Die Österreicher scheinen ein gespaltenes Verhältnis zum Thema Freihandel zu haben, findet eine Befragung im Auftrag der Europäischen Kommission.
Jeder von uns, der mal ein Teenager war, dürfte es gehabt haben: Das selbstgebastelte Stimmungsbarometer an der Zimmertür zur Regelung des elterlichen Zutritts. Bei guter Laune steht der Zeiger auf sonnig: Eintreten erlaubt. Bei Liebeskummer oder allgemeinem Weltschmerz sinkt das Barometer auf Blitz und Donner: Eintritt nur unter Lebensgefahr! Ach, noch einmal jung sein…
Doch gute Nachrichten: Die EU interessiert sich auch für die Stimmungslage ihrer erwachsenen Bürger. Die sogenannte Eurobarometer-Befragung erhebt mehrmals im Jahr die öffentliche Meinung der Bevölkerung zu aktuellen und grundsätzlichen Themen. Dabei kommt so manches Verwunderliches zutage: Zum Beispiel hat fast ein Viertel der Österreicher beim Thema Freihandel überwiegend negative Gefühle. Nur die Franzosen sind hier noch skeptischer. Nach der Einstellung zum Konzept des Protektionismus befragt, ist sogar jeder Zweite dafür.
Wie passen diese Zahlen zusammen? Vermutlich lassen sich die Österreicher grob in vier Viertel aufteilen: Zwei Viertel finden Freihandel nicht verkehrt und lehnen Protektionismus ab. Sie scheinen verstanden zu haben, worauf ihr Wohlstand basiert. Eine Wifo-Studie fand 2019 heraus, dass die österreichische Wirtschaft durch den EU-Beitritt stärker gewachsen ist, als es andernfalls der Fall gewesen wäre.
Ein weiteres Viertel findet Freihandel schlecht und befürwortet daher Protektionismus. Hier wird Überzeugungsarbeit schwierig. Selbst wenn man das Argument ins Feld führen würde, dass der historische Rückgang der Armut in der Welt nicht etwa dem bisschen Entwicklungshilfe geschuldet ist, das wir jahrzehntelang gönnerhaft in den globalen Süden geschickt haben, sondern dem Zugang dieser Länder zu Kapital- und Gütermärkten. Ist durch Freihandel dort nun alles super? Nein; es stellen sich soziale und ökologische Fragen. Aber so ganz lassen sich die Vorzüge des Freihandels eben nicht vom Tisch wischen.
Und dann ist da noch das interessanteste Viertel der Österreicher, die Freihandel nicht schlecht finden, gleichzeitig aber Protektionismus wünschen. Ein solches Stimmungsbild lässt eigentlich nur eine Interpretation zu: Freihandel ist gut, solange wir selbst davon profitieren. Aber wenn er zu anstrengend wird, soll er bitte eingeschränkt werden. Wenn uns unser Wohlstand entgleitet, weil Menschen in aller Welt hart arbeiten und dabei Produkte erzeugen, die wir begehren, wir aber selbst lieber nur an vier Tagen pro Woche und möglichst im Pyjama arbeiten wollen, dann muss dem Treiben eben Einhalt geboten werden.
Das Phänomen findet sich europaweit. Die meisten sind durchaus für Freihandel, aber unter ihnen sind viele zugleich auch für Protektionismus. Das alte Europa verkennt die Zeichen der Zeit und fühlt sich wie ein bockiger Teenager von der Welt unfair behandelt, obwohl er Länge mal Breite von Freihandel profitiert. Eine bedrohliche Diagnose.
Gastkommentar von Jan Kluge für die “Wiener Zeitung” (14.01.2023).
Da wir Europäer aufgehört haben, über die Schaffung gemeinsamer Wirtschaftsräume nachzudenken, orientieren sich nun selbst unsere Partner nach den gescheiterten Verhandlungen mit der EU in Richtung Pazifik. Dort existiert mit RCEP mittlerweile das größte Handelsabkommen überhaupt.
Die Grafik zeigt, dass die EU dem globalen Trend folgt und zunehmend Interventionen setzt, die den Handel einschränken. Die Global Trade Alert-Datenbank dokumentiert Interventionen, die den Handel betreffen und kategorisiert, ob sie zugunsten (grün) oder zulasten (rot) anderer Länder gehen.
Gerade ein kleines Land wie Österreich erwirtschaftet einen großen Teil seines Wohlstands jenseits der Landesgrenzen. Und das geht eben umso besser, je freier der Handel mit den wichtigsten Partnern ist.
Österreich verkauft seine Produkte stolz in alle Welt. Doch wenn die Welt uns etwas verkaufen will, regiert das Misstrauen. Das Nein zu Mercosur und anderen Handelsabkommen ist schizophren und verbaut Chancen für die Zukunft.
Wir müssen reden. Europa – Wiege der industriellen Revolution und des damit verbundenen Wirtschaftswachstums – hat ein Problem.
Die EU antwortet mit einer riesigen Subventionswelle auf die neue grüne Standortpolitik der USA. Da wie dort wird das sauer verdiente Geld der Steuerzahlenden für Machtinszenierungen eingesetzt. Klug ist das nicht.
Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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