Außenhandel

Streit ums Chlorhuhn: “Auch Amerikaner vergiften sich nicht täglich”

Streitgespräch zum Freihandelsabkommen mit den USA: TTIP dient nur der Industrie, sagt Karin Küblböck. Das Biohenderl ist nicht in Gefahr, kontert Franz Schellhorn.

STANDARD: Herr Schellhorn, Sie befürworten das Freihandelsabkommen (TTIP) zwischen Europa und den USA. Gar keine Angst, dass Chlorhühner und Hormonschweine auf unsere Teller kommen?

Schellhorn: Wenn man hört, dass in den USA Tiere mit Chemikalien behandelt werden, ist das intuitiv sicher beängstigend. Aber wer sich informiert, was da wirklich dahintersteckt, stellt fest, dass selbst die europäischen Behörden mit Chlordioxid behandelte Hühner nicht für gesundheitsgefährdend halten. Die Amerikaner töten mit dem Chlor Salmonellen und andere Keime ab. Insofern beunruhigt mich die Sache nicht.

STANDARD: Alles übertriebene Panikmache also?

Küblböck: In den USA gelten nicht so strenge Hygienevorschriften, weshalb die Hühner dort nach der Schlachtung in Chlor getaucht werden müssen. Das wollen die europäischen Konsumenten nicht. Wenn aber auch in Europa billige Chlorhühner importiert werden dürfen, wird der Druck auf die Produzenten hier steigen, die eigenen hohen Standards aufzugeben. Es geht also nicht um ein Chlorhuhn auf dem Teller, sondern um einen Trend zur Deregulierung mit TTIP.

Schellhorn: Wichtig wäre es, Lebensmittel zu kennzeichnen. Wenn man das US-Huhn nicht will, sollte man die Entscheidung den Konsumenten überlassen. Aber davor fürchtet man sich, weil es im Hintergrund um etwas anderes geht: Viele denken, die EU-Landwirtschaft wäre gegenüber der amerikanischen nicht konkurrenzfähig. Das ist keine unberechtigte Angst, aber man muss das offen aussprechen und sagen: Wir vertrauen dem Kunden an der Supermarktkasse nicht, weil er die falsche Entscheidung treffen könnte, also die, die wir für falsch halten. Das wäre ehrlicher, als einen Abwehrkampf zu inszenieren: Auch die Amerikaner vergiften sich schließlich nicht täglich.

STANDARD: Ist die Idee so schlecht, alle Importe zu erlauben und die Konsumenten entscheiden zu lassen?

Küblböck: Ich denke nicht, dass man die Verantwortung an die Konsumenten auslagern kann. Es ist wichtig, dass in Europa bestimmte Chemikalien und Zusatzstoffe verboten sind. Der Widerstand richtet sich dagegen, solche Regulierungen aufzuweichen. Das ist der springende Punkt: In der Debatte ist immer von einem Freihandelsabkommen die Rede, aber das ist falsch. Freihandel zwischen USA und Europa gibt es bereits. Worum es geht, ist ein reines Deregulierungsabkommen.

Schellhorn: Es gibt Bereiche wie die Pharmazie, die mit Zöllen abgeschottet werden. Ausschlaggebend sind aber die nicht tarifären Handelshemmnisse: Das sind zahllose, meist sinnlose Regeln, die kleinere und mittlere Unternehmen davon abhalten, Geschäfte in Übersee zu machen.

STANDARD: Wie viel wird TTIP für den Wohlstand in Europa bringen?

Schellhorn: Man sollte bei dieser Frage eines nicht vergessen: Der Freihandel ist eine Erfolgsgeschichte. Die vergangenen 50 Jahre waren Jahrzehnte des Freihandels, und sie haben mehr Menschen in den Wohlstand geführt, als die 500 Jahre davor. Die heute wohlhabendsten Nationen sind offene Volkswirtschaften. Studien zeigen, dass TTIP besonders für exportstarke Länder von Vorteil wäre. Die Gewinner in Europa wären Deutschland, Österreich, Spanien.

Küblböck: Die Armutszahlen sind stark gesunken. Das war aber hauptsächlich wegen der Entwicklung Chinas der Fall. In anderen Regionen wie Afrika ist Armut gestiegen. Und China ist kein typisches Freihandelsland: Der Staat schützt seine Währung, seine Finanzmärkte. Dort war es lange Zeit gar nicht leicht, zu investieren. Das war auch alles richtig, denn Freihandel zwischen zwei ungleichen Partnern bedeutet, dass der Schwächere verliert.

Schellhorn: Auch wenn China sich nicht voll geöffnet hat, sagen alle namhaften Ökonomen, dass es die Liberalisierung war, von der das Land profitiert hat. Was Afrika betrifft, haben Sie recht: Aber warum hat Afrika nicht gewonnen? Weil es dort keinen Kapitalismus und keine Möglichkeit zu investieren gibt.

STANDARD: Glauben Sie auch, dass Europa von TTIP profitieren wird?

Küblböck: Die Studien zeigen einen minimalen Wohlstandszuwachs für Europa, die Rede ist von etwa 0,5 Prozent mehr Wirtschaftswachstum in einem Zeitraum von zehn Jahren. Das ist pro Jahr fast gar nichts. Außerdem werden bei diesen Prognosen die Anpassungskosten nicht berücksichtigt. Vieles ist auch schwer zu berechnen: Was heißt es, wenn das Essen nicht mehr die gleiche Qualität hat? Die höheren Krebsraten wird man erst in zehn Jahren sehen.

STANDARD: Zu den umstrittensten Punkten bei TTIP zählt die Einrichtung spezieller Schiedsgerichte, vor denen Investoren künftig Staaten klagen können. Was halten Sie beide davon?

Küblböck: Ich halte das für bedenklich. Es gibt weltweit 3000 bilaterale Investitionsschutzabkommen, mit denen verschiedene Schiedsgerichte für zuständig erklärt werden. Die meisten dieser Abkommen stammen aus den 1990er-Jahren. Sie räumen den Investoren zu viele Rechte ein, sie sind so vage, dass sich fast alles in sie hineininterpretieren lässt. Deshalb können Staaten, selbst wenn sie legitime Entscheidungen treffen, etwa neue Umweltauflagen einführen, verklagt werden. Die Staaten können dabei nur verlieren: Selbst wenn die Klagen abgeschmettert werden, müssen sie die Kosten für Verfahren übernehmen, und sie erleiden wegen der langen Prozesse einen Reputationsschaden.

Schellhorn: Staaten können nicht nur verlieren. Bei den Schiedsgerichten geht es doch nur um eines: Investoren hätten gerne Sicherheit, dass sie nicht enteignet werden und dass sie nicht gegenüber nationalen Anbietern benachteiligt werden. Um das zu gewährleisten, gibt es, wie Sie sagen, bereits 3000 Vereinbarungen, und da gab es nie besondere Probleme. Die österreichischen Banken hätten das auch ganz gern in Ungarn gehabt, damit sie nicht über eine willkürliche Steuer enteignet werden. Es gibt Möglichkeiten, die Schiedsverfahren zu verbessern. Aber gegen Investitionsschutzbestimmungen ist nichts einzuwenden.

STANDARD: Die Kritik richtet sich vor allem gegen die zumeist intransparenten Verfahren.

Küblböck: Die Prozesse finden hinter verschlossenen Türen statt. In vielen Fällen wissen selbst die nationalen Parlamente in dem verklagten Staat nicht, worum es geht. Es gibt keine Berufungsmöglichkeit. Einige wenige Rechtsanwaltskanzleien teilen sich den sehr lukrativen “Markt” auf: Nur 15 Personen sind in 55 Prozent der bekannten Fälle als Schiedsrichter involviert. Es gibt mittlerweile in den USA Investoren, die solche Klagen vorfinanzieren …

Schellhorn: … Sie tun, als wäre es so tragisch, wenn man einen Staat klagt. Das kann ich als Bürger auch tun, wenn ich mich in meinen Rechten beschränkt fühle.

Küblböck: Ja, aber dafür muss ich mich zuerst an ein nationales Gericht wenden. Da muss ich den Instanzenweg durchstreiten, und erst dann kann ich mich in Europa an den Menschenrechtsgerichtshof wenden. Das macht Sinn. Schiedsgerichte kann man gleich anrufen.

STANDARD: Die österreichische Regierung sagt, sie will dafür sorgen, dass kein Genfleisch in Österreich landet und Standards nicht gesenkt werden. Glaubwürdig?

Schellhorn: Ehrlich wäre es, wenn die Regierung sagt: Wir wollen dieses Abkommen nicht. Es ist typisch, wie Österreich hier vorgeht. Wir gehören zu den größten Profiteuren der EU-Osterweiterung, haben im Osten die Banken aufgekauft. Die bulgarischen und rumänischen Arbeitnehmer wollten wir aber nicht haben. Auch bei TTIP will Österreich nur Rosinen. Das wird nicht gehen. Man darf nicht vergessen, dass derzeit über ein pazifisches Freihandelsabkommen zwischen den USA, Japan, Kanada und anderen verhandelt wird. Wenn diese Vereinbarung zustande kommt, TTIP aber platzt, werden wir Weltmarktanteile verlieren. Wird man dann sagen: Aber wenigstens haben wir unser Biohenderl gerettet, das ohnehin nie in Gefahr war?

Küblböck: Man muss einfach schauen, wer Interesse an diesem Abkommen hat. Von 120 Lobbybesuchen bei der EU-Kommission zu dem Thema waren mehr als 90 Prozent Vertreter von Industriegruppen. Das Industriekapital will die Vereinbarung, um Standards senken zu können. Ebenso wollen die europäischen Banken das Abkommen, weil sie strengere Regeln in den USA weghaben wollen. Dem Bürger bringt TTIP nichts. (András Szigetvari, DER STANDARD, 6.5.2014)

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