Bei der Digitalisierung von den (B)Esten lernen
- 15.01.2019
- Lesezeit ca. 3 min
Die Digitalisierung eröffnet nicht nur Chancen für die Privatwirtschaft, sondern wird auch die öffentliche Verwaltung effizienter und – viel wesentlicher – auch serviceorientierter machen. Dass die Regierung dies erkennt, ist lobenswert.
Mit einzelnen Maßnahmen wie dem digitalen Führerschein oder der Online-Ummeldung des Wohnsitzes wird es aber nicht getan sein, um eine führende Rolle in diesem Bereich zu übernehmen. Estland hat vorgemacht, wie eine bürgernahe und digitale Verwaltung aussehen kann. Zum Vergleich: In Österreich erledigten im Jahr 2018 nur 45 Prozent aller Internetnutzer Verwaltungsgänge in digitaler Form, in Estland waren es 71 Prozent.
Vor knapp 30 Jahren, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, stand Estland ohne funktionierende Verwaltung und Wirtschaft da. Visionären und mutigen Entscheidungen ist es zu verdanken, dass das Land heute Vorbild in Sachen Digitalisierung ist. Nahezu jeder Verwaltungsschritt kann online erledigt werden. Jeder Bürger Estlands kann sich digital ausweisen, rechtskräftig Dokumente unterschreiben oder binnen weniger Minuten ein Unternehmen gründen. Nur für eine Heirat, Scheidung und einen Hauskauf bzw. -verkauf muss man (noch) aufs Amt – und es funktioniert: Jährlich werden durch die digitale Verwaltung in Estland rund zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts und gut drei Millionen Arbeitsstunden an Verwaltungsaufwand eingespart.
Das estnische Modell rückt den Bürger ins Zentrum der öffentlichen Verwaltung. Dieser erhält effiziente Dienstleistungen und erlangt gleichzeitig die Kontrolle über seine Daten. Es ist nicht ausreichend, analoge Verwaltungsschritte bloß im Internet oder per App anzubieten. Erst wenn verschiedene öffentliche und private Stellen miteinander Daten austauschen, erhält der Bürger wirklich Mehrwert. Sind die Daten einmal angelegt, läuft in Estland vieles automatisch. So auch bei der individuell vorausgefüllten Steuererklärung. Gleichzeitig kann der Bürger aber auch jede Datenabfrage nachverfolgen. Es herrscht Transparenz, das schafft Vertrauen.
Aus Estland ergeben sich für den österreichischen Staat beim stufenweisen Aufbau der digitalen Verwaltung zwei wichtige Regeln, damit dieses Angebot auch angenommen wird: Nutze das Vertrauen der Bürger und schaffe spürbare Erleichterungen für sie. Voraussetzung für das Gelingen liegt allerdings auch in der Bildung der Bevölkerung. Jeder Bürger muss wissen, wie mit digitalen Dienstleistungen sicher umzugehen ist. Estland hat es geschafft, auch die ältere Generation für die digitale Verwaltung zu begeistern. Weiterbildungsprogramme richten sich nach den Bedürfnissen der Ziel- und Altersgruppen. Um auch in Zukunft eine entscheidende Rolle zu spielen, wurden 40 Prozent der Lehrkräfte in Estland zu IT-Spezialisten ausgebildet.
Zurück nach Österreich: Hier ist es der Regierung anzurechnen, dass sie die neuen Möglichkeiten auch in der öffentlichen Verwaltung nutzen will. Für die Ambitionen, Österreich eine führende Rolle in der Digitalisierung zukommen zu lassen, reichen diese Schritte jedoch noch nicht aus.
Denn es müsste mehr Mut gezeigt werden, bestehende Strukturen aufzubrechen und zu vereinfachen. So wie in Estland vor gut 30 Jahren.
Kommentar von Hanno Lorenz im „Kurier“, 14.01.2019
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