Städte und Gemeinden erfüllen eine Vielzahl wichtiger öffentlicher Aufgaben. Sie sind zuständig für den Erhalt von Schulen und Straßen, für die Bereitstellung von Kindergärten, Altersheimen, Feuerwehren, örtlicher Polizei und Rettungswesen, und übernehmen Verwaltungsaufgaben wie etwa das Meldewesen oder die Führung der Personenstandsbücher. All das kostet Geld. Eine Menge Geld.
Die hierfür notwendigen Mittel erwirtschaf- ten die Gemeinden teilweise selbst durch Gebühren, Entgelte und eigene Steuern. Die meisten Steuern und Abgaben werden in Österreich aber über den Bund erhoben und von diesem an die Länder verteilt, die ihrerseits die erhaltenen Gelder an die Gemeinden weitergeben – mit dem berechtigten Argument, dass die dahinter stehende Leistung ja auch nicht „im Bund“ erbracht wird, sondern vor Ort. Dort wird die Lohnsteuer erwirtschaftet, dort wird konsumiert und investiert; die darauf erhobenen Steuern und Abgaben wandern aber „nach Wien“, an den Bund.
Gestritten wird aber immer wieder über die „gerechte“ Aufteilung der vom Bund eingenommen Steuern – wer bekommt wie viel und warum? Beantwortet werden diese Fragen im Finanzausgleichsgesetz, das mit Jahresende ausläuft und in diesen Wochen und Monaten neu verhandelt wird. Weshalb wir von der Agenda Austria der Frage nachgehen, ob die Vertei- lung des Geldes im Sinne einer effizienten Mittelverwendung funktioniert – oder ob der Finanzausgleich womöglich die falschen Anreize setzt. Konkret wird untersucht, ob zwischen der zentralstaatlichen Verteilung der eingenommenen Steuergelder und der Gemeindeverschuldung ein positiver Zusammenhang besteht. Ob also höhere Zuwendungen aus dem Steuertopf langfristig zu einer höheren Gemeindeverschuldung führen.
Geregelt ist die Verteilung der Steuereinnahmen im österreichischen Finanzausgleichsgesetz. Es legt verschiedene Kriterien fest, nach denen die Höhe der Auszahlungen berechnet wird. Eines dieser Kriterien ist der sogenannte abgestufte Bevölkerungsschlüssel. Dieser abgestufte Bevölkerungsschlüssel regelt, wie viel Geld die Gemeinden von den Ländern weitergereicht bekommen. Maßgeblich für die Höhe der Zuteilung ist die Zahl der in den Kommunen gemeldeten Einwohner. Diese sogenannte Volkszahl wird, abhängig von der Größe der Gemeinde, mit einem festgelegten Faktor multipliziert.
Lesebeispiel: Konkret bedeutet die Regelung des abgestuften Bevölkerungsschlüssels, dass in einer Gemeinde mit 8.000 Einwohnern jeder Einwohner mit dem Faktor 1,6 multipliziert wird, in einer Gemeinde mit 10.500 Einwohnern hingegen mit 1,7. Der Unterschied zwischen großen und kleinen Gemeinden war bis 2011 noch höher, da für kleine Gemeinden nur mit dem Faktor 1,5 und bis 2005 nur mit einem Faktor in Höhe von 1,3 gerechnet wurde – seit 1948 wurde der abgestufte Bevölkerungsschlüssel zweimal abgeflacht.
Die Multiplikationsschlüssel für größere Gemeinden fallen dabei höher aus. Je mehr Einwohner eine Gemeinde also hat, desto höher ist ihr Multiplikationsschlüssel. Das hat historische Gründe: Nach dem Zweiten Weltkrieg brauchten die Städte mehr Geld für den Wiederaufbau. Heute ist in den Städten zwar kein Wiederaufbau mehr nötig, dennoch wird weiterhin am abgestuften Bevölkerungsschlüssel festgehalten. Politiker argumentieren, dass die Kosten pro Einwohner in größeren Gemeinden auch heute noch höher sind, weil dort das öffentliche Verkehrsnetz besser ausgebaut ist und mehr Kultureinrichtungen subventioniert werden (müssen). Zudem erhalten größere Gemeinden durch einen höheren Zuteilungsschlüssel auch einen Ausgleich für Kosten, die ihnen eigentlich das Umland beschert. So besuchen beispielsweise viele Kinder und Jugendliche aus den angrenzenden Gemeinden einen Kindergarten oder eine Schule in der nächstgrößeren Gemeinde. Diese muss für deren Instandhaltung sorgen, unabhängig davon, wo ihre Nutznießer gemeldet sind.
Dieser auf den ersten Blick kleine Unterschied in den Multiplikatoren hat in absoluten Zahlen enorme Auswirkungen. Gemeinden bis 10.000 Einwohner erhielten zwischen 2005 und 2014 jährlich durchschnittlich 677 Euro pro Einwohner aus dem zu verteilenden Steuertopf, während Gemeinden zwischen 10.001 und 20.000 Einwohnern im Schnitt 791 Euro pro Kopf zugeteilt wurden – also gut 17 Prozent mehr.
Das Verhältnis zwischen Einnahmen aus eigenen Steuern der Gemeinden und Transfers aus der Regierung verändert sich also mit der Einwohnerzahl der Gemeinde, und zwar zugunsten der Transfers: Dank des abgestuften Bevölkerungsschlüssels finanzieren sich Gemeinden mit knapp über 10.001 Einwohnern zu einem deutlich höheren Grad über fremde Einnahmen. Der Anteil der Einnahmen aus eigenen Steuern und Abgaben zu den Gesamteinnahmen fällt um 10 Prozentpunkte von 30 auf 20 Prozent.
Unter Wirtschaftswissenschaftlern ist nahezu unbestritten, dass ein sorgfältig angelegtes System zur Verteilung und Finanzierung öffentlicher Aufgaben das Ausgabeverhalten der Länder und Gemeinden effizienter machen und damit zu mehr Wohlfahrt führen kann. Aus Sicht der Bürger spricht viel dafür, dass lokal über die Verwendung öffentlicher Gelder entschieden wird – nicht nur, weil die Ausgaben dann besser an die Bedürfnisse der Bevölkerung in der Gemeinde angepasst werden können. Vor allem können sie die Entscheidungen der Politik besser kontrollieren, wenn diese vor Ort getroffen werden.
Allerdings sollte das dann auch für die Einnahmen gelten. Theoretisch könnten die Gemeinden ihre eigenen Steuern erhöhen – und damit auch wieder den Anteil des selbst erwirtschafteten Einkommens. Auf diese Weise wären sie unabhängiger vom Bund. Tatsächlich ist das aber kaum möglich. Fast alle Gemeinden haben etwa bei der Festsetzung der Grundsteuer die gesetzlichen Höchstgrenzen erreicht. Andere Gemeindeabgaben spielen für die Finanzierung nur eine untergeordnete Rolle. Und der Kommunalsteuersatz wurde zentral, und damit nicht veränderbar, auf drei Prozent der Bruttolöhne festgelegt.
Kritiker weisen darauf hin, dass eine schlecht konzipierte Dezentralisierung der Ausgaben zu sogenannten „soft budget constraints“, also weichen Budgetbeschränkungen, führen kann. Je höher die Wahrscheinlichkeit ist, dass im Fall eines Verlusts ein Außenstehender – meist der Staat – einspringt und aushilft, desto „weicher“ oder auch lockerer werden Budgetrestriktionen aufgefasst. Man nimmt es einfach nicht so genau, weil bestimmt noch Geld nachkommt, wenn welches fehlt.
Wenn also die Zentralregierung durch höhere Überweisungen aus dem allgemeinen Steuertopf die lokalen Regierungen mitfinanziert, kommt es zu einem klassischen „moral-hazard“–Problem: Die lokalen Entscheidungsträger geraten in Versuchung, mehr auszugeben, als ihnen zur Verfügung steht. Das ist leichtsinnig und riskant, in sich aber ein rationales Verhalten, solange der Nachschub gesichert scheint. Wenn zentralstaatliche Transfers also einen großen Teil der lokalen Einnahmen stellen, rechnen die lokalen Politiker zu Recht damit, dass man ihnen im Ernstfall schon aus der Klemme helfen wird – und je mehr zentral subventioniert wird, desto eher halten auch die Wähler und die Gläubiger der lokalen Politik einen Bailout, also einen staatlichen Rettungsschirm, für wahrscheinlich. Langfristig schafft das falsche Anreize.
In der vorliegenden Studie untersucht die Agenda Austria, ob zwischen der Höhe des Anteils am gesamtstaatlichen Steuerkuchen und der Gemeindeverschuldung ein positiver Zusammenhang besteht. Anders formuliert: Führt ein höherer Bevölkerungsschlüssel auch zu einer höheren Gemeindeverschuldung? Zum Vergleich kommen das Ausgabeverhalten und die Höhe der jährlichen Netto-Neuverschuldung von 2002 bis 2014 in all jenen Gemeinden, die sehr knapp über und sehr knapp unter der Einwohnergrenze von 10.000 liegen. Damit wird sichergestellt, dass gleichartige Gemeinden verglichen werden – und nicht sehr kleine mit sehr großen, die sich völlig unterschiedlichen Anforderungen ausgesetzt sehen.
Die Analyse der Agenda Austria zeigt, dass die Pro-Kopf-Netto-Neuverschuldung der Gemeinden bei der Grenze von 10.000 Einwohnern sprunghaft ansteigt – durchschnittlich um 126 Euro. In den Städten mit über 10.000 Einwohnern (Statutarstädte ausgenommen) erhöht sich die Durchschnittsverschuldung im Vergleich zu Städten mit unter 10.000 Einwohnern um etwa 200 Euro pro Kopf und Jahr.
Am besten sichtbar ist dieses Phänomen in Niederösterreich. Die durchschnittliche Pro-Kopf-Netto-Neuverschuldung liegt dort in den größeren Gemeinden bei 250 Euro pro Jahr. Ein Vergleich der Gemeinden Hollabrunn (10.684 Einwohner) und St. Valentin (9.177 Einwohner) zeigt beispielhaft, wie sich die 10.000-Einwohner-Grenze des abgestuften Bevölkerungsschlüssels auf die Verschuldung der Gemeinden auswirkt:
2014 lebten in Hollabrunn 10.684 Einwohner, in St. Valentin 9.177 Einwohner. Hollabrunn verschuldete sich zwischen 2005 und 2014 mit durchschnittlich ca. 398 Euro pro Kopf und Jahr. Die jährliche durchschnittliche Pro-Kopf-Neuverschuldung in St. Valentin lag hingegen mit 184 Euro nicht einmal halb so hoch.
Auf ganz Österreich bezogen haben sich Gemeinden mit 9.000 bis 10.000 Einwohnern seit 2005 jährlich um durchschnittlich 1,3 Millionen Euro verschuldet. Die jährliche Verschuldung der Gemeinden mit 10.000 bis 11.000 Einwohnern war mit 2,4 Millionen Euro pro Gemeinde fast doppelt so hoch.
Die Analyse der Agenda Austria zeigt, dass der abgestufte Bevölkerungsschlüssel und eine höhere Verschuldung der Gemeinden miteinander verknüpft sind. Weder höhere Investitionen noch andere Ausgabenarten erklären, warum die Schulden in den Gemeinden ab einer Marke von 10.000 Einwohnern sprunghaft ansteigen. Dieser Befund deckt sich mit der politisch-ökonomischen Sicht auf die Auswirkungen von zentral ausgegebenen Transfers. Wenn lokale Gebietskörperschaften stark von einer Zentralfinanzierung abhängig sind, ist der Anreiz, sich zu verschulden und im Zweifelsfall einen Schuldenschnitt zu erwarten, sehr hoch. Kleinere Gemeinden, deren Bürger pro Kopf geringere Zuschüsse erhalten, sind hingegen dazu gezwungen, sorgsamer zu haushalten.
Die Ergebnisse der Agenda-Austria-Analyse decken sich auch in diesem Punkt mit der gängigen ökonomischen Literatur zu föderalen Strukturen und deren Finanzierung.
Die Agenda Austria empfiehlt, den abgestuften Bevölkerungsschlüssel abzuschaffen. Die sogenannten Spillover-Effekte, also die höheren Belastungen größerer Gemeinden durch ihre Nachbarn, sollten auf dem Verhandlungsweg und durch Kooperationen abgegolten werden. Und nicht, wie bisher, pauschal unterstellt und mithilfe des abgestuften Bevölkerungsschlüssels quasi „auf Verdacht“ ausbezahlt werden.
Österreichs Gemeinden sollten sich in einem höheren Ausmaß über selbst eingehobene Steuern und Gebühren finanzieren können. Damit würde ihre Abhängigkeit vom „Goodwill“ des Bundes und der Länder reduziert werden. Zudem würden die vor Ort eingehobenen Steuern effizienter eingesetzt. Ausgaben- und Einnahmenverantwortung lägen näher beieinander, die Bürger würden unmittelbar sehen können, was mit ihren Steuern und Abgaben passiert. Die Agenda Austria plädiert für ein Zuschlagsystem nach dem Schweizer Modell im Lohn- und Einkommensteuerbereich: Der Bund setzt einen Basissteuersatz für das gesamte Bundesgebiet fest, die Länder und Gemeinden schlagen die von ihnen für angemessen gehaltenen Steuersätze drauf. Die Steuereinnahmen müssten sie vor ihren Bürgern direkt rechtfertigen. Zudem sollte es ein Beistandsverbot übergeordneter Gebietskörperschaften geben. Wenn sich Gemeinden (und auch Länder) nicht mehr darauf ausruhen können, dass sie in finanziellen Schwierigkeiten vom Bund gerettet werden, erhöht dies die Verantwortung und die Rechenschaftspflichten der lokalen Politik und führt zu einer gewissenhafteren Haushaltsführung.
Auch die Diskrepanz zwischen Finanzkraft und Finanzbedarf der Gebietskörperschaften muss neu geregelt werden. Am besten wäre es freilich, wenn Einnahmen, Aufgaben und Kompetenzen der verschiedenen Regierungsebenen so gestaltet wären, dass erst gar keine Zuschüsse gebraucht werden. Im Schnitt finanzieren sich Gemeinden zu 30 Prozent aus eigenen Mitteln. Die restlichen 70 Prozent müssen in Form von Ertragsanteilen aus dem Finanzausgleich oder gesonderten Transfers subventioniert werden.
Die enorm hohe Diskrepanz zwischen den Aufgaben (und damit den Ausgaben) und den Einnahmen der Gemeinden wird nicht durch den abgestuften Bevölkerungsschlüssel gelöst. Stattdessen sollte der Finanzausgleich aufgabenorientiert gestaltet werden. Wenn die Gemeinden anstelle des Bundes mehr Steuerarten selbst einheben, brauchen sie in Summe weniger Zuschüsse, weil ihnen mehr Geld zur Verfügung steht. Die Alternative wäre, dass sie von einem Teil ihrer derzeitigen öffentlichen Aufgaben entbunden werden, um mit geringeren Mitteln auskommen zu können. Die derzeitige Verteilung von Aufgaben und Steuerkompetenzen führt jedenfalls nicht zu einer effizienten Verwendung der Steuermittel, sondern treibt die Gemeinden durch systembedingte Fehlanreize noch tiefer in die Schulden.
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