Spätestens seit der Finanzkrise 2008 ist die Geldpolitik zum fixen Bestandteil der Wirtschaftspolitik geworden. Die Zentralbanken drücken nicht nur die Zinsen immer weiter in den Keller, sie haben auch Staats- und Unternehmensschulden in bisher unvorstellbarem Ausmaß aufgekauft (Quantitative Easing). Oberstes Ziel: Der Wirtschaft die notwendige Liquidität zur Verfügung zu stellen. Diese unkonventionellen Maßnahmen verlieren zusehends ihre Wirksamkeit, weshalb fieberhaft nach neuen Ideen gesucht wird. Eine bisher wenig beachtete Denkschule bietet sich an: Die Modern Monetary Theory, kurz „MMT“ genannt.
Dem Konzept zufolge gehen von hohen Staatsschulden keine Gefahren aus, vielmehr machen sie das von der Politik seit Jahrhunderten angestrebte Ziel der Vollbeschäftigung möglich. Das Konzept wurde bereits vor der Corona-Krise in den USA von linken Politikern wie der Kongressabgeordneten Alexandra Ocasio-Cortez (Democrats) propagiert. Mit Geld aus der Druckerpresse sollten insbesondere Sozialleistungen und der „Green New Deal“ finanziert werden. Oftmals wird MMT allerdings unpräzise dargestellt und mit Quantitative Easing (QE), Helikoptergeld oder dem Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) verwechselt. Was ist die Modern Monetary Theory also genau? Was ist tatsächlich modern an ihr und unter welchen Umständen könnte das Konzept tatsächlich funktionieren?
Grundsätzlich basiert alles auf der Idee, dass sich die Welt in einem Zustand befindet, in der die maximal mögliche Wirtschaftsleistung nicht erreicht ist. Deshalb sei die Arbeitslosigkeit höher als notwendig. Durch den Staat soll die fehlende Nachfrage gedeckt werden, wobei der Staat auch Geld drucken kann, um seine Ausgaben zu decken. Um die Inflation unter Kontrolle zu halten, werden notfalls Steuern erhöht. Das wiederum stellt die bisher gängige Praxis auf den Kopf: Waren bisher die Notenbanken dafür verantwortlich, die Inflation über höhere Zinsen im Zaum zu halten, übernehmen diese Aufgabe im Konzept von MMT die Finanzminister. Vereinfacht ausgedrückt: Erhöhen sie die Steuern, haben die Bürger weniger Kaufkraft, der Konsum geht zurück und das allgemeine Preisniveau sinkt aufgrund der schwächeren Nachfrage. Fiskalpolitik und Geldpolitik werden verschmolzen und an die Politik übertragen. Das ist der revolutionäre Kern der Theorie.
Um sowohl die optimale Wirtschaftsleistung als auch Vollbeschäftigung zu erreichen, gibt es laut Vertretern von MMT eine ganz einfache Lösung: Das Geld wird gedruckt und mit einem Zinssatz von 0 Prozent versehen, damit bekommt der Staat das Geld kostenlos und kann dieses in weiterer Folge ausgeben. Weil der Staat das Geld zinsfrei drucken kann, muss er auch keine Staatsanleihen ausgeben. Und solange die Wirtschaft nicht auf Hochtouren läuft, müssen wir uns auch keine Sorgen um eventuelle Teuerung machen. Außerdem kann ein Staat laut MMT in seiner eigenen Währung nicht zahlungsunfähig werden, da das Geld nie knapp wird. Anders als Haushalte, die zuerst Geld verdienen müssen, um es dann ausgeben zu können, ist dies beim Staat umgekehrt.
MMT steht im diametralen Widerspruch zu dem, was in vielen Ökonomie-Lehrbüchern steht: Dass Geld zu drucken die Geldmenge vergrößert und zwangsläufig zu Inflation führt, wenn die Wirtschaftsleistung konstant bleibt. Laut MMT kann nur die Fiskalpolitik diese Inflation herbeiführen und auch wieder absenken. Die Modern Monetary Theory ist dem Postkeynesianismus[1] zuzuordnen. Maßgeblich beeinflusst wurde sie nicht nur von John Maynard Keynes, sondern insbesondere von Abba Lerner. Zu den prominentesten Befürwortern in der heutigen Zeit gehören die US-Ökonomen Stephanie Kelton, Randall Wray und Bill Mitchell.
Aber wie soll der Staat dieses von ihm gedruckte Geld nun einsetzen? Hier sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt: Von klassischen Investitionsprogrammen in die öffentliche Infrastruktur oder die Forschung über höhere Sozialausgaben bis hin zu staatlichen Beschäftigungsprogrammen und einer Job-Garantie für jedermann wurde bereits so ziemlich alles vorgeschlagen. Allerdings gibt es ein paar Voraussetzungen, die ein Staat erfüllen muss, um die MMT überhaupt einsetzen zu können:
— Er muss seine eigene Zentralbank besitzen, die das Geld drucken kann, und die Autorität über diese. Sie darf also nicht „unabhängig“ sein.
— Um die Geldmenge ausweiten zu können, ist es außerdem notwendig, dass es sich um eine ungedeckte „Fiat-Währung“ handelt. Das bedeutet, dass der Wert des Geldes nicht gebunden (etwa an Gold) und auch sonst keinerlei Restriktionen unterworfen ist. Diese Voraussetzung ist heute in allen großen Volkswirtschaften erfüllt.
— Der Wechselkurs der Währung darf auch an keine andere gebunden sein.
— Wenn einmal die maximale Wirtschaftsleistung und Vollbeschäftigung erreicht ist, muss das im Umlauf befindliche überschüssige Geld aus dem Kreislauf gezogen werden können. Es braucht also eine Art Staubsauger. Deshalb muss der Staat die Steuern für seine Bürger in der eigenen Währung erhöhen können.
Mit anderen Worten: Wenn der Staat Geld drucken darf, muss die jeweilige Zentralbank eines Landes ihre Unabhängigkeit aufgeben. Wie schon erwähnt kommt es zur „Hochzeit der Geld- und Fiskalpolitik“.[2] MMT markiert also den Gipfel der Koordination des Staates mit der Zentralbank. Außerdem muss der Staat in der Lage sein, das Wirtschaftstreiben schlussendlich planen zu können: Er kann voraussehen, in welchen Sektoren der größtmögliche Output bereits erreicht ist, womit dort auch nicht mehr investiert und Inflation vermieden wird.
Die Ideen, wie das alles erreicht werden soll, sind weitreichend: Zum einen wird eine staatlich unabhängige Agentur vorgeschlagen, die die Nachfrage messen soll und dann Maßnahmen ergreift, um die drohende Inflation abzufangen. Warum diese Agentur im Gegensatz zur Notenbank unabhängig sein soll? Weil Steuererhöhungen politisch unattraktiv und daher stark abhängig von nachfolgenden Wahlen sind. Wie das in der Praxis funktionieren soll, bleibt offen. Zumal diese Unabhängigkeit ja auch gelebt werden muss. Zum anderen sind Instrumente wie eine Job-Garantie des Staates bei MMT-Proponenten überaus beliebt. Arbeitslose werden kurzerhand in der öffentlichen Verwaltung angestellt. Sie haben also einen Job, aber nicht unbedingt Arbeit.
Fußnoten
Gegründet um das Land in wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Belangen zu öffnen und neue Antworten auf die großen Herausforderungen zu liefern.
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