Schwarzmalen, was das Zeug hält
- 27.01.2020
- Lesezeit ca. 4 min
Die Hilfsorganisation Oxfam führt die Öffentlichkeit mithilfe statistischer Tricks in die Irre. Schade, denn sie adressiert ein durchaus brennendes Problem.
Der schwedische Wissenschafter Hans Rosling machte bei einer groß angelegten Umfrage in 14 Ländern eine interessante Entdeckung: Die Menschen beurteilen den Zustand der Welt viel schlechter, als er tatsächlich ist – vor allem in den wohlhabenden Teilen der Erde. Sie wissen nicht viel darüber, dass die extreme Armut seit Beginn des Jahrtausends um 67 Prozent gesunken ist, dass die Kindersterblichkeit um die Hälfte zurückging, die Unterernährung um 29 Prozent und der Analphabetismus um 24 Prozent gesunken sind. Diese Fortschritte werden kolossal unterschätzt, wie der 2017 verstorbene Rosling in seinem Buch „Factfulness“ zeigt. Warum das so ist? Weil die Menschen mit emotionalen Botschaften, Dringlichkeitsappellen und dramatisierten Berichten überhäuft werden.
Kaum jemand beherrscht die Kunst des Dramatisierens so wie die britische Hilfsorganisation Oxfam. Pünktlich wie eine Schweizer Uhr wird einen Tag vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos die Alarmtrommel geschlagen. Dabei spricht Oxfam auch ein wichtiges Thema an: die ungleiche Verteilung der Vermögen. Das Problem ist, dass sie mit frisierten Statistiken operiert, Fortschritte in der Bekämpfung der Armut ausblendet und Kausalitäten herstellt, wo keine sind. So wird die Armut von Milliarden von Menschen den Vermögen einiger weniger Superreicher gegenübergestellt. Die Botschaft ist klar: Menschen wie Bill Gates sind reich, weil viele Menschen in Afrika so arm sind. Und sie sind arm, weil Menschen wie Bill Gates reich sind.
Das genaue Gegenteil davon ist der Fall: Viele Menschen erreichen ein immer höheres Wohlstandsniveau, weshalb sie sich die von Bill Gates’ Firma entwickelten Programme leisten können. So weiß auch kaum jemand, dass ein österreichisches Kind mit einem Euro in der Tasche laut Oxfam reicher ist als ein Absolvent der Elite-Universität Stanford, der zwar schon einen super Job hat, aber noch einen Studentenkredit abzahlen muss. Dazu passt, dass sich in der Oxfam-Statistik kein einziger von 1,4 Milliarden Chinesen in der Gruppe der ärmsten zehn Prozent wiederfindet, dafür Hunderttausende der 8,8 Millionen Österreicher.
Wie das möglich ist? Oxfam schätzt anhand von Daten der Schweizer Großbank Credit Suisse die Vermögen der Menschen und zieht davon die ebenfalls geschätzten Schulden ab. Daraus ergibt sich das Nettovermögen. Arme Chinesen haben aber wegen ihrer niedrigen Einkommen keinen Zugang zu Krediten und deshalb keine Schulden. Jedoch auch kein Vermögen – im Unterschied zu wohlhabenderen Amerikanern und Europäern. Mit anderen Worten: Wer nichts hat, ist laut Oxfam besser dran als ein sozial bestens abgesicherter Österreicher, der durch den Kauf eines Autos oder einer Wohnung mehr Schulden als Vermögen hat.
Derartige Verwerfungen sind der eingesetzten Methodik geschuldet, in der es vor statistischen Tricks nur so wimmelt. So teilt Oxfam die Welt in zehn Gruppen ein, sogenannte Dezile. Die ärmsten zehn Prozent (erstes Dezil) haben zusammengenommen mehr Schulden als Vermögen. Konkret liegt die Differenz bei 1,5 Billionen Euro. In der Gruppe der nächsten zehn Prozent (zweites Dezil) übersteigt das Vermögen schon die Schulden, dasselbe gilt natürlich für alle weiteren Gruppen. Oxfam verteilt aber die 1,5 Billionen Euro Schulden der ärmsten zehn Prozent auf die Menschen des zweiten und dritten Dezils. Und damit haben die untersten 30 Prozent der Weltbevölkerung plötzlich kein Nettovermögen mehr, damit sich behaupten lässt, dass ein paar wenige mehr haben als Milliarden von Menschen zusammengenommen. Das gilt dann aber auch für das besagte österreichische Kind, das mit einem Euro in der Tasche laut Oxfam reicher ist als 30 Prozent der Weltbevölkerung oder 2,3 Milliarden Menschen zusammen.
Während wir brav über die schockierenden Oxfam-Berichte diskutieren, bleiben die erzielten Erfolge ebenso im Verborgenen wie die eigentlichen Ursachen der grassierenden Vermögensungleichheit: von Korruption über kriegerische Auseinandersetzungen, fehlende Rechtsstaatlichkeit bis hin zur Misere in den Bildungssystemen. Dass einige Menschen mit ihren Ideen und Produkten in der globalisierten Welt so unfassbar reich geworden sind, scheint uns mehr zu stören als der Umstand, dass beinahe jeder fünfte Pflichtschüler in Österreich nicht sinnerfassend lesen kann und ebenso viele die Grundrechnungsarten nicht beherrschen. Nicht weil Bill Gates & Co. so viel Geld haben. Sondern weil die Politik die offensichtlichen Probleme im staatlichen Bildungssystem seit Jahrzehnten ignoriert oder nicht zu lösen bereit ist.
Genau das ist aber der Stoff, aus dem die wachsende Ungleichheit gemacht wird. Hunderttausende Kinder in Österreich haben keine Aussicht darauf, jemals ein selbstständiges Leben nach den eigenen Wünschen zu führen. Das ist ein sozialpolitischer Skandal, der nur noch davon übertroffen wird, dass er niemanden wirklich zu kratzen scheint.
Kolumne von Franz Schellhorn im „profil“ (25.01.2020).
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