Außenhandel

Kommt im Herbst das nächste Griechenland?

Ökonomen und Politiker fordern einen Schuldennachlass für Griechenland: Ohne ihn seien nämlich alle Reformen sinnlos. Dabei ist es genau umgekehrt.

Sollte irgendwo auf dieser Welt noch ein Lehrstuhl für angewandte Guerilla-Taktik zu haben sein, kann es dafür nur einen Kandidaten geben: Alexis Tsipras. Nach seinem fulminanten Sieg bei der Abstimmung über mögliche Reformen zeigt sich Griechenlands Premierminister von seiner staatsmännischen Seite. Er verspricht eine rasche Lösung im Schuldenkonflikt und feuert seinen Finanzminister, der Griechenlands Geldgeber vor dem Referendum mit dem Titel „Terroristen“ schmückte.

Seinen Posten bekommt Euklid Tsakalotos, der, wie die „Financial Times“ mit hochgezogener Augenbraue festhält, „empty handed“ zu den Verhandlungen nach Brüssel reiste. Dort ist in der Zwischenzeit ein Streit unter den Geldgebern darüber entbrannt, ob Griechenland nun ein Schuldennachlass zu gewähren sei oder nicht.

Fassen wir zusammen: Griechenlands neuer Finanzminister flog am vergangenen Dienstag ganz locker ohne einen Vorschlag nach Brüssel, obwohl dem griechischen Volk noch am Sonntag eine Lösung innerhalb von 48 Stunden versprochen worden war. Und die Geldgeber liegen sich wegen eines Themas in den Haaren, das auf keiner einzigen Agenda steht. Das muss man erst einmal zusammenbringen.

Während die Geldgeber heillos zerstritten scheinen, ist sich das Gros der Ökonomen einig: Ja, Griechenland braucht jetzt einen Schuldenschnitt. Weil doch jedem klar sein müsse, dass das arme Land nie und nimmer in der Lage sein wird, seinen Verbindlichkeiten nachzukommen. Wieso dann nicht gleich den Schuldenrucksack erleichtern?

Ganz einfach: Weil es keine drei Jahre her ist, dass Griechenlands Schulden kräftig „geschnitten“ wurden. Private Gläubiger mussten gegenüber Athen auf 105 Milliarden Euro an Forderungen verzichten. Das wären zehn Hypo-Alpe-Adrias. Zudem streckten öffentliche Gläubiger die Rückzahlungsfristen, womit sich Griechenland über die Jahre hinweg weitere 43 Milliarden Euro erspart.

Das Ergebnis dieser bis dato beispiellosen Schuldenreduktion? Sie war völlig sinnlos. Andernfalls diskutierten wir jetzt nicht den nächsten „Cut“. Es wäre auch nicht der letzte, weil Griechenlands Staat und Bürger seit nunmehr zehn Jahren ununterbrochen mehr konsumieren, als sie verdienen. Solange sich das nicht ändert, verpufft jeder Schuldenschnitt. Dieser kann frühestens dann diskutiert werden, wenn die Regierung Tsipras Fortschritte in der Modernisierung des Landes vorzuweisen hat. Reformen nur aufzuschreiben, reicht nicht – zumal in der aktuellen Liste auch Punkte enthalten sind, die am vergangenen Sonntag abgelehnt wurden. Womit erst einmal zu klären ist, ob Tsipras gegenüber dem griechischen Volk wortbrüchig wird oder gegenüber den Geldgebern.

Hinzu kommt, dass die Belastung des hellenischen Staatshaushalts durch den Zinsendienst derzeit so niedrig ist wie zuletzt zu Beginn der 1980er-Jahre. Völlig unterschätzt wird hingegen die Gefahr einer politischen Kettenreaktion: Werden Griechenlands Verbindlichkeiten jetzt reduziert, wird die Syriza-Taktik in Spanien zum Einsatz kommen. Zuerst wird Podemos dem Volk das Ende des Leidensweges versprechen, dann werden im Herbst Wahlen gewonnen und zentrale Reformen rückgängig gemacht. Mucken die Geldgeber auf, wird kurzerhand das Volk befragt, was es denn von den Auflagen des „neoliberalen Kapitals“ halte. Die Antwort wird ein herzhaftes „Nada!“ sein, womit der Italiener Beppe Grillo an der Reihe wäre. Allein wenn Italien als europaweit größter Emittent von Staatsanleihen einen Schuldenerlass verlangen sollte und im Fall einer Ablehnung einen Euro-Ausstieg auch nur in den Raum stellte, implodierte der europäische Markt für Staatsanleihen über Nacht. Das wiederum wäre ein Szenario, dessen Folgen sich niemand ausmalen will, abgesehen von der radikalen Linken und der extremen Rechten.

Die EU hat nun die Chance, den Euroländern zu signalisieren, dass deren fiskalpolitisches Verhalten Folgen hat. Ein Signal, das die Union stärken würde. Ein zweites Griechenland können wir uns nämlich nicht leisten. Deshalb kann es einen Schuldenschnitt für die Hellenen zum jetzigen Zeitpunkt nur unter einer Bedingung geben: Das Land verabschiedet sich aus der Eurozone und bekommt einen Erlass seiner Verbindlichkeiten sowie Strukturhilfen für den Neustart mit auf den Weg – als „Farewell“ und Zeichen einer richtig verstandenen Solidarität. Denn selbst ohne Schulden müsste Griechenland all das machen, was am 5. Juli abgelehnt wurde: das Land mit Reformen in die Moderne führen. Auch wenn dafür kein Lehrstuhl in Guerilla-Taktik winkt. Sondern nur Anerkennung.

Dieser Artikel erschien als Gastkommentar im Profil

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