Wähler, nehmt uns beim Wort!
In Österreich wird, falls die deutschen Nachrichten stimmen, bald gewählt. Falls Österreich in Zukunft der vollen Solidarität der deutschen Regierung sicher sein möchte, hätte ich einen Tipp.
Ihr müsst einfach in eure Verfassung den neuen Artikel schreiben: „Das Ergebnis der deutschen Bundestagswahl gilt auch für Österreich. Die Abgeordneten werden in freier, gleicher und geheimer Wahl vom deutschen Bundeskanzler bestellt.“ Damit lässt sich, weil der Wahlkampf entfällt, übrigens auch viel CO2 sparen, das ist uns Deutschen wichtig.
Als Entscheidungshilfe für Wähler hat der „Standard“ eine Umfrage unter Spitzenpolitikern veranstaltet: „Was macht Österreich sicherer?“ Eine Frage gilt den Aufnahmekriterien bei der österreichischen Polizei.
Der grüne Spitzenkandidat Werner Kogler hat folgenden Vorschlag: „Schnupperwochen sollen potentiellen Bewerbern und Bewerberinnen helfen zu entscheiden, ob ein Job bei der Polizei auch wirklich der richtige ist. Unabdingbar ist eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen.“ Man muss bei euch wirklich erst mal wochenlang schnuppern, um herauszufinden, ob man es bei der Polizei auch wirklich aushält? Habt ihr denn keine Deos und kein Raumspray in Österreich?
Sebastian Kurz will die „sichtbare Präsenz“ der Polizei erhöhen. Erst habe ich gedacht, das klingt rätselhaft, wieso nur „sichtbar“, wieso nicht „die Präsenz“ ganz allgemein? Die Kriminalpolizei ist doch auch wichtig, aber trägt keine Uniform. Oder will er ausdrücken, dass die riechbare Präsenz der Polizei auf keinen Fall erhöht werden soll, und in der Formulierung steckt ein dezentes Koalitionsangebot an die in dieser Hinsicht so sensiblen Grünen?
Peter Pilz sagt: „Wir nehmen Probleme und Ängste ernst.“ Ich bezweifle, dass er damit wirklich Punkte macht bei den Wählern. Ein Unique Selling Point ist das nicht. Der gegenteilige Satz „Probleme und Ängste finden wir lustig“ ist in der Politikgeschichte jedenfalls selten verwendet worden. Sogar der Satz „Probleme und Ängste nehmen wir zum Teil ernst, zum Teil aber finden wir Probleme und Ängste aber auch echt witzig“ würde einen Politiker schlecht aussehen lassen. Obwohl der Satz stimmt, die Angst vor fliegenden Untertassen oder Probleme beim Einparken haben durchaus komödientaugliche Aspekte.
Bei Pamela Rendi-Wagner sehe ich leider ein Adjektivproblem. Ich nehme dieses Problem ernst. Sie will in Österreich das „subjektive Sicherheitsgefühl“ verbessern, ist gegen „verantwortungslose Demagogie“ und findet, es darf „keinen Platz“ geben für „plumpen Nationalismus“. Das kommt doch bei den Wählern so an, als sei Pamela Rendi-Wagner für einen unplumpen, also eleganten Nationalismus durchaus zu haben. Ich denke da an den gutaussehenden Dandy Gabriele d‘Annunzio, der Erfinder des Faschismus. Und was ein nicht subjektives, sondern objektives Gefühl sein soll oder eine verantwortungsbewusste Demagogie, weiß ich auch nicht. Die SPÖ steht offenbar dafür, Österreich zu führenden Exportnation für überflüssige Adjektive zu machen. Aber wer kauft die?
Die Entfremdungserscheinungen, die europaweit zwischen Regierenden und Regierten zu beobachten sind, hängen meiner Ansicht nach auch ein bisschen mit der Politikersprache zusammen.
Harald Martenstein ist ein deutscher Star-Journalist. Er ist u.a. Redakteur des „Tagesspiegels“ und Kolumnist der „Zeit“. Von Jänner bis Dezember 2019 schreibt er für die Agenda Austria die monatliche Kolumne „Martensteins Österreich“.
- Autor: Agenda Austria
- Themen: Deutschland, Grüne, Österreich, ÖVP, Sicherheit, SPÖ, Wahlen, Wahlkampf
- Datum: 27. September 2019