Was ist Armut?
- 16.01.2017
- Lesezeit ca. 2 min
Wer lauter schreit, kriegt eher Recht
Das landläufige Verständnis definiert Armut als einen Zustand, in dem selbst grundlegende Bedürfnisse wie etwa Kleidung, Nahrung, Wohnung und Gesundheit nicht ausreichend befriedigt werden können.
Nicht zu verwechseln ist diese Definition mit den Armutsstatistiken in Österreich. In den westlichen Ländern entspricht die statistische Definition von Armutsgefährdung einem Einkommen in Höhe von 60 Prozent des Medianeinkommens[1], hier werden also untere Einkommen ins Verhältnis zum Median gesetzt. Sie können aber, was weithin bekannt ist, nicht als Armuts- und Wohlstandsmaß gewertet werden, worauf auch Eurostat ausdrücklich hinweist.[2]
Gleichwohl gilt, dass alle in der österreichischen Armutsstatistik erfassten Menschen nach globaler Definition nicht arm wären.[3]
Die Weltbank hat für den Armutsbegriff auf globaler Ebene einen Betrag von 1,90 US-Dollar[4] pro Tag an verfügbarem Einkommen festgelegt. Liest man den Oxfam-Bericht, so könnte man meinen, dass die Zahl der Menschen, die in Armut leben, in den letzten Jahren deutlich gestiegen sei.
So ist es zum Glück aber nicht. In den letzten 35 Jahren ist die Zahl der nach der Weltbank-Definition in Armut lebenden Menschen um über eine Milliarde oder fast zwei Drittel zurückgegangen.[5] Gleichzeitig stieg die Weltbevölkerung um etwa drei Milliarden Menschen an, gerade in den ärmeren Regionen. Die Armutsrate (Anteil der Personen, die in Armut leben, gemessen an der Gesamtbevölkerung) ist von 44 Prozent im Jahr 1981 auf unter zehn Prozent im Jahr 2015[6] gesunken.
Entwicklung der weltweiten Armut
Für die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse benötigen Menschen zumeist ein Einkommen (sei es aus Arbeit, Transfers, Ersparnissen etc.). Um über Armut zu diskutieren, eignen sich daher Einkommensstatistiken deutlich besser als jene über Vermögen. Der Rückgang der Armut steht deshalb auch in einem direkten Zusammenhang mit der Entwicklung der Einkommen. Abb. 2 zeigt den Zuwachs des realen (um die Preisentwicklung bereinigten) Einkommens (in Prozent des Einkommens von 1988) über den Zeitraum von 1988–2011 für unterschiedliche Einkommensgruppen (gereiht nach Höhe des Einkommens). So ist das Einkommen beispielsweise im 30. Perzentil[7] (30 Prozent in der Gesellschaft verdienen weniger) real zwischen 1988 und 2011 um 80 Prozent angestiegen. Im 100. Perzentil (dem reichsten Prozent) waren es knapp über 40 Prozent im selben Zeitraum. Alle Einkommensgruppen zwischen dem 10. und 80. Perzentil hatten weltweit zwischen 1988 und 2011 prozentual gesehen höhere Einkommensgewinne als die obersten zehn oder sogar ein Prozent. Aber auch die Ärmsten konnten ihre Einkommen um 30 Prozent verbessern. In Summe hat sich die Lage aller (auch der Ärmsten der Armen) daher sehr wohl wesentlich verbessert.
Reale Einkommenszuwächse weltweit nach Höhe der Einkommen
Lesebeispiel zu Abb. 2: Zwischen 1988 und 2011 sind die Einkommen aller Menschen gestiegen, aber unterschiedlich stark. Reihen wir die Einkommen der Höhe nach, dann sehen wir, dass die Einkommen bei den mittleren Einkommen am stärksten gestiegen sind. Das Einkommen des 30. Perzentil (also jenes Einkommen, bei dem 30 Prozent der Bevölkerung weniger verdienen) ist preisbereinigt um 80 Prozent angestiegen im Vergleich zum Einkommen von 1988. Das Einkommen der reichsten Personen (100. Perzentil) stieg im gleichen Zeitraum über 40 Prozent. Dies widerlegt die Behauptung, dass die Reichsten die stärksten Einkommenszuwächse verzeichneten.
Dieser finanzielle Aspekt ist aber nicht die einzig positive Entwicklung. Bildung und Gesundheit haben sich verbessert, und die Lebenserwartung ist weltweit gestiegen, Kindersterblichkeit und Krankheiten gehen zurück. Große Fortschritte diesbezüglich gibt es gerade in den ärmeren Regionen.[8]
Entwicklung der weltweiten Bildungsarmut (Analphabetenrate)
Entwicklung der weltweiten Kindersterblichkeit
Laut Angus Deaton, einem weltweit anerkannten Experten auf dem Gebiet der Armutsforschung, sind diese Fortschritte „ein Resultat des Kapitalismus, der Globalisierung, der Ausbreitung von Märkten. Das ist kein Scheitern, sondern einer der größten Erfolge der Menschheitsgeschichte. Der Welt ist es insgesamt noch nie besser gegangen als heute.“[9]
Oxfam bestreitet diese Fortschritte auch nicht – für eine Organisation, die sich die Bekämpfung der Armut auf die Fahnen geschrieben hat, erwähnt sie diese allerdings nur in auffallend leisen Tönen. Und: Es sei ja auch gar nicht die Armut, die sich in die falsche Richtung entwickelt, sondern die ungleiche Verteilung – sie soll der Grund dafür sein, dass die Bekämpfung der Armut nicht noch viel besser läuft.
Auch hier lohnt es sich, genauer hinzuschauen: Welche Verteilung ist damit eigentlich gemeint? Reden wir von der Verteilung von Einkommen, mit dem die wichtigsten Bedürfnisse direkt und unmittelbar befriedigt werden, oder reden wir von Sparvermögen und Grundbesitz? Reden wir von der Verteilung innerhalb bestimmter Länder oder reden wir von einer globalen Verteilung?
Fußnoten
- Der Median teilt die Einkommen in zwei gleich große Gruppen. Die eine Hälfte verdient mehr, die andere Hälfte weniger. Andere Definitionen von relativer Armut, wie zum Beispiel die der OECD, gehen von 50 Prozent des Medianeinkommens aus. ↩
- Dieser Indikator misst nicht den Wohlstand oder die Armut, sondern ein (im Vergleich zu anderen Personen im gleichen Land) niedriges Einkommen, das nicht zwangsläufig mit einem niedrigen Lebensstandard gleichzusetzen ist. Siehe Eurostat: http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/Glossary:At-risk-of-poverty_rate/de ↩
- Siehe auch Pia Ratzesberger: „Was Armut in Deutschland wirklich bedeutet“, vom 03.11.2016. ↩
- Kaufkraftbereinigt im Wert des US-Dollars von 2011. ↩
- Global Monitoring Report (2016). ↩
- Prognose der Weltbank. ↩
- Perzentile teilen die Gesellschaft in 100 gleich große Gruppen ein, gereiht nach der Höhe des Einkommens von den ärmsten ein Prozent (1. Perzentil) bis zu den reichsten ein Prozent (100. Perzentil). ↩
- Siehe u. a. Max Roser und Our World in Data. ↩
- Thomas Fuster und Peter A. Fischer, „Das ist nichts anderes als Kolonialismus“ – Angus Deaton im Interview, in: NZZ vom 16. Juni 2016. ↩
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