Foto: © BKA / Andy Wenzel
Mehr öffentliche Investitionen, wie Kanzler Kern sie gefordert hat, werden kaum Wachstum und wenig neue Jobs bringen.
Die Lage, in der sich die EU-Länder und damit auch Österreich befinden, ist zweifelsfrei ernst. Damit sie nicht auch noch hoffnungslos erscheint, hat sich Bundeskanzler Christian Kern in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ Gedanken gemacht, wie die EU-Länder wieder zu mehr Wachstum und Arbeitsplätzen kommen könnten. Das ist absolut zu begrüßen. Sein Vorgänger im Bundeskanzleramt erledigte solche Denkaufgaben noch mit einem Brief an den Herausgeber eines kampagnisierenden Kleinformats.
Zuzustimmen ist Kern auch, wenn er schreibt, dass die Regierenden in der EU das Vertrauen der Regierten zurückgewinnen müssen. Nur so kann man nationalistischen und extremistischen Kräften das Wasser abgraben.
Die Königsfrage lautet natürlich: Vertrauen schaffen, wie geht das? Wir meinen, indem die Regierungen dafür sorgen, dass Europa ein guter Platz zum Wirtschaften ist. Kerns Aussage, Europa müsse wieder ein Projekt der Aufklärung werden, nicht der Märkte, geht ins Leere. Bahn frei für die Aufklärung, unbedingt! Sie ist bloß kein Widerspruch zu den Märkten.
Es ist ja nicht so, dass allein die – zahlenmäßig größere – Gruppe der Arbeitnehmer aus Sorge um ihren Arbeitsplatz oder wegen der miserablen Flüchtlingspolitik der EU verunsichert ist. Zu den Regierten gehören auch die Arbeitgeber. Auch in einer Marktwirtschaft, die sozial ist, sind sie es, die die größte Rolle unter den Investoren spielen.
Wie Bundeskanzler Kern darlegt, wird in Europa wie in Österreich seit Jahren zu wenig investiert. Das liegt – genau! – am fehlenden Vertrauen der Arbeitgeber: Der Business Climate Indicator der Eurozone rutschte 2011 ins Negative, seit 2013 ist er minimal positiv, aber eben nur minimal. Der Wifo-Geschäftsklima-Indikator für Österreich: negativ, und das seit Anfang 2008.
Entsprechend zurückhaltend agieren die Unternehmer. Eine Ausnahme bildet die Bundesrepublik Deutschland, wo die Arbeitgeber seit 2010 mit Optimismus in die Zukunft blicken – und die Wirtschaft auch gut läuft.
Die inzwischen von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker aufgegriffene Idee Christian Kerns und anderer sozialdemokratischer Regierungschefs lautet nun, die Investitionen mit mehr EU-Geld über den sogenannten Juncker-Fonds anzukurbeln, der unterdotiert sei. Dabei sollen öffentliche Anschubfinanzierungen private Investitionen auslösen.
Eine erste Evaluierung des 2014 gestarteten Programms stimmt aber gar nicht optimistisch: Es wird weit weniger privates Geld mitinvestiert als geplant, und nur wenige Projekte laufen in den Krisenländern, denen ja vor allem auf die Sprünge geholfen werden soll. Der europäische Thinktank Bruegel hat auch gezeigt, dass nur wenig Geld in innovative, risikoreichere Projekte fließt.
Mehr vom Gleichen, das jetzt schon nicht gut funktioniert, ist keine Erfolg versprechende Perspektive. Der Weg zu höheren Investitionen führt nicht über einen größeren Juncker-Fonds, sondern über optimistischere Erwartungen der Arbeitgeber. Unternehmen werden dann mehr investieren, wenn sie darauf vertrauen können, dass die Politik die notwendigen Reformen angeht und sie das investierte Geld auch wieder zurückverdienen können.
Der Juncker-Plan sieht übrigens auch explizit vor, dass die Regierungen nationale Investitionshemmnisse zu beseitigen haben, damit der Plan überhaupt erfolgreich sein kann. Diesen Punkt hat der Bundeskanzler in der „FAZ“ aber leider nicht erwähnt.
Für Österreich nennt die EU-Kommission etwa die nach wie vor zu hohen Steuern auf Arbeit. Gleichzeitig müssen die – steigenden – Zuschüsse zu den Pensionen finanziert werden; 2016 betragen sie, ohne Beamte, 10,8 Milliarden Euro, in Wahrheit deutlich mehr. Zum Vergleich: Die Unis erhalten etwa ein Drittel so viel bzw. so wenig. Eine Pensionsreform ist für Kern trotzdem leider kein Thema, obwohl er von einer klugen Wirtschaftspolitik schreibt, „die dafür sorgt, dass Kapital in zukunftsträchtige Sektoren fließt“.
Kleinere richtige Schritte setzte die Regierung mit Vorteilen für Business Angels und anderen Verbesserungen für die Start-up-Szene. Doch gleichzeitig treibt Kern den Nachdenkprozess in Richtung einer Wertschöpfungsabgabe voran, die, nach allem, was bisher bekannt ist, nichts anderes ist als eine neue Steuer ist: auf Investitionen. Vertrauensbildende Maßnahmen gegenüber jenen, die Arbeitsplätze bereitstellen, sehen anders aus.
Es besteht kein Zweifel daran, dass Griechen, Spanier, Portugiesen nun sehr teuer für die Fehler früherer Regierungen, deren leichtfertige Versprechen zu viele geglaubt haben, bezahlen müssen. Griechenland muss gesondert betrachtet werden, auf der iberischen Halbinsel ist erfreulicherweise Besserung in Sicht.
Unangenehme Sparmaßnahmen führen also durchaus zum Erfolg, und Politikern stünde es gut an, dem „grassierenden Pessimismus“, der, wie Kern schreibt, wohl „selbst auch Teil des Problems“ ist, etwas entgegenzusetzen.
Der Bundeskanzler könnte seinen Teil dazu beitragen und zum Beispiel aufhören, in irreführender Weise zu behaupten, es habe hierzulande sechs Jahre hindurch einen Reallohnverlust gegeben. Wer das hört, wird schwerlich unbeschwert konsumieren und die Konjunktur stärken.
Tatsache ist: Die Stundenlöhne sind in den vergangenen zehn Jahren spürbar stärker als die Inflationsrate gestiegen, wie das Wifo in einer Ergänzung zum Sozialbericht festhält. Jemand, der heute gleich viele Stunden arbeitet wie noch vor zehn Jahren, hat eindeutig mehr in der Tasche. Dass vermehrt in Teilzeit gearbeitet wird, geschieht laut OECD in Österreich zu 88,1 Prozent freiwillig. Kern könnte, nachdem es „nicht darum geht, die Globalisierung zurückzudrängen oder Freihandel zu bekämpfen“, auch damit aufhören, die Haltung zu Ceta und TTIP von einer Befragung der SPÖ-Mitglieder abhängig zu machen, die jahrelang keine abwägenden Pro- und Kontraargumente zum Thema erhielten und einseitigen Kampagnen ausgesetzt waren und sind.
Noch ein Hinweis auf einen bemerkenswerten Satz des Kanzlers in der „FAZ“: „Meine recht gesicherte Vermutung ist jedoch, dass die Europäer ritualisierte Schonungen ihrer Komfortzone längst durchschaut haben.“ Ist damit gemeint, dass die Regierungsparteien zu oft vor vielleicht unpopulären Maßnahmen zurückschrecken?
Zu wünschen ist den Regierenden jedenfalls mehr Mut, in die – vermuteten – Komfortzonen der Bürger einzudringen. Und zwar über die beharrenden Kräfte in Kammern und Gewerkschaften hinweg, denen zu oft das eigene Hemd näher ist als der Rock ihrer Mitglieder. Könnte Kern im Rahmen der sozialdemokratischen Allianz etwa auch François Hollande von einem solchen Kurs überzeugen, könnten die Europäer mit gutem Grund auf mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze hoffen.
Gastkommentar von Monika Köppl-Turyna in „Die Presse“, 17.09.2016
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