Chillen, bis die Troika kommt
- 14.10.2015
- Lesezeit ca. 6 min
Finanzminister Hans-Jörg Schelling hat heute seine erste Budgetrede gehalten. Dabei wurden einige Punkte nicht so offen angesprochen, wie es nötig wäre. Hier eine Rede, die der Finanzminister so vermutlich nie halten wird.
Ein guter Tag beginnt nicht nur mit einem ausgeglichenen Haushalt. Sondern mit einer ehrlichen und schonungslosen Analyse der Datenlage. In diesem Sinne darf ich Ihnen einen wichtigen Hinweis geben: Lassen Sie sich von den heute präsentierten Zahlen nicht täuschen. Offiziell sieht es nämlich so aus, als wären wir mit der Sanierung der Staatsfinanzen einen großen Schritt weiter gekommen. Das sind wir aber nicht.
Vielleicht ist Ihnen schon aufgefallen, dass neuerdings nur noch vom „strukturellen“ Budgetdefizit die Rede ist. Das sollte Sie hellhörig machen. Warum? Weil dieser Begriff die wahre Finanzlage hinter einer „Hätti-Wari“-Rechnung versteckt: Hätten wir nicht die Kosten einer verrückt gewordenen Kärntner Landesbank zu schultern, wären wir nicht mit der steigenden Arbeitslosigkeit konfrontiert und würden nicht so viele Flüchtlinge eine neue Heimat in Österreich suchen, dann wäre auch der Haushalt ausgeglichen.
Diese Erzählung klingt zwar überzeugend, sie hat aber einen Haken: Sie ist nicht wahr. Klar, die erwähnten Sonderbelastungen gibt es. Und ja, sie verursachen unerwartet hohe Kosten. Es ist für ein Industrieland wie Österreich aber beschämend, Flüchtlinge für wachsende Budgetlöcher verantwortlich zu machen. Zumal der Bundeshaushalt nicht erst seit gestern im Minus ist, sondern seit 1962. Seither ist keinem Finanzminister der Republik das Kunststück gelungen, am Ende des Jahres noch Geld übrigzuhaben. Und das, obwohl die Einnahmen von einem Rekord zum nächsten jagen. Allein in den ersten sechs Monaten 2015 lagen die Steuereinnahmen um fast fünf Prozent über dem Vorjahresniveau – obwohl die Wirtschaft real so gut wie nicht gewachsen ist. Während die Bevölkerung die wirtschaftliche Flaute über Jobverluste und stagnierende Einkommen zu spüren bekommt, klingeln im Staatshaushalt unverdrossen die Kassen.
Warum kommt der Staat mit dem Geld nicht aus?
Die entscheidende Frage lautet also, warum die Bundesregierung mit all dem Geld nicht auskommt. Während Deutschland mit einer Steuer- und Abgabenquote von 39,6 Prozent des BIP Budgetüberschüsse erwirtschaftet, häuft Österreich mit 44,0 Prozent neue Schulden an. Nur um die Dimensionen klarzustellen: Wäre Österreich ausgabenseitig ähnlich gut aufgestellt wie das mit hohen Kosten für die Wiedervereinigung belastete Deutschland, ersparten sich die Bürger 14 Milliarden an Steuern und Abgaben – jedes Jahr! Das wären also zwei größte Steuerreformen in der Geschichte des Landes, oder 3400 Euro mehr Geld für jeden Erwerbstätigen.
Was uns von Deutschland unterscheidet, ist einfach erklärt. In unserem Nachbarland gibt es politische Führungsstärke und die Überzeugung, dass der Staat nicht die Lösung aller Probleme ist. So hat mein Amtskollege Wolfgang Schäuble am Höhepunkt der Finanzkrise trotz Warnung namhafter Ökonomen den Staatshaushalt mit gebremsten Ausgaben saniert. Für unsere Nachbarn ist das eine Art Garantie, dass ihnen die öffentliche Hand nicht noch tiefer in die Tasche greifen wird. Das sorgt für Zuversicht und gute Stimmung. Wir hingegen geben Ihnen fünf Milliarden Euro zurück – und die Stimmung ist im Keller. Weil Sie wissen, dass diese Entlastung nicht mit Ausgabenkürzungen finanziert wird, sondern mit neuen Belastungen. Weil Sie wissen, dass in Österreich die Steuersenkung von heute die Steuererhöhung von morgen ist.
Die Stimmung ist auch deshalb so schlecht, weil kaum noch jemand unserem Versprechen glaubt, dass wir, die Regierung, mit höheren Ausgaben Jobs schaffen können. Der österreichische Staat hat ja in den vergangenen Jahren wie kein anderer versucht, mit schuldenfinanzierten Ausgaben für Wachstum zu sorgen. Das Ergebnis? Explodierende Staatsschulden, Rekordarbeitslosigkeit und gleichzeitig Nullwachstum. Österreich zählt heute mit Ausgabenkaisern wie Frankreich zu den Ländern mit den schwächsten Wachstumsraten, während uns die Reformländer davonziehen.
Aber was machen wir, die Mitglieder der Bundesregierung? Wir erzählen Ihnen, dass alles bestens sei. Dass Österreich zu den wohlhabendsten Ländern der Welt gehört, dass das immer größer werdende Loch im staatlichen Pensionssystem kein Problem sei und die wachsenden Schuldenberge locker zu finanzieren seien. Wir regieren nach dem Motto: Chillen bis die Troika kommt! Die Menschen in diesem Land brauchen aber keine Beschwichtigungshofräte, sie brauchen eine Perspektive. Gefragt sind Politiker, die wie mein deutscher Amtskollege Wolfgang Schäuble von der Richtigkeit einer Maßnahme überzeugt sind und diese auch gegen Widerstände durchsetzen.
Tun, wofür die Regierung bezahlt wird
Daran werde ich mir ein Beispiel nehmen. Diesem Land fehlt es nicht an Staatsausgaben, meine Damen und Herren. Sondern an Politik mit Hausverstand. Nachhaltige Arbeitsplätze entstehen nur in Österreichs Unternehmen. Der Wirtschaftsstandort Österreich verliert seit Jahren dramatisch an Attraktivität, das müssen wir ändern. Schimpfen wir nicht aufs Kapital, sondern laden wir es ein, in Österreich zu investieren. Wie das zu schaffen ist? Indem wir als Regierung das tun, wofür wir von Ihnen bezahlt werden: Reformen anzugehen. Mittlerweile ist es schon egal welche, Hauptsache irgendeine. Allein das würde die Stimmung heben, wir würden Ihnen und allen potenziellen Investoren signalisieren, dass es vorwärts geht, dass wir die Probleme erkennen und auch zu lösen bereit sind. Damit der unerträgliche Stillstand endlich ein Ende findet.
Nicht alle Wege werden angenehm sein, aber ich erkläre Ihnen auch, warum wir sie beschreiten müssen. Um das Loch im staatlichen Pensionssystem abzudecken, werden heuer 10,7 Milliarden Euro aus dem Budget benötigt. In etwa dieselbe Summe verschlingen die Beamtenpensionen. Allein für diese beiden Posten gibt der Bund fünfmal so viel Geld aus wie für Wissenschaft und Forschung. In den nächsten fünf Jahren wird sich das Pensionsloch um weitere 2,6 Milliarden Euro vergrößert haben – trotz Reformen, die zu langsam greifen. Meine Damen und Herren, Sie müssen später in Frühpension gehen, daran führt kein Weg vorbei! Die steigende Lebenserwartung muss im Pensionsantrittsalter berücksichtigt werden. Nicht aus Jux und Tollerei, sondern um das öffentliche Pensionssystem für nachkommende Generationen finanzierbar zu halten.
In den kommenden Wochen werden die Finanzausgleichsverhandlungen starten. Diese Gespräche werde ich zum Anlass nehmen, den Landesvertretern zwei Varianten anzubieten: Entweder sie treiben einen höheren Anteil ihrer Ausgaben selber ein, wie unlängst von der Agenda Austria vorgeschlagen. Oder sie übertragen mir, dem Finanzminister, die Hoheit über ihre Ausgaben. Beide Wege sind mir Recht. Nur so wie bisher wird es nicht weitergehen. Dass einer, nämlich ich, die Steuern eintreibt, die dann viele föderale Hände unter die Leute bringen. Und wenn etwas schiefgeht, werden die Kosten einfach bei Ihnen, den Steuerzahlern, abgeladen. Dieses Spiel kann keine Fortsetzung finden, wir können uns ein zweites Kärnten schlicht und ergreifend nicht leisten.
Die Alternative zu alldem heißt: noch mehr Arbeitslose, noch mehr Schulden und fortschreitender Wohlstandsverlust. Genau das werde ich zu verhindern versuchen. Denn ein guter Tag beginnt tatsächlich mit einem sanierten Haushalt. Und nicht mit einem „Hätti-Wari“-Budget.
Erschienen in der Kleinen Zeitung, 14.10.2015
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