Die Freunde des gepflegten Schuldenmachens verweisen neuerdings gern darauf, dass nicht die Höhe der Staatsschulden entscheidend sei. Sondern deren Verwendung. – Kommentar von Franz Schellhorn
Schulden sind grundsätzlich ja nichts Schlechtes. Menschen, die von einem kleinen Eigenheim träumen, können dieses im Normalfall nur mit geliehenem Geld erwerben, das sie zeit ihres Lebens zurückzahlen. Unternehmer, die reich an Ideen, aber arm an Kapital sind, wären ohne fremdes Geld aufgeschmissen, und Staaten verschulden sich, um riesige Infrastrukturprojekte finanzieren zu können, die aus laufenden Steuereinnahmen nicht zu decken wären. Mit anderen Worten: Die Möglichkeit, sich verschulden zu können, zählt zweifellos zu den besten Erfindungen der Menschheitsgeschichte. Ohne Schulden wäre der Massenwohlstand von heute undenkbar.
In diesem Sinne haben Vertreter der SPÖ und der Gewerkschaften nicht ganz unrecht, wenn sie sich gegen die Verteufelung der staatlichen Schuldenmacherei verwehren. Es komme ganz darauf an, was mit dem geliehenen Geld passiert, weshalb links der Mitte neuerdings zwischen „guten“ und „schlechten“ Schulden unterschieden wird. Es mache eben einen großen Unterschied, ob sich ein Staat Geld leiht, um in die Bildung zu investieren oder um die Ineffizienzen in der öffentlichen Verwaltung bezahlen zu können.
Die Sache ist allerdings nicht so klar, wie sie aussieht. Niemand würde bestreiten, dass kräftig in die Bildung zu investieren ist. Aber mehr Geld liefert nicht zwangsläufig bessere Ergebnisse, wie gerade Österreich immer wieder beweist. Obwohl die öffentlichen Ausgaben für die Pflichtschulen in den vergangenen zehn Jahren um mehr als 40 (in Worten: vierzig) Prozent gestiegen sind, haben sich die Ergebnisse der Schüler nicht verbessert. In allen drei PISA-Kategorien (Lesen, Mathematik, Naturwissenschaften) liegt Österreich heute schlechter als vor zehn Jahren. Das ist nicht die Folge der jüngsten Migrationswelle, sondern ein langfristiger Trend. Noch schlimmer: Obwohl immer mehr Geld in staatliche Schulen fließt, können rund 20 Prozent der 15-jährigen Pflichtschüler nicht sinnerfassend lesen, ebenso viele scheitern an den einfachsten Rechenaufgaben.
Dasselbe Bild zeigt sich in der Forschung und Entwicklung. Auch in diesen Bereich müsse kräftig investiert werden, wie stets zu hören ist. Was ja auch seit einigen Jahren passiert. Obwohl der Staat deutlich mehr Geld für diesen Bereich ausgibt, bleiben segensreiche Patente weiter Mangelware. Die großen Innovationen werden nicht in Österreich geboren, sondern in anderen Teilen der Welt.
Entscheidend ist eben nicht nur, wofür das geliehene Geld verwendet wird, sondern was am Ende dabei rauskommt. Eines der Ergebnisse des Schuldenkurses ist zweifellos der hohe Lebensstandard und die hohe soziale Absicherung. Das liegt auch daran, dass sich die Republik Österreich nicht so sehr für die Zukunft verschuldet als für das Hier und Jetzt. Für den Staatskonsum wird sieben Mal mehr Geld ausgegeben als für öffentliche Investitionen. Und das nicht erst seit gestern. In den vergangenen 60 Jahren ist der Schuldenstand des Staates fünfmal schneller gestiegen als die Wirtschaftsleistung. Das wiederum ist ein ziemlich klarer Hinweis darauf, dass die Schulden weitgehend verkonsumiert wurden. Ob das gut oder schlecht ist, bleibt dem Auge des Betrachters überlassen.
Angesichts der niedrigen Zinsen sind die stark angeschwollenen Schuldenberge noch nicht bedrohlich. Der Staat gibt heute für den Zinsendienst in absoluten Zahlen weniger Geld aus als vor 20 Jahren – und das, obwohl sich die Staatsschulden seither mehr als verdoppelt haben. Während aber andere Staaten das günstige Zinsumfeld dazu nutzten, in die Erneuerung ihrer Strukturen zu investieren, nutzten Österreichs Regierungen die niedrigen Zinsen konsequent dazu, die Kosten der nicht erneuerten Strukturen zu finanzieren – auf Pump versteht sich.
Die Folgen werden erst spürbar, wenn die Zinsen wieder steigen. Aber dann so richtig. Weshalb Gerhard Steger, einst mächtiger Sektionschef im Finanzministerium und überzeugter Sozialdemokrat, immer wieder auf die Gefahren des permanenten Schuldenmachens hingewiesen hat: den Verlust der Selbstbestimmung. Wird die Schuldenlast eines Staates zu groß, geben die Geldgeber den politischen Kurs vor, womit sich westliche Demokratien freiwillig dem Diktat der Finanzmärkte auslieferten. So geschehen in Schweden in den 1990er-Jahren oder unlängst in Griechenland.
Erschwerend kommt hinzu, dass Österreich bereits zu jener Gruppe von Ländern gehört, die hohe Steuern und hohe Staatsschulden haben. Das wiederum heißt, dass der Staat im Falle einer weiteren Krise nicht gegensteuern kann. Während andere Staaten im Fall des Falles locker die Schulden oder die Steuern erhöhen könnten, ist Österreich in beiden Kategorien am Limit.
Weshalb Finanzminister Hartwig Löger unlängst meinte: „Wir müssen derzeit nicht diskutieren, ob die Schulden gut oder schlecht sind. Sie sind in jedem Fall zu hoch.“ Stimmt. Was freilich nicht bedeutet, dass Schulden grundsätzlich etwas Schlechtes wären.
Kommentar von Franz Schellhorn im „profil“, 16.06.2018
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