Innenpolitik

Wie böse ist der Kapitalismus?

Unser Wirtschaftssystem hat ein Imageproblem. Der Klimawandel, die Kluft zwischen Arm und Reich, jetzt auch noch eine neue Bankenkrise: Schuld an all dem sei der Kapitalismus, glauben immer mehr Menschen. Andererseits gab es auf der Welt noch nie so viele Menschen, die in – zumindest bescheidenem – Wohlstand lebten und noch nie so wenige, die hungern mussten. Irgendetwas macht der Kapitalismus also wohl auch richtig.

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Im aktuellen Podcast der Agenda Austria erklärt der Historiker Werner Plumpe, Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Frankfurt und erfolgreicher Buchautor, warum die kapitalistische Ordnung bisher alle Krisen überstanden hat.

Er sei als Student sehr weit links gestanden, habe aber schon damals mit einiger Faszination auf dieses System geblickt, „das so unsozial, so gewalttätig, so räuberisch ist und eigentlich längst untergegangen sein müsste – das aber nicht tut“, sagt Plumpe. „Obwohl so viele moralische Einrichtungen wie etwa die christlichen Kirchen kein gutes Haar am Kapitalismus lassen, funktioniert er bis heute.“

Unser Wirtschaftssystem hat ein Imageproblem.

Einerseits komme der Kapitalismus der Natur des Menschen offenbar sehr entgegen. „Er bietet Möglichkeiten, sich zu bereichern oder Geltung zu erlangen. Für die breite Masse macht der Kapitalismus aber einfach die Regale in den Supermärkten voll und ermöglicht ihnen ein hintergrundentlastetes Leben.“ Also ein Dasein ohne täglichen Überlebenskampf. „Die Reichen hatten immer schon alles, sie brauchen keine industrielle Güterproduktion. Kapitalismus ist letztlich kapitalintensive Massenproduktion für große Märkte, auf denen der einzelne Konsument nicht reich genug ist, um sich teure Handarbeit zu leisten.“

Dass nun wieder die Angst vor einer Finanz- und Bankenkrise umgeht, ist für Plumpe Indiz für einen Fehler im System. „Die Risiken der Akteure für solche windigen Geschäfte müssten steigen. Das ist das Problem, das wir seit der Finanzkrise von 2008 haben: Der Staat beziehungsweise die Zentralbank greifen ein. Dieses Retten großer Akteure ist nicht gut. Eine effektive kapitalistische Ökonomie, in der Fehlverhalten auch wirklich sanktioniert wird, wäre immer noch die beste Variante.“

Der Kapitalismus beruht zwar auf sozialer Ungleichheit; ein paar Akteure müssen Geld genug haben, um es in Produktionsanlagen zu investieren. Dass Marktwirtschaft die Armen immer ärmer mache, sei aber schlicht nicht wahr, so der Professor. „Wir haben natürlich Armutsphänomene, keine Frage. Aber in ihrer Tendenz sind kapitalistische System nicht auf arme, sondern auf kaufkräftige Menschen angewiesen. Armut ist aus kapitalistischer Sicht eher eine Belastung.“

Die kapitalistische Marktwirtschaft erwies sich in allen Krisen und sämtlichen Anfeindungen zum Trotz bisher als erstaunlich zäh und stabil.

„System change not climate change“, steht auf den Transparenten von Klimaaktivisten. Nur wenn sich das Wirtschaftssystem von Grund auf ändere, sei die Welt noch zu retten, glauben viele. Werner Plumpe widerspricht: „Ich würde die technologische Dynamik des Kapitalismus nicht unterschätzen. Joseph Schumpeter sprach sehr richtig von der schöpferischen Zerstörung. Der Kapitalismus ist permanente Erneuerung.“ Man könnte dem Wirtschaftssystem höchstens ankreiden, dass es in den vergangenen zwei Jahrhunderten ein enormes Bevölkerungswachstum ermöglicht habe – das natürlich den Ressourcenverbrauch beschleunigte. „Um 1800 hat ein Bauer etwa vier weitere Menschen ernährt, heute liegt das Verhältnis bei 1 zu 125. Die Klimaaktivisten müssten mir mal erklären, wie sie mit ihren Vorstellungen von Ressourcenverbrauch die Weltbevölkerung ernähren wollen“, sagt der Experte.

Die kapitalistische Marktwirtschaft erwies sich in allen Krisen und sämtlichen Anfeindungen zum Trotz bisher als erstaunlich zäh und stabil. Doch jetzt könnte es gefährlich werden, meint Plumpe. „Wir leben in einer Welt, die den Kapitalismus aus politischen Gründen nicht will. Die Energiewende in Deutschland – nur als Beispiel – hat dazu geführt, dass es keinen funktionsfähigen Energiemarkt mehr gibt. Ein großer Teil der Bevölkerung geht auch keiner Erwerbsarbeit mehr nach und lebt von staatlichen Transferleistungen. Wir halten Unternehmen am Leben, die längst nicht mehr Leben sein sollten. Wir haben eine öffentliche Meinung, die dem Markt misstraut. Das alles könnte für den Kapitalismus zu einer echten Gefahr werden.“

Zur Person:

Werner Plumpe, 68: Der deutsche Historiker ist Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Frankfurt/Main. Er hat mehrere Bücher geschrieben, darunter „Das kalte Herz“, eine große Geschichte des Kapitalismus. Werner Plumpe war Vorsitzender des Deutschen Historikerverbands und wurde 2014 mit dem Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik ausgezeichnet. 


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