Nur wenige haben vom Freihandel so sehr profitiert wie die Österreicher. Dennoch ist die Gegnerschaft zu TTIP groß. Die Regierung hat es versäumt, eine sachliche Debatte anzustoßen.
Die Widersprüchlichkeit scheint uns Menschen offensichtlich in die Wiege gelegt zu sein. Wir drängen auf den Klimaschutz und jetten ruhigen Gewissens in die Südsee. Wir beschweren uns ausgiebig über untalentierte Politiker, wären aber selbst niemals bereit, in die Politik zu gehen. Wir halten die steigende Arbeitslosigkeit für eine Folge der Ostöffnung, zählen aber zu den größten Profiteuren der offenen Grenzen. Und wir schlüpfen noch schnell in die Sneakers von Nike, stecken das iPhone in die Tasche und eilen zur nächsten Anti-TTIP-Veranstaltung. Weil der internationale Freihandel ja so schrecklich ist.
Mit “wir” sind die Bürger Österreichs gemeint. Die Bewohner jener kleinen, offenen Volkswirtschaft, die zu den größten Gewinnern des Freihandels zählt – und gleichzeitig zu den schärfsten Gegnern von Abkommen mit Kanada (Ceta) und den USA (TTIP).
Dabei hat die Europäische Union in der jüngeren Vergangenheit eine Reihe von Maßnahmen getroffen, die den Gegnern den Wind aus den Segeln nehmen. So wurde für die Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) eine neue Regelung für die umstrittenen internationalen Schiedsgerichte vorgelegt, die für Ceta (Comprehensive Economic and Trade Agreement) schon beschlossen ist. Zudem garantiert Brüssel, dass die EU kein Abkommen schließen werde, das den Konsumenten schade, geschweige denn Umwelt- oder Lebensmittelstandards senke, Gentechnik eingeschlossen.
Nun liegt es in der Natur der Sache, dass erklärte Gegner des Freihandels jedes Freihandelsabkommen nach Kräften zu verhindern versuchen. Dass Regierungsparteien, die der EU-Kommission das Mandat zur Führung der Verhandlungen erteilen, dann während der Verhandlungen wenig Engagement gezeigt haben und nun Ablehnung oder eine “Zurück an den Start”-Haltung an den Tag legen, ist hingegen eine nicht gerade seriöse Vorgangsweise.
Geschuldet ist die Ablehnung einem ausgeprägten Sensorium für die vorherrschende Stimmung in der Öffentlichkeit. Diese ist zweifellos der Erfolg einer höchst effizient arbeitenden Anti-Freihandel-Allianz, der die österreichische Bundesregierung nichts entgegenzusetzen gewillt ist.
Das heißt nicht, dass jedes Freihandelsabkommen automatisch gut ist. Vielmehr, dass eine Regierung verpflichtet wäre, einer mit Unwahrheiten gespickten Kampagne seitens der Ceta- und TTIP-Gegner sachlich Gegenwehr zu leisten, statt ihnen nach dem Mund zu reden. Und im Fall von TTIP darauf zu pochen, dass erst dann über einen Vertrag entschieden wird, wenn klar ist, was darin steht. Was offenbar keine Selbstverständlichkeit mehr ist.
Unbestritten ist, dass Freihandel nicht nur erfreuliche Folgen hat. Er bringt Wohlstand für die breite Mehrheit der Beteiligten, aber nicht für alle. Mit ihm kommen nicht nur günstigere Produkte ins Land, sondern auch ein verschärfter Wettbewerb, der zuweilen ziemlich ungemütlich werden kann. Das gilt nicht nur für Europa, sondern auch für die USA, wo immer öfter für “Buy American” geworben wird.
Unbestritten ist aber auch, dass freier Handel der verlässlichste Verbündete der Armen ist: Seit 1990 hat er weltweit annähernd eine Milliarde Menschen aus der Armut befreit. Eine Entwicklung, die ohne Öffnung der Handelsgrenzen undenkbar gewesen wäre. Auch in der Europäischen Union kämen Ceta und ein – gut verhandeltes – TTIP-Abkommen etwa den Beziehern niedriger Einkommen zugute, die beim Einkaufen genau auf die Preise schauen müssen. Denn Zölle und vor allem die sogenannten nichttarifären Handelshemmnisse schlagen sich in den Produktpreisen natürlich nieder. Die kategorische Forderung, Ceta und TTIP zu stoppen, ist daher in der Tat mehr als verwunderlich.
Es sind vor allem unterschiedliche Vorschriften oder doppelte Prüfverfahren, die Produkte aus Nordamerika bei uns um etwa ein Fünftel teurer machen. Darunter fallen etwa aufwendige Prüfverfahren für Medikamente aus den USA, die dort vor der Zulassung genauestens getestet wurden, nach den anderen Regeln in der Europäischen Union aber nochmals geprüft werden müssen.
Gerade was unterschiedliche Produktstandards betrifft, ist längst nicht immer klar, welcher Standard nun niedriger ist oder höher – oder einfach nur anders. Jedenfalls vertrauen laut einer Umfrage des Pew Research Center und der Bertelsmann-Stiftung sowohl die deutschen als auch die US-Bürger ihren eigenen Standards mehr: Jeder glaubt, die höheren zu haben.
Wir von der Agenda Austria meinen, dass Ceta ein gutes Abkommen ist, dem sich Österreich nicht verschließen sollte. Und ein starres Nein zu TTIP ist eine wenig rationale Position – genauso wie ein Ja um jeden Preis: Es ist nicht besonders vernünftig, sich eine Meinung zu einem Vertrag zu bilden, von dem noch nicht klar ist, wie er genau aussehen wird. Denn das wäre im wahrsten Sinn des Wortes ein Vor-Urteil.
Gastkommentar von Hanno Lorenz, „Der Standard“, 15.09.2016
Da wir Europäer aufgehört haben, über die Schaffung gemeinsamer Wirtschaftsräume nachzudenken, orientieren sich nun selbst unsere Partner nach den gescheiterten Verhandlungen mit der EU in Richtung Pazifik. Dort existiert mit RCEP mittlerweile das größte Handelsabkommen überhaupt.
Die Grafik zeigt, dass die EU dem globalen Trend folgt und zunehmend Interventionen setzt, die den Handel einschränken. Die Global Trade Alert-Datenbank dokumentiert Interventionen, die den Handel betreffen und kategorisiert, ob sie zugunsten (grün) oder zulasten (rot) anderer Länder gehen.
Gerade ein kleines Land wie Österreich erwirtschaftet einen großen Teil seines Wohlstands jenseits der Landesgrenzen. Und das geht eben umso besser, je freier der Handel mit den wichtigsten Partnern ist.
Österreich verkauft seine Produkte stolz in alle Welt. Doch wenn die Welt uns etwas verkaufen will, regiert das Misstrauen. Das Nein zu Mercosur und anderen Handelsabkommen ist schizophren und verbaut Chancen für die Zukunft.
Die EU antwortet mit einer riesigen Subventionswelle auf die neue grüne Standortpolitik der USA. Da wie dort wird das sauer verdiente Geld der Steuerzahlenden für Machtinszenierungen eingesetzt. Klug ist das nicht.
Die Österreicher scheinen ein gespaltenes Verhältnis zum Thema Freihandel zu haben, findet eine Befragung im Auftrag der Europäischen Kommission.
Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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