefunden.

Der Kapitalismus wurde nicht abgeschafft, vielmehr haben die Börsen zugelegt wie nie zuvor.

Überhaupt stehen die 2010er-Jahre für eine ganze Reihe erfreulicher Nachrichten. „Occupy Wall Street“ ist gekommen und ziemlich lautlos wieder verschwunden. Der Kapitalismus wurde nicht abgeschafft, vielmehr haben die Börsen zugelegt wie nie zuvor. Dass die Österreicher davon wenig bis nichts mitbekommen haben, liegt allein daran, dass sie Aktiengeschäfte noch immer für weitaus riskanter und unanständiger halten als das eine oder andere Glücksspiel in heimischen Spielhöllen.

Nun ist nicht zu leugnen, dass Europa an Bedeutung verloren hat. Das ändert aber nichts daran, dass der Wohlstand in Europa zu keiner Zeit der Geschichte breiter und höher war, als er es heute ist. Noch erfreulicher sind die Entwicklungen in anderen Teilen der Welt. Das Smartphone hat in den 2010er-Jahren die Welt erobert und in Afrika eine größere Wirkung entfaltet als die Entwicklungshilfen vergangener Jahrzehnte zusammengenommen. Mobiltelefone kompensieren in Afrika den allgegenwärtigen Mangel an Infrastruktur, wie Martin Staudinger in seiner lesenswerten Reportage „Der smarte Kontinent“ (profil 49) schreibt: „Geld überweisen, Rechnungen begleichen, Kredite aufnehmen, Preise aushandeln – all das erledigen inzwischen mehr als 20 Prozent der Erwachsenen in Subsahara-Afrika über ihr Mobiltelefon.“ Laut Weltbank sei das Einkommen in vielen afrikanischen Haushalten mit Mobiltelefonen um bis zu 30 Prozent gestiegen.

Obwohl die Weltbevölkerung in den vergangenen zehn Jahren um eine Milliarde gewachsen ist, wurde die bittere Armut zurückgedrängt. Die Wahrscheinlichkeit, die eigene Geburt nicht zu überleben, an einer Seuche zu sterben oder in einem Krieg umzukommen, ist niedriger als zu Beginn des Jahrzehnts. Die Lebenserwartung steigt kontinuierlich an, die Medizin macht atemberaubende Fortschritte, die sich mit der Digitalisierung in einer noch nicht vorstellbaren Geschwindigkeit beschleunigen werden.

Die Menschheit wird innovative Lösungen finden, die Umweltschutz und Prosperität Hand in Hand gehen lassen.

Das heißt nicht, dass alles paletti wäre. Keineswegs. Die meisten Staaten knöpfen ihren Bürgern viel zu viel Geld ab, das sie noch dazu ineffizient einsetzen. Die öffentlichen Bildungssysteme haben es nicht ins neue Jahrtausend geschafft, die Folgen der alternden Bevölkerungen werden gekonnt ausgeblendet, und der Klimawandel ist auch in unseren Breiten ein Problem. Aber die Menschheit wird innovative Lösungen finden, die Umweltschutz und Prosperität Hand in Hand gehen lassen. Auch wenn die ganz großen Innovationen höchstwahrscheinlich nicht aus Europa, sondern von außen kommen werden, sie werden kommen.

Bei all den unübersehbaren Herausforderungen sind also Zuversicht und Optimismus angebracht. Unsere Kinder werden sich nicht mehr an die ideologiebehafteten Forderungen nach einem raschen Systemwechsel der späten 2010er-Jahre erinnern, sie werden auf die Zeiten der Untergangshysterie in 30 bis 40 Jahren ähnlich gelassen zurückschauen wie auf ihre Schulzeit.

Kolumne von Franz Schellhorn im “profil” (16.12.2019)

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