Die „New York Times“ bejubelt das Mieterparadies im „Roten Wien“
- 27.05.2023
- Lesezeit ca. 4 min
Wiens Wohnungspolitik gilt teils zu Recht als Vorbild, doch die Schatten werden ausgeblendet: Vom billigen Leben im Gemeindebau profitieren oft die Falschen.
Wenn Österreich in US-Medien zum großen Thema wird, verheißt das nichts Gutes. Meistens geht es um braune Flecken in der FPÖ oder andere Hinweise darauf, dass wir aus unserer Geschichte angeblich nichts gelernt haben. Dieses Mal ist es ausnahmsweise anders: Die renommierte „New York Times“ („NYT“) widmet der Wiener Wohnungspolitik eine hymnische Reportage mit dem Titel: „Imagine a Renter’s Utopia – It Might Look Like Vienna“. Während verrückt spielende Märkte die Mieter weltweit in eine existenzielle Krise treiben würden, lebten die Wiener im Wohnungsparadies, wie die Autorin glaubt. Und das sei kein Zufall: Der starke soziale Wohnbau des „Roten Wien“ und eine strenge Regulierung durch den Staat sorgten dafür, dass Spekulanten ausgesperrt und die Mieten leistbar blieben.
Bis hierher stimmt die Analyse. Der Wiener Wohnungsmarkt ist dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage zwar nicht ganz, aber doch weitgehend entzogen. Nicht der Markt, sondern die Politik bestimmt, wie hoch die Miete ist.
Insbesondere für Menschen mit niedrigem Einkommen kann der soziale Wiener Wohnbau ein wahrer Segen sein. Das ist es aber nicht, was der „NYT“ so gefällt. Das Besondere an der Wohnungspolitik der Wiener SPÖ sei, dass es die günstigen Bleiben nicht nur für Bedürftige gibt. Sondern für fast alle. „Die Gemeindebauten heißen nicht nur die Armen willkommen, sondern auch die Mittelschicht“, wie sich die „NYT“ begeistert zeigt. Wobei der Begriff „Mittelschicht“ zu kurz gegriffen scheint. Die Einkommensgrenze für eine Gemeinde- oder eine geförderte Genossenschaftswohnung liegt für Singles derzeit bei 53.340 Euro netto (!) pro Jahr. Nur zwei von zehn Wienern verdienen noch mehr.
Wer einmal einen Mietvertrag in einem Wiener Gemeinde- oder Sozialbau hat, verliert diesen in der Regel nie wieder. Auch dann nicht, wenn es das Leben mit den Mietern gut meint. Die Einkommenshöhen werden nie wieder überprüft, deshalb müssen Besserverdiener nicht mehr zahlen als Mindestsicherungsbezieher. Eben das sei der Plan, weil es ja um eine möglichst hohe soziale Durchmischung gehe, heißt es im Rathaus. Dass freitagabends die Medizinerin mit dem „Hackler“ aus der Nachbarwohnung im Karl-Marx-Hof am Grill steht und bei einem kühlen Bier über Gott und die Welt philosophiert, glaubt aber vermutlich nicht einmal die Wiener Wohnbaustadträtin.
Während Gut- und Besserverdiener in Sozialbauten leben, warten Bedürftige mitunter jahrelang auf eine günstige Wohnung. Das Angebot ist auch deshalb so klein, weil die Gemeindewohnung oft über mehrere Generationen quasi vererbt wird. Nicht, weil auch die Kinder und Enkel bedürftig wären, sondern weil die günstigen Mietverträge innerhalb der Familie weitergegeben werden können. Hier wird ein öffentliches Gut also unter der Hand privatisiert. Derartige Vorgänge treiben Linke normalerweise auf die Barrikaden, in diesem Fall applaudiert sogar die „New York Times“. Obwohl die Weitergabe in vielen Fällen widerrechtlich ist – oder glaubt wirklich jemand, dass Erwachsene plötzlich wieder bei der Oma einziehen? Dasselbe spielt sich auch im streng regulierten privaten „Mietmarkt“ ab. Auch hier werden Spitzenverdienern per Gesetz verbilligte Wohnungen in bester Lage bereitgestellt, die samt niedriger Miete an die Nachkommen weitergegeben werden können. Nicht auf Kosten der Allgemeinheit, aber auf Kosten der privaten Eigentümer.
Am Ende des Artikels interessiert sich die „NYT“ noch für Peter Pilz. Genauer gesagt dafür, was der langjährige Spitzenpolitiker mit all dem Geld gemacht hat, das er sich im günstigen Gemeindebau ersparte. Er habe keinen Cent in den Aktienmarkt investiert, er genieße vielmehr sein Leben, erzählt Pilz frohgemut. Zum Zeitpunkt des Interviews radelt der ehemalige Parteigründer gerade von Pienza nach Montalcino, um dort ein Glas Brunello zu verkosten. „Wenn die Menschen nicht den ganzen Tag ums Überleben kämpfen müssen, können sie ihre Energie für viel wichtigere Dinge einsetzen“, sagt er. Eine feine Analyse, die leider einen Schönheitsfehler hat: Um Peter Pilz ein angenehmes Dasein in einer billigen Wohnung zu ermöglichen, müssen sehr viel ärmere Menschen als er mit ihren Steuern und Abgaben diesen sozialen Wohnbau finanzieren.
Kolumne von Franz Schellhorn für die “Presse” (27.05.2023).
Mehr interessante Themen
Verdienen sich Vermieter eine goldene Nase?
Viele Österreicher sehen in der Mietentwicklung der letzten Jahre eine reine Zumutung. Mit der Inflation wurden viele Mietverträge teurer. Für die meisten ist die Ursache der Missstände völlig klar: Nicht die lockere Geldpolitik, nicht die Regierung mit ihrer verfehlten Wohnbaupolitik sind die Schuldigen. Sondern die Gier der Miet-Haie, sie tr
Wo Deutsch am Schulhof zur Fremdsprache wird
Für 70 Prozent der Wiener Schüler ist Deutsch nicht die Alltagssprache.
Der Westen sucht, was der Osten hat
der Arbeitskräftemangel erfasst eine Branche nach der anderen. Unternehmen in ganz Österreich suchen händeringend nach Personal. Ganz Österreich? Nein, eine Stadt im Osten Österreichs widersetzt sich dem unbeugsamen Trend, wie eine Auswertung der Agenda Austria zeigt.
Große Mietvorteile im geförderten Wohnbau
Die Grafik zeigt, dass auch die Besserverdienerhaushalte in der oberen Hälfte der Einkommensverteilung kräftige Förderungen erhalten. Auch ihre Wohnungen wären am freien Markt erheblich teurer.
Mietwohnungen in Österreich und Wien
In Österreich fallen die allermeisten Wohnungen unter eine der oben genannten Regulierungsmöglichkeiten. Nach unserer Schätzung – zu Daten und Methode kommen wir noch – sind in Österreich nur rund 19 Prozent der Mietwohnungen am freien Markt vermietet; in Wien sind es sogar nur 11 Prozent.
Der Wohnungsmarkt ist kein Trailerpark
Greenpeace macht jetzt auch Wohnungsmarktstudien. Und fordert eine Leerstandsabgabe, obwohl die eigenen Ergebnisse das gar nicht hergeben.