Muss die EZB ihre ultralockere Geldpolitik beenden?
- 12.07.2021
- Lesezeit ca. 3 min
Ja, sagt Heike Lehner, Ökonomin bei der Agenda Austria.
Die Inflation ist aktuell in aller Munde. Experten haben zwar schon vor Monaten vor steigenden Preisen gewarnt, für die Bevölkerung kommen die Teuerungen trotzdem zumeist überraschend. Die Gründe für die aktuellen Inflationsraten sind vielfältig: Die Öffnungsschritte führen zu höherem Konsum, die Menschen wollen ihre Ersparnisse ausgeben. Gleichzeitig kommt es zu Lieferengpässen, und knappe Güter werden teurer. Auch der Geldregen der Europäischen Zentralbank (EZB) bleibt nicht unbemerkt.
Bleibt die Inflation länger auf diesem Hoch, müsste die EZB ihrem bisherigen Inflationsziel entgegensteuern. Nun hat sie aber eben vor wenigen Tagen genau dieses offiziell geändert. Sie definiert nun ihr oberstes Ziel der Preisstabilität neu: Ab jetzt peilt sie ein “symmetrisches” Inflationsziel von zwei Prozent an. Das bedeutet, dass sie auch höhere Inflationsraten für eine gewisse Zeit tolerieren würde, bevor sie gegensteuert. Bislang durfte sie das offiziell nicht.
Diese kleine Änderung gibt der EZB großen Spielraum. So kann sie in den kommenden Jahren trotz anziehender Preise noch mehr Geld in Umlauf bringen. Geld, das auch in die Staatskassen der Euromitgliedsstaaten geflossen ist. Im Jahr 2020 hat die EZB Staatsschulden in Höhe von rund 90 Prozent der gesamten Neuverschuldung der Mitgliedsstaaten gekauft. Auch wenn sie offiziell keine Staaten finanzieren darf, ist der Erwerb von Staatsschulden eines der letzten Mittel, die sie hat, um mehr Geld in den Umlauf zu bringen und so für einen Preisauftrieb zu sorgen. In der Praxis läuft es aber auf Staatsfinanzierung hinaus. Das bedeutet vor allem eines: Dank des neuen Zieles wird der Reformunwillen vieler Staaten weiter gestärkt. Wieso sollten sich Politiker bei Wahlgeschenken zurückhalten, wenn sie aus der EZB-Zentrale gratis Geld abholen können? Viel mehr noch: Die Staatsanleihenkäufe und die daraus resultierenden geringeren Zinsen haben dazu geführt, dass manche Staaten, darunter auch etwa Österreich, sogar Geld fürs Schuldenmachen erhalten.
Für die breite Masse bedeutet die Änderung der EZB vor allem eines: Das Leben kann rascher teurer werden. Und das Geld am Sparbuch wird schneller weniger wert, denn eine Steigerung der Zinsen ist nicht in Sicht. Der unausgesprochenen Besteuerung der breiten Masse stehen also Staaten gegenüber, die profitieren. Es ist fraglich, ob das die “neue Normalität” sein soll. Gerade deswegen, da dem Großteil der Bevölkerung dieser Zusammenhang nicht bewusst ist und er sich nicht gegen diese Teuerungen schützen kann.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis die EZB ein neues Inflationsziel definiert. Wichtig ist jetzt, dass die Staaten ihre Haushalte rechtzeitig vor der nächsten Krise konsolidieren und ihren Reformunwillen ablegen. Den Spielraum, den sich die EZB durch diese Änderung des Inflationsziels geschaffen hat, müssen sich jetzt ebenso die Staaten schaffen. Denn nur wenn sie dies tun, kann die EZB sich aus ihrer Sackgasse herausmanövrieren. Die ultralockere Geldpolitik müsste nach der Krise langsam auslaufen, damit die Bevölkerung wieder aufatmen kann.
Gastkommentar von Heike Lehner für “profil” (12.07.2021).
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