Warum sinkt die Zahl der Lehrlinge in Österreich?

Und wie es zu lösen wäre

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Demografie

Die Zahl der Lehrlinge sinkt nicht nur in Deutschland, sondern auch im streng regulierten Österreich. Das hat vor allem demografische Gründe. Abbildung 2 zeigt den Zusammenhang zwischen der Anzahl der Lehrlingen und der Anzahl der 15-Jährigen im Jahresschnitt.

Anzahl der Lehrlinge und Anzahl der 15-Jährigen

Abbildung 2. Quelle: WKÖ, Statistik Austria.

Die zwei Kurven verlaufen nahezu gleich: Es gibt einen starken, statistisch nachweisbaren Zusammenhang zwischen der Zahl der Lehrlinge und der sinkenden Zahl der jungen Menschen in der Gesellschaft. Im Zeitraum 1980 bis 2015 ist die Zahl der 15-Jährigen von 130.000 auf unter 90.000 gesunken.

Alfred Freundlinger, zuständig für Lehrlingsausbildung in der Wirtschaftskammer, sprach 2011 in einem Interview für “Die Presse”[1] dieses Problem bereits an:

”Nicht Lehrlinge suchen verzweifelt Lehrstellen, sondern Unternehmen suchen begierig Lehrlinge – eine solche Situation könnte künftig durchaus möglich sein, mutmaßt Alfred Freundlinger, in der Wirtschaftskammer Österreich für Lehrlingsausbildung zuständig: ’Es gibt bereits jetzt in bestimmten Branchen regional mehr Lehrstellen als Bewerber. Und dieser Trend wird sich aufgrund der demografischen Entwicklung sicher noch verstärken.’ ”

Auch relativ gesehen nimmt die Attraktivität der Lehre ab. Zwischen 1990 und 2015 sank der Anteil der Lehrlinge gemessen an der Anzahl der 15-Jährigen um fast 10 Prozentpunkte (Abbildung 3). Alfred Freundlinger weist darauf hin, dass ein genereller Trend zu höherer Schulausbildung ein Grund dafür ist:

”Laut dem WKÖ-Bildungsexperten drängen auch immer mehr Jugendliche in eine höhere Schulausbildung. Es bestehe ein massiver Trend in der Bildungshierarchie, eine höhere akademische Ausbildung werde von vielen als immer erstrebenswerter erachtet.”[2]

Anteil der Lehrlinge im 1. Lehrjahr an der Anzahl der 15-Jährigen

Abbildung 3. Quelle: WKÖ, Statistik Austria.

Transparenz und Zugangshürden

Neben dem demografischen Effekt hat die Lehre ein Imageproblem. Während Hochschulabsolventen sich stellenweise sogar ohne jegliche Praxis selbständig machen können, ist der Weg zum Unternehmertum über die Lehre oft sehr steinig, weil er je nach Gewerbe eine Vielzahl unterschiedlicher Anforderungen vorsieht. Vielen motivierten Menschen wird so die Selbständigkeit erschwert.

  • Gegenwärtig ist der Zugang zur Selbständigkeit in einem Gewerbe abseits der Meisterprüfung oft durch individuelle Verordnungen geregelt. Daher ist das System sehr unübersichtlich. Hier besteht ein Informationsproblem über die Möglichkeiten und Auflagen, wenn dieser Mangel nicht sogar abschreckend wirkt.
  • Zudem gibt es Unterschiede in den Zugangsbeschränkungen, die nicht durch das Gefährdungspotenzial oder Konsumentenschutz zu rechtfertigen sind. Für das Kosmetikgewerbe etwa reicht es, über einen Lehrabschluss sowie drei Jahre Berufserfahrung zu verfügen. Beim Friseur muss diese Erfahrung aber in leitender Funktion erbracht werden – dieser Unterschied ist nicht schlüssig. Problematisch ist auch, dass ähnliche Tätigkeiten über unterschiedliche Gewerbe ausgeübt werden können, der Zugang zum jeweiligen Gewerbe aber unterschiedliche Anforderungen voraussetzt.

Im Vergleich zu Deutschland gibt es in Österreich mehr Möglichkeiten, als Alternative zur Meisterprüfung einen Befähigungsnachweis zu erbringen. Allerdings bedeutet dies nicht, dass es einfacher ist, die Befähigung nachzuweisen: Während in Deutschland generell der Gesellenabschluss und eine sechsjährige Berufserfahrung (vier Jahre in leitender Funktion) als Nachweis anerkannt werden, gelten in Österreich oft recht spezifische Kriterien, damit die Praxiserfahrung als solche anerkannt wird. Auch die österreichische Vorschrift, dass diese Erfahrung ohne zeitliche Unterbrechung gemacht werden muss, schränkt den Zugang zur Selbständigkeit ein.

Die Wirtschaftslage in Österreich

Ein weiterer relevanter Grund für die sinkende Lehrlingszahl ist die schwierige Wirtschaftslage, in der sich Österreich befindet. Seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 ist auch die Anzahl der Betriebe, die Lehrlinge aufnehmen, gesunken (Abbildung 4):

Anzahl der Lehrlinge und Anzahl der Lehrbetriebe

Abbildung 4. Quelle: WKÖ.

2009 gab es in Österreich knapp 40.000 Lehrbetriebe. Im Jahr 2015 waren es nur mehr 30.000 – um ein Viertel weniger. Wenngleich auch die Zahl der Lehrlinge sinkt, so nehmen die existierenden Lehrbetriebe immer mehr Lehrlinge auf: Im Jahr 2002 waren es im Schnitt 3,1 Lehrlinge pro Betrieb, derzeit sind es gut 3,6.

Mismatch am Arbeitsmarkt

Ähnlich wie am gesamten Arbeitsmarkt in Österreich (siehe die Studie der Agenda Austria „Das Geheimnis hinter der Rekordarbeitslosigkeit“) zeigt der Markt für Lehrstellen Anzeichen für ein ‚Mismatch’: Angebot und Nachfrage klaffen auseinander. Gesamt betrachtet nimmt die Anzahl der Lehrstellensuchenden sowie auch die Anzahl der offenen Stellen zu: Im Zeitraum von 2001 bis 2015 nahmen die offenen Stellen von 8.000 auf ca. 14.000 zu (Abbildung 5).

Offene Lehrstellen und Lehrstellensuchende im Zeitverlauf

Abbildung 5. Quelle: AMS.

Allerdings zeigt Abbildung 6, dass je nach Beruf die Anzahl der offenen Lehrestellen nicht mit der Anzahl der Stellensuchenden übereinstimmt. So suchten im August 2016 rund 600 Personen eine Lehrstelle im Tourismus, gleichzeitig gab es über 2.500 unbesetzte Stellen. Anders sieht es bei technischen Berufen aus. Hier gibt es weniger Stellen als Bewerber.

Offene Lehrstellen und Lehrstellensuchende nach Berufen

Abbildung 6. Quelle: AMS.

Auch regional treten deutliche Unterschiede zutage. In Wien gab es 500 offene Stellen und fast 3.000 Lehrstellensuchende, in Salzburg hingegen gab es doppelt so viele offene Stellen wie potenzielle Lehrlinge, wie Abbildung 7 zeigt. Seit dem Jahr 2009 erhalten auch immer mehr Lehrlinge ihre Ausbildung in einer überbetrieblichen Lehrwerkstätte. Diese Option wird vom AMS all jenen Lehrstellensuchenden angeboten, die keine geeignete Ausbildungsstelle finden oder eine Lehre abgebrochen haben. Einerseits finden also Personen aufgrund des ”Mismatch” keine Lehrstelle, andererseits gibt es auch Branchen, wo sich freie Plätze und Lehrstellensuchende rein zahlenmäßig die Waage halten. Dafür treten andere Diskrepanzen auf: Die offenen Lehrstellen sind zu weit vom Wohnort entfernt oder Kandidaten für eine Lehrstelle entsprechen aus bestimmten Gründen nicht den Anforderungsprofilen der Lehrplätze. Beispielsweise weisen die Kandidaten nicht die erforderlichen Grundkenntnisse wie Lesen, Schreiben oder Rechnen auf. Ein Problem, das bereits länger bekannt ist: ”Doch immer öfter beklagen Lehrherren die mangelnde Qualifikation der Lehrlinge, so auch Gastronom Günther Hager aus Linz.”[3] Seit Jahren klagen Betriebe über Schwierigkeiten, geeignete Bewerber für freie Lehrstellen zu finden.

Offene Lehrstellen und Lehrstellensuchende nach Bundesländern

Abbildung 7. Quelle: AMS.

In einer empirischen Erhebung aus dem Jahr 2009 ist das Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft den Ursachen dafür aus der Sicht der ausbildenden Betriebe nachgegangen.[4] Für mehr als 50 Prozent der Betriebe liegt das Hauptproblem darin, dass die Bewerber als zu wenig geeignet erscheinen.

Daher werden bereits fast 10 Prozent der Lehrlinge vom AMS ausgebildet. Nach einer Schätzung vom Österreichischen Institut für Berufsbildungsforschung aus dem Jahr 2009 betragen die Kosten der Ausbildung fast das Dreifache der Kosten einer Ausbildung in einem Betrieb (16.425 Euro jährlich zu 6.392 Euro).

 


Fußnoten

  1. Siehe ”Die Presse” vom 03.10.2011.
  2. Siehe DiePresse.com vom 01.09.2016.
  3. Siehe ORF OOe vom 03.11.2015.
  4. Dornmayr (2010)
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