Die Lohn-Preis-Spirale

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Demnächst beginnen die Herbstlohnrunden, und das jährliche Ritual der Sozialpartner dürfte heuer besonders spannend werden. Die Inflation lag zuletzt bei über neun Prozent. Entsprechend hoch sind nun die Forderungen der Gewerkschaften. Droht nun die gefürchtete Lohn-Preis-Spirale? Oder kann man sie entspannt ins Reich der Legenden verweisen?

Wenn alles teurer wird, müssen die Einkommen mitziehen, sonst verlieren Österreichs Arbeitnehmer an Kaufkraft. Die Gewerkschaften haben bereits angekündigt, Reallohnverluste keinesfalls zu akzeptieren. Aufseiten der Arbeitgeber versteht man dieses Argument, bangt aber zugleich um die eigene Wettbewerbsfähigkeit.

Dass die Sozialpartner einen für beide Seiten erträglichen Kompromiss aushandeln, ist allerdings noch an einer weiteren Front von Bedeutung. Sollten die Löhne so stark steigen, dass die Unternehmen im Gegenzug ihre Preise erhöhen müssen, könnte das den Beginn einer sogenannten Lohn-Preis-Spirale markieren. Die Inflation würde sich dann gleichsam verselbständigen und immer wieder neu Schwung aufnehmen. Massive Interventionen der Europäischen Zentralbank (EZB) müssten folgen. Auf die Teuerungswelle hatte die EZB zunächst bekanntlich nur zaghaft reagiert. Die schweren Geschütze wollten die Währungshüter erst einsetzen, wenn es Anzeichen für Zweitrundeneffekte gebe, hieß es in Frankfurt. Diese Bedingung wäre im Fall einer Lohn-Preis-Spirale erfüllt. Weitere Zinserhöhungen wären dann unausweichlich. Das hätte gravierende Konsequenzen für die Konjunktur und die Schuldentragfähigkeit einiger Euroländer.

Die Lohn-Preis-Spirale ist also kein akademisches Konstrukt, sondern eine ganz reale Gefahr. Wir haben untersucht, wie nahe Europa einem solchen Szenario bereits gekommen ist und was jetzt noch getan werden könnte, um die Situation zu entschärfen. Unser Fazit in Kurzform: Noch dreht sich die Lohn-Preis-Spirale zwar nicht, weil viele Löhne im laufenden Jahr noch nicht angepasst wurden. Dass sie nach der Herbstlohnrunde Fahrt aufnimmt, ist allerdings absolut denkbar. Einige Indizien sprechen dafür.

„Battle of the mark-ups“: Wie die Lohn-Preis-Spirale entsteht

Der spätere Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) Olivier Blanchard charakterisierte 1986 die Lohn-Preis-Spirale sehr treffend als „battle of the mark-ups“, also einen Wettbewerb um Preisaufschläge. Wenn die Wirtschaft boomt und die Gewinne sprudeln, wollen die Arbeitnehmer einen Teil des Kuchens für sich. Da sie in dieser Phase über eine gute Verhandlungsposition verfügen, gelingt es ihnen, Reallohnzuwächse auszuhandeln. Dadurch steigt ihre Kaufkraft, was die Konjunktur noch weiter antreibt. Die Unternehmen wollen zugleich ihre Gewinnspannen erhalten und erhöhen die Preise. In der nächsten Runde müssen dann wieder die Arbeitnehmer höhere Löhne verlangen, um ihre Kaufkraft zu bewahren und so weiter.

Da es sich um einen wechselseitigen „battle of the mark-ups“ handelt, ließe sich das gegenseitige Aufschaukeln von Löhnen und Preisen schnell beenden, wenn eine der beiden Seiten zurückstecken und die Kosten der Inflation auf sich nehmen würde: Entweder die Unternehmen zahlen höhere Löhne aus der eigenen Tasche, ohne die Preise weiter zu erhöhen. Oder die Arbeitnehmer schlucken die Teuerung, ohne höhere Löhne zu fordern. Eine Lohn-Preis-Spirale dreht sich also bis einer nachgibt oder alle gemeinsam in die Rezession rutschen. Solange die Lohn-Preis-Spirale aber nicht aus dem Ruder läuft, hat sie eine überaus nützliche Funktion, da sie Kaufkraft und Gewinne ansteigen lässt und damit Aufschwungphasen verlängern kann.[1] Sie verhindert außerdem, dass eine der beiden Marktseiten den ganzen Kuchen für sich bekommt. Dieser Prozess muss jedoch moderiert werden. Gerät er außer Kontrolle, dann steigt die Inflation über einen langen Zeitraum an, obwohl der ursprüngliche Teuerungsschock schon gar nicht mehr wirkt. Im aktuellen Fall würde das bedeuten, dass die Inflation weiter hoch bleibt, obwohl die Energiepreise schon wieder sinken.

An dieser Stelle wird oft der Einwand erhoben, nicht die Löhne zögen die Preise nach oben, sondern es laufe umgekehrt: Höhere Preise führten zu höheren Löhnen. Man könne doch nicht die Gewerkschaften für die Teuerung verantwortlich machen. Die Lohn-Preis-Spirale gebe es nur im Lehrbuch, aber nicht in der realen Welt. Und wenn überhaupt, dann müsse sie Preis-Lohn-Spirale genannt werden, heißt es.

Das ist grundsätzlich richtig. In der Praxis löst nicht die Lohn-Preis-Spirale die Inflation aus; sie folgt ihr nur auf dem Fuß. Auch in Österreich waren es kaum je die Löhne, die in erster Instanz die Preise trieben. Bei der langfristigen Betrachtung (Abbildung 1) zeigt sich, dass die Lohnentwicklung der Inflation hinterherläuft. Der statistische Zusammenhang zwischen beiden Kurven ist dann am stärksten, wenn man die Inflationszeitreihe um ungefähr ein Jahr nach rechts verschiebt. Das ergibt Sinn, da Lohnverhandlungen in der Regel einmal jährlich die Teuerung ausgleichen. Daher ist es völlig zulässig – je nach Geschmack –, den Begriff Preis-Lohn-Spirale zu verwenden. Tatsächlich macht es aber keinen Unterschied, welchen Namen man wählt. Das Problem besteht darin, dass die zwei Variablen – Preise und Löhne – einander immer wieder zu neuen Höhenflügen anstacheln. Die Betonung liegt auf „Spirale“.

Abbildung 1: Lohn-Preis-Spirale voraus?

Wie diese Grafik ebenfalls zeigt, gab es in den vergangenen 20 Jahren in Österreich keine ausgeprägten Lohn-Preis-Spiralen. Im langjährigen Schnitt pendeln beide Zeitreihen um einen Mittelwert von etwa zwei Prozent. Erst zuletzt schoss die Inflationsrate auf über neun Prozent. Man wird sehen, ob auch die Löhne einen solchen Sprung vollziehen müssen. Selbst das wäre noch zu verkraften, wenn beide Kurven danach wieder nach unten weisen. Allerdings besteht das Risiko, dass dem nicht so sein wird. Eine sich beschleunigende Lohn-Preis-Spirale lässt sich derzeit nicht ausschließen.

Die Lohn-Preis-Spirale der 1980er-Jahre

In wirtschaftlich normalen Jahren ist die Lohn-Preis-Spirale kaum ein Thema. Nur wenn galoppierende Inflationsraten und andere ungünstige Rahmenbedingungen zusammenkommen, kann die Entwicklung außer Kontrolle geraten.

Am besten lässt sich die heutige Situation mit den 1970er-Jahren in den USA vergleichen: Noch in den 1960ern hatte die US-Politik umfassende Ausgabenprogramme aufgelegt – nicht zuletzt im Zuge des Vietnamkriegs. Die damals noch nicht politisch unabhängige US-Notenbank Federal Reserve hielt trotz beginnender Inflationstendenzen bereitwillig die Zinsen niedrig. Dann kam der Ölpreisschock und – wie heute – traf ein verknapptes Angebot auf eine durch Staat und Notenbank angeheizte Nachfrage. Die Teuerung ging durch die Decke. Jahrelang stachelten sich daraufhin Löhne und Preise gegenseitig an. Die Inflation breitete sich auch nach Europa aus. Schließlich setzten die Notenbanken mit massiven Zinserhöhungen dem Spuk ein Ende und schickten die Welt in die Rezession, konnten damit aber auch die Inflation auf ein moderates Niveau zurückzudrängen.

Autoren der EZB haben gezeigt, dass in den 1980er-Jahren – wie oben angemerkt –  Löhne und Gewinne gemeinsam die Preise trieben.[2] Erst nach mehreren Jahren kam die Lohn-Preis-Spirale zum Erliegen. Der eigentliche Ölpreisschock lag da schon lange zurück.


Fußnoten

  1. Vgl. z.B. Kandil (2007).
  2. Vgl. Battistini et al. (2022).
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