Den Österreichern droht ein ziemlich schmutziger und kostspieliger Wahlkampf. Was es jetzt bräuchte, wäre eine Art „budgetäre Notverordnung“.
Spiegelte „Twitter“ das Meinungsbild des Landes wider, wäre klar, welchen Beschluss die Abgeordneten zum Nationalrat im freien Spiel der Kräfte zuallererst zu fassen hätten: Der 27. Mai müsste umgehend zum 14. Feiertag erhoben werden, am besten gleich zum „Tag der Befreiung“. Nachdem der von den Linken so verhasste Sebastian Kurz samt Ministerriege von SPÖ und FPÖ aus dem Amt gejagt wurde, ging ein Raunen der Erleichterung durch die Twitter-Community. Viele hatten sich bereits damit abgefunden, mindestens zehn Jahre in der politischen Dunkelheit ausharren zu müssen, und nun lacht nach nur eineinhalb Jahren plötzlich und ganz unverhofft wieder die Sonne vom blitzblauen Himmel.
Weniger sonnig dürften allerdings die kommenden Wochen und Monate verlaufen. Österreich droht nämlich in einer politischen Schlammschlacht zu versinken, die das Land dauerhaft verändern könnte. Schon heute dominiert der blanke Hass das politische Geschehen, wie soll das erst im bevorstehenden Wahlkampf werden? Umso wohltuender ist die Performance von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der die Geschicke des Landes mit Humor, Ruhe und Gelassenheit zu steuern versucht. Der Mann ist ein wahrer Glücksfall. Auch wenn die Versuche der Kalmierung hin und wieder etwas überschießend erscheinen mögen: „Es ist zwar kein alltäglicher, aber doch im Grunde genommen ein ganz normaler, demokratischer Vorgang“, wie Van der Bellen vergangene Woche betonte. Demokratisch auf jeden Fall. Aber etwas, das zum ersten Mal in der Geschichte der Zweiten Republik vorkommt, ist doch eher als „historisch“ denn als „ganz normal“ zu klassifizieren.
In der Stunde der Krise kommt auch die Bundesverfassung zu unverhofften Ehren. Allen voran durch den Präsidenten selbst, der mehrfach deren Eleganz und Schönheit bewundert hat. Das ist bemerkenswert, weil in der jüngeren Vergangenheit vom Kelsen’schen Regelwerk ja nicht alle restlos überzeugt waren. Was insbesondere mit der starken Betonung des föderalistischen Prinzips und der damit einhergehenden Macht für die Bundesländer erklärt wurde. Heute ist alles ganz anders, weil die Verfassung bereits vor 90 Jahren Regierungskrisen wie die heutige mit einer passenden Handlungsanleitung antizipiert hat.
Wie jede Schönheit hat aber auch diese ihre weniger eleganten Seiten. Etwa jene, dass in der Bundesfassung keinerlei Vorkehrungen gegen den besonders in Vorwahlkampfzeiten anzutreffenden kollektiven Ausgabenrausch getroffen wurden. Das gegenseitige Hochlizitieren mit milliardenschweren Wählerbestechungen ist hierzulande ja doch viel „normaler“ als der Rauswurf ganzer Regierungsmannschaften. So wurden in den vergangenen zwei Wahlkämpfen vom Parlament milliardenschwere Mehrausgaben beschlossen.
Nun wäre es denkbar, dass die Nationalräte aus den Fehlern der letzten Wahlkämpfe gelernt haben – davon ist aber nicht auszugehen. Schon deshalb nicht, weil das Werben um Wählerstimmen in eine wirtschaftlich besonders gute Zeit fällt. Auch wenn viel von der abflauenden Hochkonjunktur zu hören war, im Staatshaushalt ist davon nichts zu sehen. Ganz im Gegenteil, der Staat ertrinkt regelrecht im hereinströmenden Geld. Allein im Vorjahr stiegen die Staatseinnahmen um acht Milliarden Euro, ein Trend, der sich auch zu Beginn des laufenden Jahres fortsetzte.
In Österreich ist so etwas paradoxerweise eine geradezu alarmierende Nachricht. Weil hierzulande nicht die wirtschaftlich prekären Jahre die budgettechnisch gefährlichsten sind, sondern die konjunkturell guten Zeiten. In diesen kennen Österreichs Politiker kein Halten mehr, schon gar nicht in Vorwahlzeiten. Was es jetzt bräuchte, wäre eine Art „budgetäres Notverordnungsrecht“, das die Bürger in den letzten drei Monaten vor der Wahl vor besonders großzügigen Politikern schützt. Der Bundespräsident hat völlig recht, wenn er meint, dass der Finanzminister auch im Falle einer Regierungskrise in der Lage sein muss, alle Rechnungen bezahlen zu können. Aber das müsste auf jene laufenden Auszahlungen beschränkt sein, die vor der Dreimonatsfrist beschlossen wurden. Alle neu hinzukommenden sollten nur mit Zustimmung des Präsidenten getätigt werden dürfen.
Im schlimmsten Falle könnte die Sache nämlich so enden, dass sich für die geplante Steuerreform keine parlamentarische Mehrheit findet, während die überschießenden Einnahmen unter dem Gejohle der Abgeordneten über Sonderausgaben unters Volk geworfen werden. Mit der Folge, dass die nächste Regierung keinen Spielraum mehr für eine Entlastung der Lohnsteuerzahler hat, die Bürger aber in Zeiten schwächerer Konjunktur jene Ausgaben zu tragen haben, die schon in Boomzeiten nicht zu rechtfertigen waren.
Das könnte zwar auf Twitter für Applaus sorgen – aber dort spiegelt sich die Mehrheit der Bevölkerung wohl eher nicht wider.
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