Einkommen

Zu viel Folklore bei der Herbstlohnrunde

Die üblichen Werkzeuge und Routinen dürften zu grob sein, um ein vernünftiges Ergebnis zustande zu bringen.

Jedes Jahr das gleiche Schauspiel! Schon lange vor dem Auftakt der Herbstlohnrunde plustern sich die Gewerkschafter auf; ziehen rote Linien, schauen kampfeslustig in die Kameras und bringen deftige Forderungen vor. Zeigen die Wirtschaftsprognosen nach oben, verlangen sie mehr. Zeigen sie nach unten, auch. Schließlich will man an die Geldberge, die die Unternehmer gestern verdient haben; nicht nur an die, die sie erst morgen auftürmen werden. Auf der anderen Seite sehen wir ratlose Arbeitgeber, die nichts wissen von irgendwelchen Geldbergen. Ausgemergelt präsentieren sie ihre leeren Kassen; am Verhandlungstisch werden sie später lange Gesichter machen. Mehr Lohn? Man würde ja, aber der Zeitpunkt ist leider sehr, sehr schlecht. Gerade in diesen Tagen würde man sich wünschen, beide Seiten könnten auf die Showeffekte zur Bespaßung der eigenen Klientel verzichten und sich stattdessen schnell zum Kern des Dilemmas vorarbeiten. Doch können sie das? Oder sitzen sie in ihren antrainierten Routinen fest?

Tatsächlich begann die Herbstlohnrunde der Metallindustrie am vergangenen Montag halbwegs versöhnlich. Die Forderung von 11,6 Prozent ist zwar hoch, scheint aber für einen ersten Vorstoß gar nicht so überzogen wie befürchtet.

Tatsächlich begann die Herbstlohnrunde der Metallindustrie am vergangenen Montag halbwegs versöhnlich. Die Forderung von 11,6 Prozent ist zwar hoch, scheint aber für einen ersten Vorstoß gar nicht so überzogen wie befürchtet. Zwar kommen Wünsche nach weniger Arbeitszeit und mehr Urlaub hinzu, aber das sind wohl die Dinge, die man später gesichtswahrend abräumen kann. Nach Menschenermessen wird also nicht unter der rollierenden Inflation abgeschlossen. Das dürfte das berechtigte Minimalziel der Gewerkschaften sein.

Doch berechtigt oder nicht: Die Verhandlungen finden nicht im Vakuum statt. Ein sorgenvoller Blick über die Landesgrenzen muss möglich sein. Während unsere Inflationsrate im zwölfmonatigen Mittel bei 9,6 Prozent lag, betrug sie in Deutschland 7,6 Prozent. Für die reine Inflationsabgeltung müssen die Löhne dort also weniger stark steigen als hierzulande. Und die IG Metall blieb mit ihrer Forderung für die Stahlbranche sogar recht nah an diesem Wert: 8,5 Prozent ist dort nun die erste Ansage der Gewerkschaft; rund drei Prozentpunkte weniger als in Österreich.

Übliche Einwände

Nachdem die Inflationsraten hierzulande weiterhin höher sind als überall sonst in Westeuropa, wird sich die Frage stellen, was die höheren Lohnabschlüsse auf lange Sicht für unsere Wettbewerbsfähigkeit bedeuten. Wenn nämlich die Arbeitsproduktivität nicht Schritt hält, dann steigen die Lohnstückkosten. An ein Produktivitätswunder scheint zumindest die Europäische Kommission nicht recht glauben zu wollen. Sie prognostiziert schon jetzt, dass die Lohnstückkosten in Österreich heuer und im nächsten Jahr viel stärker steigen werden als im Euroraum insgesamt.

Nachdem die Inflationsraten hierzulande weiterhin höher sind als überall sonst in Westeuropa, wird sich die Frage stellen, was die höheren Lohnabschlüsse auf lange Sicht für unsere Wettbewerbsfähigkeit bedeuten.

An dieser Stelle kommen nun die üblichen Einwände: Wir sind doch nicht zu teuer; die anderen sind nur zu billig! Sollen die Deutschen halt aufhören mit ihrem systematischen Lohndumping. Und außerdem konkurriert Österreich ja nicht über den Preis mit anderen Ländern, sondern ist überall auf der Welt beliebt für seine großartigen Produkte, für die man gern jeden Preis zahlt.

Ecken und Kanten

Na ja, hoffen wir mal, dass das stimmt. Und vielleicht setzt sich ja die IG Metall mit ihrer zweiten Forderung nach der Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich durch. Aber selbst dann lassen sich die Studien verschiedener Zentralbanken nicht vom Tisch wischen, denen zufolge eine Lohnsteigerung von zehn Prozent die Preise um zwei bis vier Prozent weiter nach oben treiben könnte.

Statt mit der üblichen Folklore zur Herbstlohnrunde anzutanzen, sollten die Verhandelnden also ihr Instrumentarium prüfen und nach Wegen suchen, wie man sowohl ein kräftiges Plus für die Beschäftigten organisieren und gleichzeitig dafür sorgen kann, dass es in Zukunft noch Beschäftigte gibt. Viele der Vorschläge, die derzeit kursieren, haben so ihre Ecken und Kanten. Niemand wird ernsthaft erwarten, dass sich die Gewerkschaften darauf einlassen, ausgerechnet jetzt statt des Verbraucherpreisindex den BIP-Deflator als Grundlage zu nehmen; auch wenn methodisch vieles dafürsprechen würde, da dieser misst, inwieweit die heimischen Produzenten höhere Preise realisieren konnten. Auch eine Kopplung an die deutschen Verbraucherpreise dürfte man weit von sich weisen.

Locker verzichten

Unter den weniger unwahrscheinlichen Lösungswegen ist dagegen weiterhin die steuer- und abgabenfreie Teuerungsprämie von bis zu 3000 Euro. Der Staat kann auf einen Teil der Mehreinnahmen locker einmal verzichten. Auch für ihn ist das schließlich eine Art Zufallsgewinn. Das wäre nur recht und billig; immerhin trifft ihn an der Misere eine gewisse Mitschuld. Stimmt schon: Einfach wird es nicht, die Teuerungsprämie so in einen Abschluss einzubauen, dass den Beschäftigten langfristig kein Nachteil daraus entsteht. Man würde sich eben etwas überlegen müssen. Den Versuch könnte es allemal wert sein.

Man kann sich aber auch einfach ein paar Wochen böse anschauen und ein bisschen Show für die eigenen Leute machen. Am Ende trifft man sich in der Mitte und geht nach Hause. Wie immer.

Gastkommentar von Jan Kluge für den “Standard” (02.10.2023).

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