Eine liberalisierte Gewerbeordnung wird laut Wirtschaftskammer zu weniger Lehrlingen führen. Dabei sinkt deren Zahl schon länger. Die Lehre sollte attraktiver werden: Etwa, indem jeder Geselle mit einem Jahr Berufspraxis zum Unternehmer werden kann.
Rund um die geplante Reform der Gewerbeordnung ist eine heftige Diskussion entbrannt. Die Wirtschaftskammer tritt vehement gegen den Vorschlag der Agenda Austria auf, nur mehr jene Gewerbe streng zu reglementieren, deren Ausübung Mensch, Tier oder Umwelt gefährdet (siehe “Warum die Gewerbeordnung ein übler Geselle ist”). Im Zuge dessen argumentiert die Kammer, eine weitgehende Liberalisierung der Gewerbeordnung führe dazu, dass die Zahl der Lehrlinge beträchtlich sinken werde. So wie das in Deutschland nach der Reform der deutschen Handwerksordnung 2004 gewesen sei.
Nun ist die Lehre eine Ausbildungsmöglichkeit, um die viele Länder, wo sie so nicht existiert, Österreich zu Recht beneiden. Das Lehrlingswesen hat schöne Traditionen hervorgebracht und ist nach wie vor für viele junge Menschen der Weg zum Erfolg. Grund genug für die Agenda Austria, näher hinzusehen, ob das Argument der Wirtschaftskammer zutrifft.
In unserem Policy Brief “Warum die duale Ausbildung in Österreich ein Problem hat – und wie es zu lösen wäre” zeigen wir, dass dem nicht so ist. Die Zahl der Lehrlinge ist rückläufig – in Deutschland und auch in Österreich, mit und ohne Reform der Gewerbeordnung. “Dass die duale Ausbildung weniger wichtig geworden ist, hat in beiden Ländern ganz eindeutig andere Gründe”, sagt die Agenda Austria-Ökonomin Monika Köppl-Turyna. Die Lehrlingszahl hängt zunächst schon einmal von der Bevölkerungsentwicklung ab, wie diese Grafik zeigt:
Es gibt also tendenziell immer weniger Jugendliche, die eine Lehrstelle antreten könnten. Dazu kommt, dass wegen der nicht eben rosigen Wirtschaftslage die Zahl der Lehrbetriebe abgenommen hat. “Auch klaffen Angebot und Nachfrage an Lehrstellen auseinander: Jugendliche suchen in den ´falschen´ Branchen, die freien Lehrstellen sind weit von ihrem Wohnort entfernt oder sie bringen keine ausreichenden Kenntnisse mit”, analysiert Hanno Lorenz, Mitautor des Policy Briefs.
Die Agenda Austria hat auch untersucht, ob die Reform der deutschen Handwerksordnung zu einem zusätzlichen Rückgang der Lehrlingszahl geführt hat. Quantitative Analysen zeigen aber eindeutig: Es gibt keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Reform und der Zahl der Lehrlinge.
Statt eine Gewerbeordnung zu verteidigen, die vorhandene Privilegien unter dem Deckmantel des Konsumentenschutzes oder des angeblich drohenden Schadens für die Lehre rechtfertigt, plädiert die Agenda Austria etwa für folgende Maßnahmen:
Das Lehrlingswesen hat sich trotz enormer wirtschaftlicher Umbrüche über die Jahrhunderte gehalten, auch, weil immer wieder notwendige Anpassungen vorgenommen wurden. Eine liberalere Gewerbeordnung wird es nicht gefährden.
Die Situation bei den Auszubildenden am Arbeitsmarkt spitzt sich zu. Seit Ausbruch der Pandemie scheinen viele Jugendliche die Lust auf eine Lehre verloren zu haben, während die Unternehmen mehr denn je nach jungen Kräften suchen. So gab es im Jahr 2021 erstmals mehr offene Lehrstellen als Suchende, wie eine Auswertung der Agenda Austria zeigt.
Das Bemühen um eine liberalisierte Gewerbeordnung ist sehr zu begrüßen. Deren Eckpunkte sollten eine einzige Gewerbeumlage, viel weniger reglementierte Gewerbe und mehr Konsumentenschutz durch Haftpflicht sein.
Bei der geplanten Reform geht nichts weiter. Warum also nicht gleich in einer echten Neuordnung Unternehmensgründungen erleichtern? Das empfehlen auch die Wirtschaftsweisen – für das ohnehin einfachere deutsche Gesetz, wohlgemerkt.
Insbesondere Jungunternehmer haben hierzulande oft mit bürokratischen Hürden und willkürlich anmutenden Auflagen zu kämpfen. Unsere Kampagne will ein Bewusstsein für die bestehenden Probleme schaffen und Lösungswege aufzeigen.
Unternehmer leiden immer mehr unter einer scheinbar außer Kontrolle geratenen Regulierungswut. In einer neuen Videokampagne zeigt die Agenda Austria, was das für Gründungswillige im täglichen Leben bedeutet. Und Großbritannien zeigt, wie sich das Problem lösen lässt.
Von der angekündigten Reform der Gewerbeordnung ist nicht viel geblieben, die Wirtschaftskammer hat sich mit ihrer Blockadehaltung durchgesetzt. Die SPÖ übt Kritik – und das völlig zu Recht.
Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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