Bildung in Zeiten der Pandemie

- 10.11.2020
- Lesezeit ca. 3 min
Warum Kinder im Lockdown nur „wenig oder nichts“ gelernt haben
Wie in den meisten Ländern Europas kam es auch in Österreich im ersten Lockdown zur vorübergehenden Schließung der Schulen. Dabei ergeben sich regional starke Unterschiede: So stellten die digitalen Musterschüler aus Estland früh auf Heimunterricht um, in Italien hingegen mussten die Schüler wegen der hohen Infektionszahlen ohne Vorbereitung in die Distanzlehre wechseln.[1]
Eine neue Analyse der Oxford-Universität zeigt, dass es während der achtwöchigen Schulschließung in den Niederlanden zu praktisch keinem Lernfortschritt gekommen ist. Und das, obwohl die Niederlande im Bereich der Digitalisierung der Bildung zur Spitze in Europa gehören.[2] Das bedeutet im Umkehrschluss natürlich nicht, dass die Digitalisierung der Schulen eine überflüssige Übung wäre. Sondern vielmehr, dass digitale Hilfsmittel der einzige Weg sind, die Bildungsverluste möglichst gering zu halten.
Auch in Österreich war der Präsenzunterricht der Schulen für acht Wochen ausgesetzt, womit die Studienergebnisse auch eine Orientierungsgröße für Österreich darstellen. So verglichen die Autoren Testergebnisse kurz vor und nach dem Lockdown mit dem Lernfortschritt in diesem Zeitraum aus den vergangenen Jahren. Im Durchschnitt ergab sich dabei ein Verlust von 20 Prozent des Bildungsfortschritts eines Schuljahres, was in etwa auch dem Anteil der Dauer der Schulschließung am Bildungsjahr ausmacht.[3] Diese Defizite wieder auszugleichen wird eine Herausforderung darstellen. Da der Unterricht auf bestehendem Wissen aufbaut, besteht die Gefahr, dass die Verluste zu einem dauerhaften Nachteil für die Schüler und einem langfristigen Schaden für die Wirtschaft führen werden.
Lernaufwand halbierte sich im Homeschooling
Schüler, deren Eltern über eine hohe Ausbildung verfügen, litten entsprechend weniger stark unter der Schließung. Schüler aus „bildungsfernen“ Familien hatten einen um 40 Prozent höheren Bildungsverlust als der Durchschnitt. Denn ein Ausfall von Unterricht führt nicht nur zu weniger erlerntem Wissen. Es führt auch dazu, dass bereits Erlerntes wieder vergessen wird.[4] Eine wichtige Rolle spielt dabei die Motivation der Schüler. Eine Analyse des ifo-Institutes für Deutschland zeigt, dass leistungsschwache Schüler davon stärker betroffen sind als leistungsstarke.[5] So halbierte sich der tägliche Lernaufwand der Schüler in Zeiten der Distanzlehre insgesamt. Dabei verbrachten lernschwache Schüler wesentlich mehr Zeit mit Computerspielen und Fernsehen.
Eine weitere Rolle spielen Unterstützungsmöglichkeiten der Eltern. In Haushalten, in denen Eltern weniger Wert auf Bildung legen oder weniger Möglichkeiten haben, die Kinder zu fördern, wirkt sich eine Schulschließung negativer aus. Für ein erneutes Umstellen auf Distanzslehre muss zudem sichergestellt werden, dass alle Haushalte über die notwendige Infrastruktur verfügen. Auch hier sind Schüler aus bildungsfernen Familien benachteiligt. Bereits vor der Pandemie schnitten Schüler mit einem bildungsfernen Familienhintergrund in standardisierten Bildungsüberprüfungen wesentlich schlechter ab.
Das Homeschooling wird diese Kluft weiter vergrößert haben. Die Digitalisierung bietet technische Hilfsmittel, um diese Probleme anzugehen. Sie müssen aber entsprechend implementiert werden.
Ein Land, das bereits vor der Pandemie auf digitale Bildungsinhalte gesetzt hat, ist Estland. Auch hier kam es in den ersten Tagen des Homeschoolings noch zu Schwierigkeiten. Dennoch profitiert das Land von seiner Digitalisierungsstrategie. Endgeräte sind bei den Schülern und Lehrern vorhanden, Lerninhalte sind online verfügbar und – von wesentlicher Bedeutung für das Homeschooling – Lehrkräfte wie auch Schüler waren es bereits gewohnt, digitale Hilfsmittel im Unterricht einzusetzen und damit auch selbständiger zu arbeiten. In anderen Ländern und speziell in Österreich herrscht in diesem Punkt enormer Aufholbedarf. Eine empirische Überprüfung der Leistungen hat es in Estland bisher nicht gegeben. Auf Rückfrage geht das estnische Bildungsministerium nicht von einem „normalen“ Lernerfolg aus, wenngleich der Bildungsverlust im Vergleich zu anderen Ländern deutlich geringer ausfallen dürfte. Das estnische Ministerium ist aber überzeugt, dass dieser wenige Wochen nach dem Start des neuen Schuljahres Mitte Mai bereits wieder aufgeholt worden ist.
Fußnoten
- Hanushek & Woessmann (2020). ↩
- Engzell et al. (2020). ↩
- Gemessen wurden die standardisierten Testergebnisse der vierten bis siebten Schulstufe im Fach Mathematik sowie in den Bereichen Rechtschreibung und Leseverständnis. ↩
- Oreopoulos & Salvanes (2011) und Kuhfeld et al. (2020). ↩
- Grewenig et al. (2020). ↩
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