Foto: © Andy Wenzel / BKA
Die SPÖ ist für den Schutz vermögender Pflegebedürftiger, die ÖVP will die Pflege komplett verstaatlichen. Interessant, nicht? – Kommentar von Franz Schellhorn.
Das Leben kann verdammt hart und ungerecht sein. Wer in Saus und Braus lebt und sein ganzes Einkommen über die Jahre hinweg verpulvert oder seinen Besitz rechtzeitig an die Kinder verschenkt, kann sich entspannt auf Rechnung der Allgemeinheit pflegen lassen. Wer hingegen eisern spart und plötzlich pflegebedürftig wird, muss im schlimmsten Fall sein gesamtes Vermögen auflösen, bevor der Staat einen Teil der Pflegekosten übernimmt. Reicht das öffentliche Pflegegeld nicht aus, werden zur Abdeckung der anfallenden Kosten bis zu 80 Prozent der Pension herangezogen. Ist auch das zu wenig, greift der Staat auf das Vermögen zu in unterschiedlichem Ausmaß: Einige Bundesländer nehmen mehr, andere weniger.
Aus Sicht der SPÖ ist das nicht nur eine geografische, sondern eine grundsätzliche Ungerechtigkeit, weshalb der Regress auf das Vermögen Pflegebedürftiger gestrichen werden soll. Alle anderen Parteien sehen das ähnlich, nur die ÖVP hat sich gewehrt, vergangene Woche dann aber doch eingelenkt. Im Öl-“Morgenjournal” begründete Sebastian Kurz den Positionswechsel damit, dass jeder Mensch pflegebedürftig werden könne, weshalb die Finanzierung solidarisch erfolgen müsse. Womit klar ist: Die Pflegekosten werden komplett dem Staat umgehängt.
Aus Sicht der Regierungsparteien ein durchaus bemerkenswerter Zugang. Die Pflege Wohlhabender auf Rechnung der Allgemeinheit ist schließlich nicht gerade das, was man eine knallhart linke Position nennen würde. Eine Partei der kleinen Leute könnte ja auch dafür eintreten, dass jene, die Vermögen haben, selbst für ihre Pflege aufzukommen haben. Um das zu korrigieren, erneuert die SPÖ ihre Forderung, Erbschaften über einer Million Euro zu besteuern. Wer also etwas weniger als eine Million erbt, kann sich auch künftig auf Kosten der Steuer zahlenden Bürger pflegen lassen.
Etwas unorthodox ist wohl auch, dass die Familienpartei ÖVP die komplette Verstaatlichung der Pflege für eine gute Idee hält. Schließlich wettert die Partei gerne gegen einen Staat, der die Bürger von der Wiege bis zur Bahre begleitet. Und ja, in der heutigen Zeit wird die Pflege nur noch selten in der Familie erledigt. Dagegen gibt es nichts einzuwenden. Dem Prinzip der Leistungsfähigkeit folgend ist es aber völlig in Ordnung, wenn anfallende Kosten im Familienverbund aufgebracht werden, notfalls über die Auflösung des Bausparvertrags, des Sparbuchs oder durch die Aufnahme einer Hypothek auf das Haus. Wer das nicht will, sollte eine private Pflegeversicherung abschließen.
Das wirklich Bemerkenswerte ist aber, dass sich die Debatte ausschließlich um den Regress dreht, obwohl dieser mit Kosten von 200 Millionen Euro im Jahr zu den beherrschbareren Problemen zählt. Wer diesen abschaffen und aus dem Budget finanzieren will, braucht dazu keine Erbschaftssteuer, sondern Einsparungen bei den Staatsausgaben in der Höhe von 0,11 Prozent. Die Gesamtkosten der Pflege liegen hingegen bei fünf Milliarden Euro im Jahr. Darüber redet aber niemand, obwohl dieser Summe keine Einzahlungen gegenüberstehen, weil anders als im Pensions- und Gesundheitswesen eine allgemeine Pflegeversicherung fehlt. Bis 2030 werden sich die Kosten nach Prognose des WIFO zumindest verdoppeln.
Nun gibt es drei Varianten, mit der heranrollenden Kostenlawine umzugehen: erstens mit dem bewährten österreichischen Optimismus darauf zu hoffen, dass es schon nicht so schlimm kommen wird; oder zweitens mit der Einrichtung eines individuellen Pflegekontos, auf das alle Bürger steuerfrei einzahlen. Das Geld bleibt auf dem Konto gesperrt, wird auf den Kapitalmärkten veranlagt und im Falle der Pflege aufgebraucht. Bleibt noch Geld übrig, fällt es nicht dem Staat in den Schoß, sondern den Erben. Reicht der Eigenbeitrag bei einkommensschwachen Gruppen nicht aus, springt die Allgemeinheit solidarisch ein, so wie das heute bereits bei den Mindestpensionen der Fall ist.
Weil Kapitalmärkte in Österreich nicht gerne gesehen sind, bliebe noch Variante drei: es Ländern wie Deutschland und den Niederlanden gleichzutun und mit einer gesetzlichen Pflegeversicherung vorzusorgen. Wobei der niederländischen Versicherungspflicht gegenüber der deutschen Pflichtversicherung der Vorzug zu geben wäre. Nun könnte man natürlich einwenden, dass die hohen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge in Österreich ausreichen sollten, um damit auch die Pflegekosten abzudecken. Das wäre eine durchaus plausible Argumentationslinie, zumal Deutschland und die Niederlande inklusive Pflegeversicherung mit einer deutlich niedrigeren Steuer- und Abgabenquote auskommen als Österreich. Jetzt müsste nur noch jemand diese Botschaft den Sozialversicherungsträgern übermitteln – also jenen Institutionen, die schon heute mit den Rekordeinnahmen nicht das Auslangen finden.
Aber wie gesagt: Hin und wieder ist das Leben eben verdammt hart und ungerecht.
Kommentar von Franz Schellhorn im „profil“, 3. Juli 2017, S. 26
Enorme Kosten werden bald mit der Pflege auf den Staat zukommen. Die Zahl der über 75-Jährigen wird von derzeit rund 900.000 auf über 1,6 Millionen im Jahr 2050 steigen. Die preisbereinigten Kosten für die Pflege so vieler alter Menschen – gemessen als Anteil am BIP – dürften sich bis 2050 in etwa verdoppeln.
Auch für die Pflege werden wir in Zukunft aufgrund der Alterung deutlich mehr aufwenden müssen. Allein im Jahr 2024 steigen die Aufwendungen des Bundes für Pensionen um 16 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Das österreichische Gesundheitssystem kommt derzeit nicht aus den Schlagzeilen. Die demographische Entwicklung schlage sich in steigenden Kosten nieder, zudem mache der Trend zu mehr Teilzeit auch vor den Spitälern nicht halt, Patienten warten oft monatelang auf eine wichtige Untersuchung.
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