Sozialer Wohnbau: Das Vermögen der (gar nicht so) kleinen Leute
- 18.04.2024
- Lesezeit ca. 4 min
Auch wenn es niemand glauben mag: Wohnen in Österreich ist vergleichsweise günstig. Die Wohnkostenbelastung der Haushalte beträgt im Schnitt rund 19 Prozent des verfügbaren Einkommens. Damit liegen wir im EU-Vergleich im Mittelfeld. Mieterhaushalte zahlen natürlich mehr als Eigentümer, aber mehr als drei Viertel von ihnen profitieren hierzulande von einer Form der Mietregulierung. Auch jene, die gut verdienen und dieses virtuelle Transfereinkommen eigentlich gar nicht bräuchten. Sie sparen durch die vom Staat gedeckelten Mieten viel Geld, das sie über die Zeit in privates Vermögen umwandeln können. Ist das sozial?
Normalerweise beginnt so eine Arbeit mit einer Einleitung. Wir würden ein paar Worte zur gesellschaftlichen Relevanz des geförderten Wohnens in Österreich verlieren und dann unsere Forschungsfrage ausformulieren: Wie stark profitieren österreichische Haushalte davon, dass ihnen der Staat bei der Miete unter die Arme greift, und welche Verteilungswirkungen entstehen dabei? Im besten Fall wären Sie nach der Lektüre der Einleitung motiviert genug, um weiterzulesen.
Wir können uns diese Mühe aber sparen. Die Einleitung ist nämlich schon letztes Jahr im renommierten New York Times Magazine erschienen. Die Autorin Francesca Mari besingt darin den Wiener Wohnungsmarkt als „Utopia der Mieter“. Begeistert lässt sie eine Wiener Lehrerin zu Wort kommen, die zusammen mit ihrem Gatten weniger als vier Prozent ihres Haushaltseinkommens für die Miete im Gemeindebau ausgibt. Der günstige Mietvertrag war ihr vor Jahrzehnten von ihrer Mutter überlassen worden. Auch ZackZack-Herausgeber Peter Pilz durfte sich äußern; auch er euphorisch, dass er über die Jahre so viel an Miete gespart habe, dass er nun über genug Geld verfüge, um etwas „Spaß zu haben“. Schon vor einiger Zeit wurde bekannt, dass er jahrelang nur 265 Euro pro Monat für 60 Quadratmeter gezahlt hatte; der Mietvertrag kam von der lieben Großmutter. Doch das gehe schon in Ordnung; die soziale Durchmischung im Gemeindebau sei ja so wichtig. Wer will schließlich französische Verhältnisse? Jemanden wie Peter Pilz auf der Stiege zu haben, kann sich die Gesellschaft ruhig etwas kosten lassen.
Ähnliche Töne wurden vor einigen Monaten auch im britischen Guardian angeschlagen. Ein bisschen differenzierter wurde es dort immerhin. Zumindest ließ man Zweifel durchscheinen, ob der Gemeindebau auch zukünftig die Lösung sein kann. Ob die Stadt Wien ihr Ziel, bis 2025 fünfeinhalbtausend Wohnungen – ein Tropfen auf dem heißen Stein – zu errichten, noch erreichen könne? Man müsse sehen.
Um wie viel günstiger ist das Wohnen im österreichischen Gemeindebau, in den Genossenschaften und unter dem Dach des Richtwertgesetzes im Vergleich zum freien Markt? Was macht das mit den finanziellen Spielräumen der jeweiligen Bewohner?
Eine bessere Einleitung kann man sich wohl nicht wünschen. Da beschäftigen wir uns mit den Effekten des regulierten Wohnens in Österreich auf die finanzielle Lage der begünstigten Haushalte und plötzlich läuft uns ein ehemaliger Nationalratsabgeordneter über den Weg und freut sich diebisch ins Diktiergerät einer Journalistin, dass ihm die Gesellschaft Geld für Spaß überlässt. Wir brauchen jetzt nur noch hinzuzufügen, dass Wiener Wohnen derweil auf einem Schuldenberg von über zweieinhalb Milliarden Euro und auf einem thermisch in weiten Teilen unsanierten Bestand von 220.000 Wohneinheiten sitzt. Und fertig ist die Einleitung. Oder sind noch Fragen zur gesellschaftlichen Relevanz offen?
Es ist also Zeit für eine Bestandsaufnahme. Um wie viel günstiger ist das Wohnen im österreichischen Gemeindebau, in den Genossenschaften und unter dem Dach des Richtwertgesetzes im Vergleich zum freien Markt? Was macht das mit den finanziellen Spielräumen der jeweiligen Bewohner? Betrachtet man die subventionierte Miete als eine Art von Transfereinkommen, dann sollte man ja hoffen, dass gefördertes Wohnen die Einkommensungleichheit senkt. Aber passiert das? Oder bleibt sie unverändert, weil über die Einkommensskala hinweg alle gleichmäßig in den Genuss günstiger Mieten kommen?
Ist es vielleicht sogar so, dass Besserverdiener das zusätzliche Einkommen für den privaten Vermögensaufbau nutzen können, um im Alter damit ein bisschen „Spaß zu haben“? Und dass das Ganze weitgehend unsichtbar und sogar noch steuerfrei bleibt? Zu diesen Fragen haben wir von der Agenda Austria ein Working Paper verfasst. Die vorliegende Version ist die Kurzfassung für den vielbeschäftigten Leser mit wenig Zeit. Für das akademische Publikum (mit mehr Zeit) bitte hier entlang (Link zum Working Paper).
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