Die Linke ortet eine Verschwörung gegen Arbeitslose. Und verweigert sich so einer Debatte, die zu einem besseren Modell führen könnte
Sollen Arbeitslose mehr Geld bekommen? Weniger? Zuerst mehr und dann weniger? Gleich viel wie jetzt? Oder gar zuerst weniger und dann mehr? Kaum eine ökonomische Debatte ist emotionaler. Wer “mehr” sagt, sieht sich automatisch als Samariter. Wer “weniger” sagt, gilt rasch als herzloses Monster.
Oliver Picek vom gewerkschaftsnahen Momentum-Institut schrieb in einem Kommentar der anderen im STANDARD zuletzt von einer “Allianz aus ÖVP, Neos, Industriellenvereinigung und Agenda Austria” (siehe “Österreich ist alles andere als großzügig”). Diese Allianz würde es wagen, öffentlich darüber nachzudenken, ob nicht ein Stufenmodell besser wäre, in dem Arbeitslose am Anfang deutlich mehr Geld bekommen als jetzt und im Laufe der Jahre etwas weniger. Dass auch die Grünen Teil dieser angeblichen Allianz sind, nachdem Vizekanzler Werner Kogler ebenfalls ein “degressives” Modell vorgeschlagen hat, wird vom Momentum Institut unterschlagen. Das passt eben nicht so gut ins Bild.
Dem Vorschlag ablehnend gegenüber steht jedenfalls eine Allianz aus Sozialdemokraten, Freiheitlichen, Arbeiterkammer und Gewerkschaften, die sich Veränderungen beim Arbeitslosengeld nur nach oben vorstellen können. Das mag politisch Sinn ergeben in einem anlaufenden Wahlkampf und vor dem Hintergrund einer Wirtschaftskrise mit steigender Arbeitslosigkeit. Ökonomische Argumente werden aber geflissentlich ignoriert. Ein Stufenmodell wird pauschal abgelehnt. Einzig: So eines haben wir ohnehin schon. Allerdings eine denkbar schlechte Variante.
Grundsätzlich sollte die Arbeitslosenunterstützung ein würdiges Leben ermöglichen, aber auch genug Anreiz bieten, sich rasch eine neue Beschäftigung zu suchen. Das gegenwärtige System versagt in beiden Punkten. Wer in Österreich seinen Job verliert, muss plötzlich mit knapp mehr als der Hälfte seines Einkommens auskommen. Schon 2018 hat die Agenda Austria vorgeschlagen, die Arbeitslosenunterstützung anfangs anzuheben. Denn die überwiegende Mehrheit der Arbeitslosen ist nur relativ kurz auf Jobsuche. Dabei ist allzu hoher Druck zu Beginn der Arbeitslosigkeit gar nicht sinnvoll. Denn werden Arbeitslose zu früh in eine Beschäftigung gedrängt, die ihrer Qualifikation nicht entspricht, kommt es zu Wohlstands- und Produktivitätsverlusten.
Auf die Arbeitslosenhilfe, die maximal 52 Wochen bezogen werden kann, folgt quasi unbegrenzt die Notstandshilfe, die knapp acht Prozent niedriger ist als das Arbeitslosengeld. Laut aktuellen OECD-Zahlen gibt es kein einziges Land in der EU, welches für einen ehemaligen Durchschnittsverdiener nach fünf Jahren Arbeitslosigkeit eine höhere Ersatzleistung zahlt als Österreich. Aber diese Zahlen zweifelt das Momentum-Institut an und behauptet faktenwidrig, dass die OECD Leistungen der Grundsicherung wie die Ausgleichszulage und den Familienzuschlag nicht berücksichtigen würde. Tut sie sehr wohl. Die Kritik, dass keine Wohnbeihilfen eingerechnet werden, ist ebenso unwahr. So liegen die Unterstützungsleistungen in Österreich auch mit deren Einrechnung im Spitzenfeld der EU.
Ungeachtet dessen zeigen Untersuchungen, dass Menschen sich zu lange mit der Jobsuche Zeit lassen, wenn es keine finanziellen Anreize gibt. Es ergibt also durchaus Sinn, den Druck nach einer Weile ein bisschen zu erhöhen. Denn je länger Menschen in Arbeitslosigkeit verweilen, desto geringer sind die Wiedereinstellungschancen.
Ein Stufenmodell löst beide Probleme. Zu Beginn liegt das Arbeitslosengeld höher als im derzeitigen System und nimmt den Druck für Arbeitnehmer, gleich den ersten Job anzunehmen, wenn dieser nicht passt. Gleichzeitig erhöht es aber schrittweise den Anreiz, dem Arbeitsmarkt nicht zu lange fernzubleiben und damit den Anschluss zu verlieren. Jede Stufe hat ihren Ausgang zurück in den Arbeitsmarkt. Langzeitarbeitslose sollen keineswegs bestraft werden. Aber es muss alles unternommen werden, um Langzeitarbeitslosigkeit zu verhindern.
Dieses Modell ließe sich ohne Probleme so gestalten, dass Arbeitslose in den ersten fünf Jahren genauso viel Geld wie heute bekommen – nur anders aufgeteilt. Es geht also keineswegs um eine Kürzung der Gelder oder gar eine Bestrafung der Arbeitslosen, sondern um eine intelligentere Ausgestaltung des Systems. Um ein neues Modell, das die Situation der Arbeitslosen verbessert und gleichzeitig den Anreiz bietet, sich um einen neuen Job zu bemühen. Für Menschen, die nur kurz in Arbeitslosigkeit verharren, wäre es sogar ein Einkommensgewinn.
Es ist verständlich, dass sich die politisch Linke und die Vorfeldorganisationen von Gewerkschaft und SPÖ mehr Geld für Arbeitslose wünschen. Wer aber das aktuelle System nicht reformiert, macht aus dem Arbeitslosengeld ein dauerhaftes Subventionsvehikel. Auch aus SPÖ-Sicht kann das nicht das Ziel sein, sollte doch jeder Arbeitnehmer von seiner eigenen Leistung leben können und nur in Notfällen von der Allgemeinheit gestützt werden.
Was sicherlich stimmt: Mitten in der Wirtschaftskrise ergibt die Reform keinen Sinn. Solange es an Jobs fehlt, bringen Anreize für Arbeitslose wenig. Eine Reform hin zu einem Stufenmodell ist erst möglich, wenn die Wirtschaft wieder wächst und neue Stellen entstehen. Aktuell geht es vor allem darum, Anreize für die Wirtschaft zu setzten, neue Jobs zu schaffen, etwa durch eine Senkung der Steuern und der Lohnnebenkosten.
Aber wenn die Talsohle durchschritten ist, sollte Österreich zum besseren Stufenmodell wechseln – damit die Menschen in der nächsten Krise besser versorgt sind. Und auch wenn Arbeitslosigkeit ein emotionales Thema ist – Denkverbote bringen uns keinen Zentimeter weiter.
Kommentar von Monika Köppl-Turyna im „Standard“ (07.08.2020)
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