100 Prozent Ökostrom: Geht das überhaupt?
- 23.05.2023
- Lesezeit ca. 4 min
Die Politik verspricht das baldige Ende des fossilen Zeitalters. Mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung werde es gelingen, (fast) ausschließlich Energie aus Sonne, Wind und Wasser zu verwenden. Doch die Realität sieht anders aus, sagt Florian Haslauer, Partner und Geschäftsführer des Consultingunternehmens e.venture, im aktuellen Podcast der Agenda Austria.
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Der Berater erstellte eine Studie über den deutschen Strommarkt, die zu teils ernüchternden Ergebnissen kommt. „Es ist nicht möglich, mit erneuerbaren Stromquellen den Bedarf zu jeder Stunde des Jahres zu decken. Selbst wenn man bilanziell (also rein rechnerisch, Anm.) eine hundertprozentige Bedarfsdeckung durch erneuerbare Energie erreicht, muss man immer noch etwa 3500 Stunden im Jahr durch flexible Kapazitäten wie etwa Gaskraftwerke abdecken“, sagt Haslauer.
Österreich habe durch einen höheren Anteil an Wasserkraft bessere Bedingungen als Deutschland. Dennoch würden 100 Prozent Ökostrom (bilanziell) immer noch bedeuten, dass tausende Stunden im Jahr mit anderen Energiequellen bedient werden müssen – zum Teil wohl mit Atomstromimporten aus dem europäischen Ausland. Das größte Problem von Strom aus Sonne und Wind liege ja auf der Hand: Die Produktion funktioniert nur bei entsprechender Wetterlage. „Sie haben zu manchen Zeiten viel zu viel Strom und zu anderen Zeiten viel zu wenig“, erklärt der Experte.
Schon jetzt gebe es vor allem im Sommer Tage mit enormer Überproduktion. Dann müssen die Netzbetreiber Windkraftanlagen vom Netz nehmen. „Oder die deutsche Bahn heizt im Sommer Weichen, um den Strom zu verbrauchen. Bei einem Überangebot, also bei negativen Preisen, wird sie dafür sogar bezahlt.“ Es gebe aber auch intelligentere Wege, den Überschuss zu verwerten, räumt Haslauer ein. „In der Zukunft eine größere Rolle spielen wird sicher die Erzeugung von grünem Wasserstoff mit diesem Überschussstrom. Das könnte einen wichtigen Beitrag leisten.“
„Die Sonne schickt keine Rechnung“, sagt Umweltministerin Leonore Gewessler gerne, wenn es um den Ausbau erneuerbarer Energie geht. Das stimmt natürlich. Aber heißt es auch, dass der Strom für die Kunden immer billiger wird, je größer der Anteil von Sonne, Wind und Wasserkraft wird? Leider nein, sagt Haslauer. „Wir hatten lange einen sehr niedrigen Strompreis, zwischen 30 und 40 Euro pro Megawattstunde oder drei bis vier Cent je Kilowattstunde. Wir erwarten für die Zukunft einen Preis von 100 bis 120 Euro je Megawattstunde, als das zwei- bis zweieinhalbfache. Aus meiner Sicht werden wir damit leben müssen. Allein die Erneuerbaren haben Gesamtkosten zwischen 60 und 100 Euro pro Megawattstunde. Die Sonne schickt zwar keine Rechnung, aber der Installateur tut es und der Hersteller der Photovoltaik-Paneele.“ Es werde der Politik möglicherweise auf den Kopf fallen, dass sie seit Jahren praktisch das Gegenteil behaupte, befürchtet Haslauer. Die viel gescholtene Merit-Order ist in seinen Augen übrigens nach wie vor ein sinnvolles System. „Es bildet die Angebotskurve ab und liefert Preissignale – kurzfristig und langfristig. Die Alternative wäre ein planwirtschaftliches System, und da frage ich mich, wie man das organisieren will.“
Grundsätzlich sei die Umstellung auf Strom sinnvoll, meint der Experte, weil die Effizienz der eingesetzten Energie in der Regel höher sei als bei Öl und Gas. „Das heißt, insgesamt reduzieren wir den Energieverbrauch. Aber wir werden natürlich viel mehr Strom brauchen als jetzt, die Menge wird sich fast verdoppeln. Und damit braucht man auch mehr Backup-Kapazitäten.“
Die Debatte über die Energiewende sei zum Teil leider stark ideologiegetrieben, kritisiert Haslauer. Er hoffe aber sehr, dass sich zunehmend die Fakten durchsetzen werden. Die Bürger müssten sich wohl mit ein paar unangenehmen Wahrheiten auseinandersetzen: „Eine Umstellung des Systems auf Erneuerbare wird die Kosten nicht senken, sondern erhöhen. Wir gehen davon aus, dass wir in Österreich bis 2030 von einer zweistelligen Milliardensumme reden. Das ist stemmbar, aber wir können nicht erwarten, dass alles der Staat zahlt.“
Zur Person:
Florian Haslauer, 61: Der gebürtige Salzburger studierte Maschinenbau und technisches Wirtschaftsingenieurwesen an der TU Graz. Er arbeitete viele Jahre für die Unternehmensberatung A.T. Kearney. Seit 2018 ist er Gründungspartner und Geschäftsführer des Consultingunternehmens e.venture mit Sitz in Berlin.”
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