Vier Indizien für die Lohn-Preis-Spirale
- 16.09.2022
- Lesezeit ca. 6 min
Günstige Bedingungen für eine ungünstige Entwicklung
Vier Indizien deuten darauf hin, dass eine Lohn-Preis-Spirale bevorstehen könnte.
Indiz 1: Die Inflationserwartungen sind unverändert hoch.
Löhne werden nicht rückwirkend, sondern meist für die kommenden ein bis zwei Jahre verhandelt. Zwar betonen Arbeiterkammer und Gewerkschaften in diesem Zusammenhang regelmäßig, dass sie nur die Inflation des letzten Jahres zur Grundlage ihrer Verhandlungen machen werden. Abbildung 1 scheint das zu bestätigen – zumindest für die Vergangenheit. Rainer Wimmer von der Gewerkschaft PRO-GE stellte aber zuletzt im Ö1-Morgenjournal klar, seine Gewerkschaft werde „sicher nicht unter dieser Inflationsrate abschließen, sondern im Gegenteil, wir werden einen Reallohnzuwachs verhandeln.“
Es ist für die Verhandler daher wichtig, vorab eine Annahme über die zu erwartende Teuerung zu treffen. Die Unternehmen müssen wissen, wie sich die Kosten für Vorprodukte entwickeln und wie viel Spielraum sie bei ihren eigenen Preisen haben werden. Die Arbeitnehmer müssen hingegen sicher sein können, dass sie mit dem ausgehandelten Lohn bis zur nächsten Lohnrunde auskommen, wenn die Konsumentenpreise bis dahin wie erwartet steigen.
In den letzten Jahrzehnten konnte man in Österreich stets davon ausgehen, dass die Inflationsraten nicht über zwei Prozent liegen würden; das Inflationsziel der EZB war glaubwürdig und fungierte als Anker für die Inflationserwartungen. Gemäß der Benya-Formel[1] haben die Gewerkschaften stets nur die rollierende Inflation der Vergangenheit (plus Produktivitätsentwicklung) als Verhandlungsergebnis angestrebt. Über die Inflation der Zukunft musste man sich keine Sorgen machen. Entsprechend moderat blieben die Lohnabschlüsse. Doch wie stark können sich die Gewerkschaften an die Benya-Formel binden, wenn für das kommende Jahr weiter von hohen Teuerungsraten auszugehen ist? In Österreich erwartete selbst im August ein Drittel der Befragten noch schneller steigende Preise als im Vorjahr (Abbildung 2). In einem solchen Szenario wird die sich selbst erfüllende Prophezeiung der Lohn-Preis-Spirale immer wahrscheinlicher. Nicht die Inflationsraten an sich sind dann das Problem; gefährlich wird es, wenn die EZB auch die Inflationserwartungen nicht mehr einfangen kann und die Gewerkschaften vorausschauend auf höheren Abschlüssen bestehen müssen. Das ist der zentrale Unterschied zu den Lohnverhandlungen der letzten Jahrzehnte.
Indiz 2: Der Arbeitskräftemangel treibt die Löhne zusätzlich an.
Mit einer Lohn-Preis-Spirale ist vor allem dann zu rechnen, wenn die hohen Inflationserwartungen zu Lohnabschlüssen führen, die über die Teuerung und die Produktivitätszuwächse des vorangegangenen Jahres hinausgehen.[2] Insbesondere dann, wenn Arbeitnehmer versuchen wollen, nicht nur die jüngsten Kaufkraftverluste auszugleichen, sondern sich gleichzeitig vor künftigen Inflationsüberraschungen zu schützen. Normalerweise sind die Reallöhne in Österreich in den letzten Jahrzehnten sehr gleichmäßig gewachsen, wie Abbildung 3 zeigt.
Der starke Knick am aktuellen Rand rührt daher, dass die Preise im laufenden Jahr stark gestiegen sind, die Löhne aber noch nicht angeglichen wurden. Das wird nun die Aufgabe der bevorstehenden Lohnverhandlungen sein. Doch die derzeit starke Verhandlungsmacht aufseiten der Beschäftigten könnte dazu führen, dass die Abschlüsse nicht nur zu einer Angleichung führen, sondern deutlich höher liegen. Immerhin ist die Nachfrage nach Arbeitskräften derzeit so groß und das Angebot so knapp wie kaum je zuvor.
In der US-Wirtschaft bestehen seit der Corona-Pandemie ganz ähnliche Probleme. Larry Summers – ehemaliger Finanzminister unter Bill Clinton – befürchtet, dass die Beschäftigung nur noch über eine erhöhte Erwerbsbeteiligung zunehmen könne – und diese sei vor allem über Einkommenssteigerungen darstellbar.[3] Er geht daher davon aus, dass künftig viel Inflationsdruck vom Arbeitsmarkt kommen wird.
Auch in Österreich ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt derzeit sehr angespannt. Im Juni gab es 140.000 beim Arbeitsmarktservice (AMS) vorgemerkte offene Stellen, so viele wie noch nie. Die tatsächliche Zahl dürfte noch deutlich darüber liegen, da nicht alle Job-Offerte an das AMS übermittelt werden. Für Ende Juni schätzte AMS-Chef Johannes Kopf die Zahl der offenen Stellen auf rund 250.000. Die Zahl der Arbeitssuchenden (inklusive Schulungsteilnehmer) liegt hingegen bei nur 300.000; das ist der niedrigste Wert seit zehn Jahren. So kommen in Österreich derzeit auf jede beim AMS registrierte offene Stelle nur rund zwei Arbeitslose.
Fußnoten
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