Podcast mit Andreas Treichl: „Viele wird es schwer treffen“
- 05.08.2020
- Lesezeit ca. 3 min
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„Der Tiefpunkt der Krise ist in wirtschaftlicher Hinsicht noch nicht erreicht“, sagt der ehemalige Spitzenbanker Andreas Treichl in der neuesten Folge von „Eine Frage noch…“, dem Podcast der Agenda Austria. Zwar habe man in Österreich durchaus besser auf Corona reagiert als in vielen anderen Ländern, die langfristigen Folgen könne man aber nicht verhindern: „Man kann den Schaden nicht durch Kredite, Stundungen oder Kurzarbeit aufhalten“, so Treichl im Gespräch mit Moderator Nikolaus Jilch.
Im Herbst sei mit „großen Konsequenzen“ zu rechnen: „Viele Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird es schwer treffen“, so Treichl, der sich Anfang des Jahres von der Spitze der Erste Group zurückgezogen hat und seitdem als Vorsitzender des Aufsichtsrats der Erste Stiftung fungiert. Ab Frühjahr 2021 übernimmt Treichl außerdem die Rolle des Präsidenten des Europäischen Forum Alpbach.
Schlecht sei aktuell jede Debatte über neue Steuern, etwa auf Vermögen. Statt neuer Belastungen brauche es eher einen Push in die andere Richtung – also Steuersenkungen, so Treichl: „Ich bin sehr gegen Steuererhöhungen, was es jetzt braucht ist ein Motor, der die Wirtschaft wieder belebt.“ Auch der Staat müsse jetzt über Investitionen nachdenken, um den Standort in Gang zu bringen.
Wo Kredite und andere Maßnahmen der Regierung nicht reichen, brauche es Eigenkapital, sagt Treichl. Ein wichtiger Ansatz dazu sei der Ausbau des Kapitalmarktes: „Es muss ein totales Umdenken bei Unternehmen und Politik geben, wenn es um den Kapitalmarkt geht“, so Treichl: „Wie sollen sonst Unternehmen entstehen, die den Weltmarkt erobern können?“ Dieses Thema sei von nationaler und europäischer Bedeutung. Der Euro könne erst zu einer echten Weltwährung aufsteigen, wenn es mehr europäische Unternehmen an der Börse gibt: „Es muss genug Euro-Titel geben, in die man investieren kann.“
Gleichzeitig sei der Kapitalmarkt auch eine Chance, die Schere zwischen Arm und Reich wieder ein wenig zu schließen. Aktuell gehe es aber leider in die andere Richtung: „Es gibt so viel Liquidität, dass die Börsenwerte den Zusammenbruch der Wirtschaft zum Teil nicht widerspiegeln.“ Weil aber vor allem Wohlhabende stark in Aktien investiert sind, profitieren diese: Die Schere geht auf, statt sich zu schließen.
Um das zu ändern, brauche es aber viel mehr Akzeptanz für Aktien in der Bevölkerung: „Es wäre sehr schön, wenn Millionen Österreicher am Erfolg der heimischen Wirtschaft partizipieren könnten.“ Auch einen Umbau des Pensionssystems und die Stärkung der zweiten und dritten Säule, also der betrieblichen und privaten Vorsorge, schlägt Treichl vor.
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Zur Person: Andreas Treichl ist der wohl bekannteste Banker Österreichs. In mehr als 20 Jahren an der Spitze der heutigen Erste Group hat er eine verschlafene österreichische Bank zu einem europäischen Player mit mehr als 16 Mio. Kunden ausgebaut. Nach seinem Abgang Anfang des Jahres ist er Chairman des Aufsichtsrats der ERSTE Stiftung und Präsident der Privatstiftung der Ersten. Eines seiner Ziele ist es heute, die Finanzbildung der Österreicher zu verbessern – und dieses Ziel teilen wir.
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